Warten auf den reichen hellenischen Verbraucher. Straßenverkäufer in Sandanski.

Hellas’ Euros fluten den Markt

Die von der Krise hart getroffenen Griechen geben ihre Euros bei ihren bulgarischen Nachbarn aus, wo die Preise niedriger sind. Die dortigen Einzelhändler und Zahnärzte haben gut Lachen.

Veröffentlicht am 1 April 2010 um 15:29
Sandanki1/ Flickr  | Warten auf den reichen hellenischen Verbraucher. Straßenverkäufer in Sandanski.

Das kleine Städtchen Sandanski im Süden Bulgariens gehört heute, im Gegensatz zum Rest des Landes, de facto schon zur Eurozone. Der Nachbarort Petric zieht nach. Grund? Die Wirtschaftskrise, die Griechenland beutelt und die dortigen Preise in die Höhe schießen lässt. In den letzten Tagen wurden die beiden Grenzstädte regelrecht von unseren Nachbarn aus dem Süden überfallen. Sie kaufen ein, gehen in Cafés oder Restaurants, zum Arzt usw...

Getreu dem Sprichwort *"*Des einen Not ist des anderen Brot" reiben sich die bulgarischen Einzelhändler die Hände. "Es soll nicht aussehen, als würden wir uns über die wirtschaftlichen Probleme unserer Nachbarn freuen", sagt ein lokaler Funktionär, "aber ohne die Griechen ginge es mit uns bergab. Nach den letzten Preissteigerungen in Griechenland werden unsere zwei Städte nach und nach zu einem neuen Klondike [die kanadische Region, die Ende des 19. Jahrhundert den Goldrausch kannte] im Mini-Format."

Sprit zum halben Preis - für die ganze Familie

Fast jeder kann von den mit Einkaufsrollern durch die Stadt ziehenden "Eindringlingen" erzählen. Die örtlichen Einzelhändler berichten, dass die Griechen direkt in Euro bezahlen und gleich Großeinkäufe tätigen. "Die kaufen nicht eine Scheibe Feta-Käse, sondern gleich kiloweise. Seit kurzem kaufen sie auch Obst und Gemüse, weil die bei ihnen teurer geworden sind", sagt uns ein Lebensmittelhändler aus Sandanski. Andere finden, dass unsere Nachbarn aus dem Süden nicht unbedingt einfache Kunden sind. "Die versuchen systematisch den Preis herunterzuhandeln, und sei es um einen einzigen Euro. Na ja, besser solche Kunden als gar keine", berichtet ein anderer Händler. Die Griechen kaufen vor allem Lebensmittel, Kleidung und Schuhe, weil bei diesen Produkten der Preisunterschied am größten ist. Möbel sowie Elektro- und Haushaltsgeräte sind auch sehr beliebt. Technomarket, das nagelneue Shoppingcenter an der E79, die zur Grenze führt, ist ständig rappelvoll. Dort hört man vor allem die Sprache Aristoteles'. Die Griechen stürmen auch auf die örtlichen Tankstellen. Sie kommen aus den nah gelegenen Ortschaften Nea Vrasna, Neo Petritsi und Sidirokastro. Nicht nur um vollzutanken; sie bringen auch Kanister mit, denn der Sprit ist hier 50 Prozent billiger.

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Nach dem Shopping zum Zahnarzt

"Wir müssen uns der Krise anpassen. Manchmal schicken wir eine einzige Person mit so vielen Kanistern wie eben nur möglich. Danach teilen wir den Sprit unter Freunden und Nachbarn auf", verrät uns Giorgos Ephtimios, ein kleiner Landwirt aus dem griechischen Dörfchen Vironia. Er selbst fährt einmal die Woche nach Sandanski auf Schäppchenjagd: Käse, Kaminholz, Möbel... Er trägt Sneakers, die er in Bulgarien gekauft hat: "Fünf Euro das Paar!" Der Landwirt hat gleich drei gekauft. Andere seiner Mitbürger, vor allem Rentner, haben gleich den großen Sprung gewagt: sie sind letztes Jahr nach Petric gezogen und haben Häuser oder Wohnungen angemietet. Nun stehen sie ihren Landleuten mit Rat und Tat zur Seite. Manche fungieren sogar als Reiseführer. "Sie empfangen ganze Gruppen und führen sie durch die Gegend", erzählt Nikola Chopov, ein Bewohner aus Petric. "Sie zeigen ihnen, wo man Schnäppchen machen kann, welche Geschäfte oder Restaurants den Griechen Rabatt gewähren. Im Gegensatz erheben sie eine Gebühr von ein paar Prozent."

Viele Griechen nutzen ihre Spritztour über die Grenze zur Zahnbehandlung, um sich Brücken oder Prothesen einsetzen zu lassen. Ein Zeichen, das nicht täuscht: Die Zahnärzte arbeiten jetzt auch am Wochenende, wenn die Griechen am zahlreichsten kommen. Zahnarzt Nikola Stoilov aus Petric hat vor seiner Praxis ein neues Schild in griechischer Sprache angebracht. Auch die Öffnungszeiten seiner Praxis sind in die Sprache unserer Nachbarn übersetzt. "Ja, ich habe viele griechische Patienten", bestätigt er. "Das sind keine reichen Leute. Sie kennen die Tarife hier haargenau und zahlen dasselbe wie die Bulgaren. Nur: Heute kommen halt mehr Griechen als Bulgaren, um auf meinen Behandlungsstuhl Platz zu nehmen." Sandanski und Petric sind bereit. Die Griechen können kommen. Καλός ήλθατε! Willkommen. (js)

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