Syrakus ist einer der faszinierendsten Orte in Italien und man kann dort einige aufschlussreiche Erkenntnisse gewinnen. Schon der römische Schriftsteller und Philosoph Cicero nannte die Stadt die schönste der „Magna Græcia“ des antiken Süditaliens. Hier verliefen die Handelswege der Griechen und der Phönizier und bis zur Eroberung durch die Römer war Syrakus ein wichtiger Verkehrsknotepunkt im Mittelmeerraum. Wie ganz Sizilien hat die Stadt Beutezüge, Eroberungen, Aufstieg und Niedergang erlebt. Im Laufe der Zeit sind Araber, Byzantiner, Normannen, Schwaben und Aragonier hier durchgezogen und haben in der atemberaubenden Landschaft ihre Spuren hinterlassen.
Was viele nicht wissen: Syrakus war einer der berühmtesten und am stärksten gebeutelten Vorposten des Faschismus. Dass Mussolini die Stadt als „Kolonial-Hauptstadt“ bezeichnete, war kein Zufall: von der Küste vor Syrakus ging in den 1930er Jahren die Eroberung Afrikas aus. Das faschistische Regime nutzte die günstige geografische Lage für die Versorgung seiner Truppen mit Lebensmitteln, Waffen und anderen Gütern. Zwischen Syrakus und dem kolonisierten Libyen bestand eine Schiffsverbindung und sogar ein Postdienst, der von Syrakus über Libyen bis nach Mogadischu und Asmara reichte. Die sizilianische Stadt war über Unterwasserkabel mit Tripolis und Benghazi verbunden. Dass sie eine Zeitlang im Zentrum dieser kolonialen Geschichte stand, darauf sind manche noch heute (zu Unrecht) besonders stolz. Lange dauerte dieser Zustand jedoch nicht: mit den Jahren wurden andere sizilianische Außenposten wie Catania wichtiger als Syrakus.
Von der ganzen faschistischen und vor allem kolonialen Vergangenheit ist heute nur ein monumentaler Komplex erhalten geblieben, der als „Denkmal für die in Afrika gefallenen Italiener“ bezeichnet wird und unangefochten über der Piazza dei Cappuccini an der dem Meer zugewandten Seite der Stadt thront. Die Einwohner und auch die Touristen gehen dorthin, um die Aussicht – eine der schönsten der Stadt – zu genießen. Kaum jemand beachtet die Statuen und fragt sich, was sie bedeuten. Die Geschichte dieses monumentalen Bauwerks ist interessant und typisch für einen europäischen Trend, die Kolonialgeschichte zu vergessen oder noch schlimmer: zu bagatellisieren. Ein Teil der Vergangenheit, über den man lieber nicht spricht.
Vergangenheit, die zwar in den Institutionen und den einzelnen italienischen Familien, in denen vielleicht ein Großvater, Vater oder Onkel damals in Afrika waren, nicht erwähnt wird, die aber dennoch ab und zu aufblitzt: in einer Liedzeile, einem dahergesagten Satz in einem Film (zum Beispiel in dem italienischen Klassiker „I soliti ignoti“ (Diebe haben’s schwer, 1958), als Vittorio Gassman bei der vorgetäuschten Rettung von Carla Gravina zu den vermeintlichen Angreifern sagt: „Hey, was glaubt Ihr wo Ihr seid? Wir sind hier nicht in Abessinien sondern in einem zivilisierten Land!“). Manchmal auch auf Zeitschriftentiteln, in Familienfotos oder eben in einem Denkmal wie dem in Syrakus.
Die Geschichte dieses Denkmals nachzuvollziehen ist spannend, denn anhand der Verbindungen, die in Syrakus zusammenlaufen, wird deutlich, wieso derzeit (in einer Welle, die durch die amerikanische Bewegung „Black Lives Matter“ ausgelöst wurde) in ganz Europa, von Bristol bis Brüssel, viele Menschen der Ansicht s…