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Wie sich die fossile Brennstoffindustrie mit „umweltverträglichen“ Investitionen finanziert

Mit geschickten semantischen Wendungen und unter Ausnutzung von Schlupflöchern in den eigentlich strengen europäischen Vorschriften gelingt es Vermögensverwaltungsgesellschaften, die „grüne“ Anlagen verkaufen, Finanzprodukte zu platzieren, die Aktien von Konzernen aus der fossilen Brennstoffindustrie enthalten, darunter Eni, Enel, Repsol, Chevron, TotalEnergies, BP und Shell. Der Fall des italienischen Unternehmens Eurizon, einer Tochtergesellschaft von Intesa SanPaolo.

Veröffentlicht auf 22 September 2023 um 16:57
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Europa ist weltweit führend auf dem Markt für „grüne“ Anlagen, d.h. solche, deren Ziel umweltverträgliche Aktivitäten oder Projekte sind. Die Prospekte der in diesem Sektor tätigen Finanzunternehmen versprechen den Anlegern „nachhaltige und verantwortliche“ Investitionen.

Diese Untersuchung zeigt jedoch, dass es sich bei den vorgeschlagenen Investitionen oft weder um das eine noch das andere handelt: Die Finanzunternehmen nutzen die Schlupflöcher, die durch unklare Vorschriften und obskures Vokabular entstehen und finanzieren stattdessen Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen.

Das wollen wir anhand unserer Analyse von vier so genannten „nachhaltigen“ Fonds zeigen, die von Eurizon angeboten werden, einer Vermögensverwaltungsgesellschaft unter der Kontrolle von Intesa SanPaolo, Italiens größter Bank. Eurizon ist eines von vielen Finanzunternehmen, die in Europa „grüne“ Produkte anbieten, aber der Fall hat Symbolcharakter. Eurizon verwaltet Kundenvermögen in Höhe von 381 Milliarden Euro und setzt sich laut seinem Nachhaltigkeitsbericht für „finanziellen Humanismus auf der Grundlage von Respekt, Verantwortung und Bewusstsein für die eigenen Qualitäten“ ein.

Unsere Analyse ergab, dass Eurizon im Jahr 2022 Aktien der fossilen Brennstoffunternehmen Eni, Enel, Repsol, Chevron, TotalEnergies, BP und Shell im Wert von mehr als 208 Millionen Euro kaufte und sie in Portfolios platzierte, die laut Aussage des Unternehmens aus „nachhaltigen und verantwortlichen Investitionen“ bestehen.

Eine Datenanalyse von Refinitiv – einem der weltgrößten Anbieter von Daten und Infrastruktur für Finanzmärkte, der von der London Stock Exchange Group kontrolliert wird – zeigt, dass seit April 2023 in Italien und Frankreich die oben genannten Unternehmen für fossile Brennstoffe Investitionen im Wert von fast 7 Milliarden Euro erhalten haben, weil sie in grüne Investmentfonds aufgenommen wurden. „Es ist interessant für diese Unternehmen, wieder in ‚grüne‘ Fonds aufgenommen zu werden, weil sie auf diese Weise mehr Mittel erhalten“, erklärt Fabio Moliterni, Spezialist für Klima- und ethische Finanzen bei der ethischen Finanzgesellschaft Etica SGR.

Diese angeblich nachhaltigen Fonds locken Anleger mit zweideutigen Formulierungen an und schaffen es, den Markt zu übertreffen, hohe Renditen zu garantieren und dem Trend von Indizes zu folgen, die keinerlei Nachhaltigkeitsziele verfolgen.

„Die Regeln der Europäischen Kommission lassen den Investoren einen Ermessensspielraum bei der Festlegung ihrer eigenen Nachhaltigkeitsziele. Dies erleichtert es dem Markt zwar einerseits, sich flexibel an eine tiefgreifende Veränderung der regulatorischen Landschaft der Vermögensverwaltung anzupassen und die Fähigkeit zur Produktdifferenzierung zu bewahren, scheint aber nicht das Ziel zu erreichen, Greenwashing zu vermeiden. Tatsächlich verfolgen viele Fonds immer noch Strategien, die nicht mit den letztendlichen Nachhaltigkeitszielen der Kommission übereinstimmen, sondern die Renditemaximierung mit geringen oder gar keinen ökologischen oder sozialen Auswirkungen begünstigen, selbst unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit“, kommentiert Moliterni.

Eurizon nimmt also Unternehmen, die traditionell im Sektor der fossilen Brennstoffe tätig sind, in Fonds auf, die „ökologische und/oder soziale Merkmale“ fördern sollen. In Wirklichkeit haben sie dagegen dank des Anstiegs der Ölpreise mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine zusätzliche Gewinne erwirtschaftet.

Und das, obwohl Eurizon in seinem Nachhaltigkeitsbericht die Berichte des IPCC (United Nations Intergovernmental Panel on Climate Change) als Referenzpublikation für die Berechnung der Emissionen nennt. Der sechste Bericht des IPCC empfiehlt jedoch genau das Gegenteil, nämlich eine starke Reduzierung der Finanzierung von fossilen Brennstoffen und kohlenstoffintensiven Aktivitäten für eine schnelle Energiewende.

Ist das legal? Ja, denn die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (bekannt als SFDR, wir werden darauf zurückkommen) enthält keine klare Definition von Investitionen mit ökologischen und sozialen Merkmalen, den sogenannten ESG-Kriterien.

ESG ist ein auf den Finanzmärkten sehr beliebtes Akronym: Es steht für „Environmental, Social and Governance“, also für Investitionen, die umwelt- und sozialbewusste Geschäftsaktivitäten fördern. Der Begriff wurde erstmals 2005 in einem Dokument des Umweltprogramms der Vereinten Nationen geprägt.

In diesem Zusammenhang können Manager willkürlich ihre eigenen Kriterien für die Festlegung „grüner“ Investitionsziele definieren, solange sie diese offenlegen. „Das größte Problem ist, dass sich die Regulierung auf die Offenlegung und Berichterstattung konzentriert, so dass ich in der Praxis sagen kann: ‚Ich zerstöre die Welt‘, aber zumindest bin ich in dieser Hinsicht transparent“, kommentiert der grüne Europaabgeordnete Bas Eickhout.

„Fondsmanager versuchen, die EU-Vorschriften so weit wie möglich einzuhalten, aber wenn sie ein profitables Produkt auf den Markt bringen können, zögern sie nicht allzu sehr, gegen die Regeln zu verstoßen“, kommentiert seinerseits Alessandro Messina, Experte für Impact und Sustainability Finance bei dem unabhängigen Unternehmen Avanzi-Sostenibilità per azioni.

„Die Aufsichtsbehörde des betreffenden Fonds sollte prüfen, ob die Informationen im vorvertraglichen Dokument den Anforderungen der EU-Nachhaltigkeitsverordnung widersprechen, was vermieden werden sollte“, kommentierte die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA). Sie koordiniert die Arbeit der nationalen Behörden, die dafür zuständig sind, die Anwendung ihrer technischen Standards für die Transparenz von Finanzprodukten zu überwachen. Die italienische Aufsichtsbehörde Consob lehnte eine Stellungnahme zur Nichteinhaltung der EU-Vorschriften durch die Fonds unter Verweis auf Vertraulichkeitsgründe ab.

Eine europäische Gesetzgebung mit Licht- und Schattenseiten

Die Verordnung über nachhaltige Finanzen, die 2021 in Kraft trat, schreibt Transparenzkriterien vor, die Finanzberater in vorvertraglichen Dokumenten und auf ESG-Investitionsseiten einhalten müssen.

Ein Anleger soll sich je nach seinen Präferenzen auf Anlagen ausrichten, die der Verwalter in der Sprache der Experten in zwei Grüntönen, die in der Verordnung zwei Artikeln (8 und 9) entsprechen, oder in „graue“ Anlagen, d.h. ohne nachhaltige Ansprüche (Artikel 6), einordnen kann.

„Hellgrüne“ Produkte erfüllen die in Artikel 8 aufgeführten Kriterien und müssen „ökologische und/oder soziale Merkmale“ bewerben. Weder die europäische Gesetzgebung noch die Spezifikationen der ESMA geben jedoch eine klare Definition dieser Eigenschaften.


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Dieses Schlupfloch ermöglicht es den Fondsmanagern, ihre Fonds nach ihren eigenen Grundsätzen oder nach den Bewertungen der Rating-Agenturen als „hellgrün“ einzustufen, obwohl die Fonds selbst auch ökologisch bedenkliche Unternehmen enthalten.

Die ESMA sagt lediglich, dass „hellgrüne“ Fonds einen geringeren Anspruch an die Nachhaltigkeit haben als „dunkelgrüne“ Produkte (Artikel 9), die hingegen eine 100-prozentige nachhaltige Investition anstreben müssen, d.h. sie dürfen keine signifikanten Beeinträchtigungen der Umwelt hervorrufen oder müssen eine „Reduzierung der Kohlenstoffemissionen“ bewirken.

Der Unterschied zwischen den beiden Formulierungen, Produkte, die „ökologische/soziale Merkmale bewerben“ und „nachhaltige Produkte“ (jeweils Artikel 8 bzw. „hellgrün“ und Artikel 9 bzw. „dunkelgrün“), mag einem unerfahrenen Investor marginal erscheinen – er könnte sie sogar versehentlich als Synonyme interpretieren. Aus regulatorischer Sicht ist die Unterscheidung d…

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