Am Tag vor der Suspendierung: Präsident Traian Băsescu im Parlament, 5. Juli 2012.

Europa verurteilt ins Leere

Das vom Regierungschef eingeleitete Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Băsescu wurde vielerorts in Europa als Warnsignal gedeutet. Aber diese Kritiken entpuppen sich vor allem als Machtspiele der Kräfteverhältnisse in der EU. An der Lage dürften sie nichts ändern.

Veröffentlicht am 9 Juli 2012 um 14:37
Am Tag vor der Suspendierung: Präsident Traian Băsescu im Parlament, 5. Juli 2012.

Als Ministerpräsident Victor Ponta und Senatspräsident Crin Antonescu [damals Parteichefs der Sozialdemokratischen Partei PSD bzw. der Liberaldemokratischen Partei PDL] vor knapp fünf Monaten nach Brüssel reisten, um sich über die Angriffe auf den Rechtsstaat in Rumänien zu beschweren [während zu Hause die Empörten auf den Straßen gegen die Sparmaßnahmen demonstrierten], beklagte die oppositionelle Sozialliberale Union USL [eine Koalition der beiden Parteien, die seit dem 7. Mai 2012 an der Regierung sind] noch mit lautstarken Parolen, dass „die Situation in Rumänien Brüssel habe aufhorchen lassen“. Damals konnten wir noch beweisen, dass es sich um interne Propagandasprüche handelte, ohne jegliche Auswirkungen auf die europäische Ebene.

So ist es auch jetzt passiert. [Die Regierung in Bukarest hat in wenigen Tagen den Ombudsmann, die Präsidenten des Senats, des Parlaments abgehalftert und sogar den Staatspräsidenten des Amtes enthoben, was am 29. Juli noch per Volksentscheid bestätigt werden müsste, um rechtswirksam zu sein.] Passiert, obwohl bereits das ein oder andere dumme Gerücht geschrieben und veröffentlicht wurde, wie beispielsweise, dass Rumänien nur einen Schritt davon entfernt sei, sein Stimmrecht im Rat (der EU) zu verlieren oder sogar ganz aus der Europäischen Union ausgeschlossen zu werden.

Ehrlich gesagt, besagt Artikel 7 des Lissabonner Vertrags, dass die Europäische Kommission zunächst einmal das Risiko des Abdriftens eines Mitgliedsstaates feststellen muss. Das ist weder im Falle Ungarns unter Viktor Orban erfolgt und auch nicht im Falle der Verstöße Nicolas Sarkozys gegen die Roma – obwohl damals die persönliche Reaktion der Justizkommissarin Viviane Reding sehr heftig ausgefallen war.

Ein solches Risiko ist auch nicht festgestellt worden, als Silvio Berlusconi sich selbst ein Immunitätsgesetz vor der Justiz auf den Leib geschneidert hatte. Wo war damals der ehemalige Kommissar für die justizielle Zusammenarbeit Franco Frattini, der uns Lektionen in Sachen Antikorruption erteilte? Er war Berlusconis Minister!

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Allzu schwierige Sanktionen

Selbst wenn die Mitglieder der Europäischen Kommission am Falle Rumäniens ein Exempel statuieren würden, so bräuchten sie dafür auch die Zustimmung des Parlaments. Aber das Parlament hat gerade den Antrag der EVP-Fraktion auf Diskussion über die Situation in Bukarest abgelehnt – die Sozialdemokraten und Liberalen sind auf der Seite der rumänischen Regierung. Selbst wenn sich das Kräfteverhältnis umkehren würde, bräuchte man doch eine Vier-Fünftel-Mehrheit im Rat, nicht um den Mitgliedsstaat zu sanktionieren, sondern nur um Empfehlungen auszusprechen. Wenn der Mitgliedsstaat diese nicht befolgt, könnte der Rat dann mit qualifizierter Mehrheit eine Aufhebung seines Stimmrechts im Rat oder eine andere Sanktion beschließen. So oder so wäre es ein schwieriger und langwieriger Weg.

Es stimmt, die politischen Reaktionen sind heftig. Aber die kategorische Position Deutschlands bedeutet auch einen Schlag gegen den Präsidenten des Europaparlaments, den Sozialdemokraten Martin Schulz, der die Regierung in Bukarest verteidigt. Darüber hinaus würde Deutschland mit Traian Băsescu einen wichtigen Verbündeten im Europäischen Rat verlieren. Während die „südliche Flanke“ mit Viktor Ponta einen Unterstützer dazugewinnen würde. Im Europaparlament indes sind die Reaktionen ein getreues Abbild der Reaktionen auf die Situation in Ungarn. Nach so langem Schweigen und vielen Kompromissen sind die Brüsseler Reaktionen eher als Realpolitik aufzufassen.

Ob der Brief einiger rumänischer Nichtregierungsorganisationen an die Europäische Kommission mit der Forderung nach einem Sanktionsverfahren gegen Bukarest wohl auch als Realpolitik zu verstehen ist? Gut möglich, wobei es sehr seltsam anmutet, Sanktionen gegen das eigene Land zu fordern. Die Rumänen haben, unabhängig von ihren Überzeugungen viele Anstrengungen unternommen, um der Europäischen Union beizutreten.

Diese haben es nicht verdient, in einem internen politischen Kampf verspielt zu werden. Was die Realpolitik betrifft, so wäre es sinnvoller, wenn wir lernen würden, diese Spielregeln bei den wichtigen Verhandlungen anzuwenden, anstatt anzureisen und jegliche Regeln des guten Geschmacks über Bord zu werfen.

Aus Deutschland

Bitte keine Parteipolitik!

„Das Volk Rumäniens ist darauf angewiesen, dass seine Herrscher auf der EU-Ebene auf demokratische Prinzipien verpflichtet werden“, schreibt die Süddeutsche Zeitung und rät den europäischen Parteien in Brüssel zu Vorsicht. Die Kritik an Rumänien sollten nicht entlang parteipolitischer Linien vonstatten gehen. Heißt, die Konservativen sollten nicht zu seicht mit Präsident Traian Băsescu umgehen, und die Sozialdemokraten sollten Victor Ponta keinen Genossenrabatt gewähren.

Man sollte nicht glauben, in Mittel- und Osteuropa seien manche Parteien sozialdemokratisch, liberal oder konservativ, bloß weil sie sich so nennen. Die Schemata westlicher Provenienz taugen hier nicht viel. Auch 20 Jahre nach dem Fall des Kommunismus ist die weltanschauliche Orientierung weniger wichtig als der Zugriff auf die Macht. Klientelistische Verflechtungen, geschäftliche Seilschaften und der persönliche Geltungsdrang zählen oft mehr als Prinzipien. Rumänien ist dafür ein gutes Beispiel.

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