Anhänger der irischen Kampagne für das Ja zu Lissabon (Photo: Ireland For Europe)

Irland kann immer noch Nein sagen

Am 2. Oktober entscheidet Irland zum zweiten Mal über den Vertrag von Lissabon. Viele sagen zwar eine Rückkehr in den Schoß Europas voraus, um sich wieder aus der tiefen Rezession herauszuarbeiten, doch neue Umfragen deuten darauf hin, dass auch das Nein wieder auflebt, so berichtet die Financial Times.

Veröffentlicht am 7 September 2009 um 15:06
Anhänger der irischen Kampagne für das Ja zu Lissabon (Photo: Ireland For Europe)

Pläne über einen neuen Vorsitzenden des Europäischen Rats, eine Generalüberholung der EU-Außenpolitik und eine Ausweitung des Mehrheitsstimmrechts unter den 27 Mitgliedsstaaten, womit das nationale Einspruchsrecht bei so heiklen Themen wie Asyl, Immigration, Energien und Sport abgeschafft würde... all das hängt davon ab, wie die Iren bei ihrer zweiten Volksbefragung abstimmen.

Im Juni 2008 stimmten die Iren mit 53,4 zu 46,6 Prozent deutlich gegen den Vertrag von Lissabon. Alle möglichen Faktoren kamen dabei ins Spiel, darunter die Quasi-Unverständlichkeit des Vertrags selbst, die Besorgtheit über eine eventuelle Einbuße der irischen Neutralität und des nationalen Abtreibungsverbots sowie die Frage, ob EU-Entscheidungen in Verteidigungs- und Steuerbelangen auch in Zukunft dem nationalen Veto unterstehen würden. Da die Wirtschaft sich am Rande der Rezession befand, war auch die Furcht vor Ausländern und einer unbegrenzten EU-internen Migration ein ausschlaggebendes Element.

Die irische Regierung hat bezüglich mehrerer dieser Themen Versicherungen und bindende Zusagen erhalten. Doch diesmal ist die Stimmung der Wähler sowohl unbeständiger als auch verdrießlicher. Das Land wurde von der Konjunkturabschwächung ebenso hart getroffen wie jeder andere EU-Staat: der keltische Tiger ist nur noch eine dunkle Erinnerung. Meinungsumfragen weisen darauf hin, dass eine deutliche Mehrheit für die Sicherheit und somit für das Ja stimmen wird.

Andererseits erfährt der Vertrag nur wenig Rückendeckung, und der Zorn auf die regierende Partei Fianna Fáil ist groß. Eine Gegenreaktion gegen das ganze politische Establishment – und das sind fast alle, die sich für den Vertrag einsetzen – kann nicht ausgeschlossen werden.

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Während die meisten führenden Politiker auf der Ja-Seite noch im Sommerurlaub weilen, haben die Nein-Verfechter das Rennen schon gestartet. Das bunt gemischte Spektrum reicht von der extremen Linken bis zur extremen Rechten, von radikalen Republikanern zu konservativen Katholiken, es gehören die Sinn Féin, der politische Zweig der Provisional IRA, die sozialistische Partei, die irischen Freunde Palästinas gegen Lissabon, die Abtreibungsgegner Cóir und die Landwirtvereinigung Farmers for No dazu.

Ein Name, der fehlt, ist Libertas: eine Partei, die von Geschäftsmann Declan Ganley initiiert, mit Personal versorgt und weitgehend finanziert wurde. Ganley führte die letzte Nein-Kampagne an, zahlte für massive Publicity, gewann dann jedoch bei der Wahl im Juni keinen Sitz im EU-Parlament. Seine Freigebigkeit wird schmerzlich vermisst werden.

Doch obwohl die Mitstreiter für das Nein seltsame Bettgenossen sind, so steht ihnen doch ein "gerechter Anteil" an der Sendezeit des öffentlichen irischen Fernsehens und in den restlichen Medien zu.

Angesichts dieses bunt zusammengewürfelten Haufens wirken die Befürworter des „Yes“ dagegen würdig und defensiv. Sie geben sich Mühe, die Wähler davon zu überzeugen, dass der Vertrag von Lissabon sowohl positiv als auch notwendig ist.

Und manche, die in der Kampagne ganz vorne mit dabei sein sollten, sind ihnen keine große Hilfe, wie zum Beispiel Charlie McCreevy, irisches Mitglied der EU-Kommission in Brüssel. Beim ersten Referendum gab er zu, den Vertrag nicht gelesen zu haben. Das war zwar ehrlich, aber nicht förderlich. Dieses Mal gab er an, dass, falls ein vergleichbares Referendum in den anderen 26 Mitgliedsstaaten abgehalten werde, 95 Prozent der Wähler mit Nein stimmen würden.

Doch der wahre Grund, warum McCreevy im Wahlkampf nicht willkommen ist, ist die Tatsache, dass er als früherer Finanzminister wahrscheinlich mehr noch als jedes andere Regierungsmitglied für das Platzen der Finanzblase verantwortlich ist. Er war der Meister der von den Bauträgern so geliebten Marktöffnung.

Ehrlich gesagt war der Vertrag von Lissabon diesen Sommer auch nicht das Hauptthema bei den irischen Wählern. Das war nämlich die so genannte Nama – die National Asset Management Agency. Die Regierung richtet diese schlechte Bank ein, um faule Kredite aus dem restlichen Banksektor zu übernehmen – fast gänzlich gesichert durch Darlehen an Bauträger, die auf steigende Grundstückspreise spekulieren.

Die allgemein verbreitete Meinung ist nun, dass die Nama nur ein weiteres Mittel für die Regierung ist, gerade den Leuten aus der Klemme zu helfen, die aus der Spekulationsblase Millionen schlugen und besonders bekannt dafür waren, jahrelang die Finanzen der Partei Fianna Fáil zu tragen. Dies muss nicht wahr sein – einige große Bauträger werden pleite gehen.

Doch falls dieser Ansicht weitgehend Glauben geschenkt wird – und zumindest die Sinn Féin schlägt viel Lärm darum – dann könnte das eine starke Einbuße an Ja-Stimmen für Lissabon bedeuten. Es wäre sehr unklug, eine Mehrheit als selbstverständlich vorauszusetzen, bis die letzten Stimmen ausgezählt sind.

WIRTSCHAFTSKRISE

Irlands größter Taschendieb NAMA

Die Kontroversen um die NAMA (aus dem Englischen National Asset Management Agency, auf Deutsch: Nationale Agentur für Vermögensverwaltung) überschatten die Streitgespräche zum Vertrag von Lissabon, über den am 2. Oktober ein Referendum entscheiden soll. NAMA ist eine von der irischen Fianna Fail-Regierung und ihrem unbeliebten Premierminister Brian Cowen gegründete "Bad Bank" (aus dem Englischen, "schlechte Bank"). Ihr Angebot: Sie kauft die wertlosen Anlagen auf, in denen Irland dank der Anlagen-Spekulationsblase schwimmt. 2007 platzte sie zum letzten Mal und machte aus Irland einen von den EU-Mitgliedsstaaten, welche die Krise am Schwersten traf. Den Gesamtwert der Kredite, die Irland aufkaufen muss, schätzt man auf 90 Milliarden Euro. Damit wäre Irland auch einer der weltweit größten Eigentümer. Eine kürzlich gemachte Umfrage der Irish Times/TNS mrbizeigt, dass nur 26 Prozent der Befragten damit einverstanden sind, während 40 Prozent sich dagegen aussprechen und 34 Prozent keine Meinung dazu äußern. Ablesen kann man an diesem Ergebnis vor allem die Stimmung, welche die gesamte Republik erfasst hat. Weit und breit wirft man der Regierung und den Banken Verantwortungslosigkeit und falsche Unternehmensleitung und -verwaltung während des irischen Wirtschaftswachstums (eine Zeitraum, den man auch den "Keltischen Tiger-Boom" nennt) vor. Der am Trinity College in Dublin lehrende Professor Brian Lucey schreibt in der Irish Times darüber, dass "die Menschen sehr wohl den so tief sitzenden unmoralischen und unfairen Kern der NAMA begreifen, auch wenn sie nicht alle Einzelheiten und Formalien verstehen". Er bemerkt, dass die NAMA "eine bewusste Entscheidung" darstellt, um "das Geld der Steuerzahler dafür zu nutzen, Banken für ihre wertlosen Anlagen überzubezahlen, um dadurch mehrere Milliarden Euros von den Steuerzahlern zu den Aktionären der Banken zu transferieren". Um den anschließenden Rückkauf zu garantieren, wird der Staat für die notwendigen Ausgaben verpflichtet, die an den internationalen Markt gebunden sind. "Genau dadurch werden aber nicht die Schwierigkeiten berücksichtigt, mit denen die neuen Ausgaben für Schulden in den nächsten Jahren rechnen müssen". Man baut auf die unsichere und nicht zu überprüfende Annahme, dass die Eigentumspreise sich im Laufe der Zeit aufwärtsentwickeln und die wertlosen Anlagen wieder gewinnbringend machen. Lucey wirft den "ranghohen Bürokraten der Merrion Street" (irländisches Finanzministerium) vor, realitätsfremd zu handeln.

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