Friede mit den Märkten?

Die Veröffentlichung der Stresstests der europäischen Banken am 23. Juli zeigt auf genauere Weise, in wieweit die größten Geldhäuser fähig sind, auf eine erneute Krise zu reagieren. In den meisten Ländern wurden zufriedenstellende Sparmaßnahmen ergriffen, so dass die Finanzmärkte erneut in der EU investieren.

Veröffentlicht am 23 Juli 2010 um 15:31

Ist das Licht am Ende des Tunnels vielleicht schon in Sicht? Gewiss erwarten die Finanzmärkte fieberhaft die Veröffentlichung der Stresstests am heutigen Abend, anhand derer man die wahre finanzielle Belastbarkeit der europäischen Banken einschätzen kann. Aber auch wenn es sich zeigt, dass wenige Leichen im Keller der Banken liegen und die Bedingungen der Tests allgemein als überzeugend gelten, sollten die Ergebnisse die Investoren nicht zu zuversichtlich stimmen.

Denn schon seit einigen Tagen scheinen die Finanzmärkte den panischen Zustand der letzten sechs Monate hinter sich gelassen zu haben, der sie dazu veranlasste, die hohen Schulden der südlichen Länder des Eurogebietes anzugehen. Der schnelle Wiederanstieg des Euro, der, indem er letzten Freitag kurzzeitig über die Grenze von 1,30 Dollar kletterte, zwei Monate wieder gut machte, in denen der Euro gegenüber dem Greenback beständig gefallen war, ist der Beweis hierfür. Seitdem schwankt er zwischen 1,28 und 1,29 Dollar, weit entfernt von den tiefen 1,19, die er Anfang Juni erreicht hatte. Auch das Herabsetzen des Ratings Irlands durch Moody's am Montag, nachdem sie am 14. Juli Portugal heruntergestuft hatte, konnte das Feuer nicht erneut entfachen.

Stimmungswechsel am Finanzmarkt

Am Montag wunderte sich die New York Times in einem langen Artikel über den "schnellen Sinneswandel der Investoren". Denn Tatsache ist, dass sie das Eurogebiet nicht mehr meiden, sondern sich ihm ganz im Gegenteil zuwenden. So hat Griechenland sein Comeback auf den Finanzmärkten geschafft, indem es am 13. Juli 1,65 Milliarden zu einem sicherlich hohen Zinsfuß entlieh (4,65 Prozent auf sechs Monate), aber nicht zu einem höheren Zinssatz als vor zwei Monaten, als es seinen Sparplan noch nicht bekannt gegeben hatte.

Spanien, das zeitweilig drohte, ebenso abzurutschen, hat es im Juli auch drei mal ohne Schwierigkeiten geschafft, Staatsschuldverschreibungen zu emittieren. Das gleiche gilt für Portugal und Italien. Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) mehr als 60 Milliarden an Staatsschuldverschreibungen abgesaugt hat, verlangsamte sie ihre Einkäufe von Staatsschulden nun beträchtlich, was man als Zeichen dafür lesen kann, dass sich die Situation normalisiert.

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Marktknebelung durch neue Folterinstrumente

Die definitive Errichtung des finanziellen Stabilisierungsfonds, dem nun endlich auch die Slowakei seit dem 15. Juli zugestimmt hat, hat stark zur Besänftigung der Finanzmärkte beigetragen. Wie der Luxemburger Premierminister und Chef der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker der Libération mitteilte, " haben wir jetzt die nötigen Folterinstrumente zur Hand, um einschreiten zu können, wenn sich die Finanzmärkte erneut über ein Land der Eurozone hermachen." Dieser Fonds hat eine Darlehenskapazität von 440 Milliarden Euro, zu denen man noch die 60 Milliarden hinzufügen muss, die die Kommission den Märkten auferlegen kann, was zur Abschreckung dient.

Auch die Sparpläne haben die Investoren beruhigt, die sich die Staaten auferlegten, um ihre desolaten Staatskonten zu stabilisieren. Derjenige Griechenlands, der der härteste ist, zeigt Wirkung: Der Internationale Währungsfonds und die Kommission betonten kürzlich Athens "beachtlichen Fortschritt", da es geschafft hat, sein Defizit im ersten Halbjahr 2010 um beinahe 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu senken. Die Annäherung Frankreichs an die deutschen Forderungen einer drastischen Erstarkung des Stabilitätspaktes, der am Mittwoch offiziell bestätigt wurde, kann nur dazu beitragen, das Gefühl zu festigen, dass die "Stabilitätskultur" nach deutscher Art ihre große Rückkehr feiert.

USA geht der Atem aus

Ein letztes Element hat die Erholung des Eurogebietes ermöglicht: Seit kurzem sind die Investoren über die Verlangsamung des amerikanischen Wirtschaftswachstums stark beunruhigt, die eine erneute Rezession auslösen kann. Darüber hinaus befinden sich eine Reihe amerikanischer Staaten wie Illinois, Kalifornien, Ohio, Michigan, Florida oder New Jersey am Rande des Bankrotts … Die Finanzmärkte werden sich bewusst, dass es um die Finanzsituation der USA (aber auch Großbritanniens) sehr viel schlechter steht als um die Griechenlands oder Spaniens. Ihre Staatsschulden könnten der Bank für internationalen Zahlungsausgleich zufolge innerhalb von dreißig Jahren einen unhaltbaren Stand erreichen, selbst wenn sie jetzt harte Sparmaßnahmen ergriffen (zwischen 300 und 500 Prozent des BIP für Großbritannien und 200 bis 430 Prozent für die USA…).

Davon abgesehen stehen die Finanzmärkte das Gewehr bei Fuß, wie der Zinssatz der CDS (Kreditausfall-Swaps) mehrerer Länder der Euro-Zone zeigt. Diese berühmt-berüchtigten "credit default swaps" sind Versicherungen, die die Kreditgeber abschließen, um sich vor einer eventuellen Zahlungsunfähigkeit des Staates zu schützen. Dies bedeutet, dass die Finanzmärkte immer noch mit einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands, aber auch Irlands, Spaniens oder Portugals rechnen… "Die Krise der Staatsschulden wird noch mindestens drei Jahre andauern", genauso lange wie der Stabilitätsfonds existiert, schätzt Laurence Boone, Chefvolkswirtin bei Barclay's Capital France. Bis dahin werden die Finanzmärkte die im Herbst veröffentlichten Budgetprojekte der Mitgliedsstaaten für 2011 genau unter die Lupe nehmen: "Man muss hart vorgehen, aber restriktive Elemente vermeiden", warnt er. (sd)

Aus Spanien und Griechenland

Die Zukunft der Banken hängt vom Ergebnis ab

In zwei Ländern wartete man ganz besonders auf die Auswertungen der Stresstests: in Griechenland, das der Gefahr eines Bankrotts entkommen will, und in Spanien, dessen Bankensektor krisenanfällig schien.

Vor der Veröffentlichung der Ergebnisse sah El País das Scheitern mehrerer spanischer Banken und somit die Notwendigkeit von Kapitalerhöhungen voraus, bemerkte jedoch, dass "die prominenteren Institute [insbesondere Banco Santander und BBVA] eine gute Note bekommen".

Zur Beruhigung der Märkte "legte sich der spanische Bankensektor stärker bloß" als die europäische Branche insgesamt, stellt wiederum Público fest. 95 Prozent der spanischen Finanzinstitute unterzogen sich dem Test, im Vergleich zu durchschnittlich 50 Prozent in den anderen Ländern. Público erklärt, das spanische Bankensystem sei in den letzten Monaten von den internationalen Märkten "gegeißelt" worden und die Regierung und die spanische Landesbank wollten "auf Antrieb der spanischen Banken selbst" beweisen, dass ihre Situation "gesund" ist.

In Griechenland sah Kathimerini voraus, dass sechs Banken des Landes, also nur 85 Prozent des Bankensystems, den Test bestehen würden, was "den positiven Einschätzungen der griechischen Wirtschaft bestimmt einen Dämpfer versetzen" würde. Die griechischen Banken seien Gefahren stärker ausgesetzt als ihre europäischen Kollegen, so erklärt die Tageszeitung, denn sie hielten viele Anleihen des griechischen Staats, der in der Krise steckt. Diese Situation wird wohl die Bildung großer Firmengruppen begünstigen, wobei die stabileren Banken die schwächeren aufkaufen.

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