Analyse Zivilgesellschaft und extreme Rechte | Italien

Italiens Zivilgesellschaft lässt sich von Meloni nicht zähmen

Die rechtsextreme Regierung unter Giorgia Meloni zeichnet sich seit ihrem Amtsantritt durch Repressionen aus - gegen Migranten, gegen die LGBTQIA+-Gemeinschaft, gegen Klimaaktivisten und Demonstranten. Doch die italienische Gesellschaft wehrt sich.

Veröffentlicht am 30 April 2024 um 14:36

Am 25. Oktober 2022 erklärte die frisch gewählte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in ihrer Antrittsrede vor der italienischen Abgeordnetenkammer: „Es wird mir schwerfallen, keine Sympathie für Leute zu empfinden, die auf die Straße gehen, um unsere Politik infrage zu stellen.”

Denn Kämpfe, so Meloni, haben auch ihr politisches Engagement geprägt. Gerne erinnert sich die Ministerpräsidentin an ihre Vergangenheit als junge Aktivistin in den Jugendorganisationen der italienischen Neofaschisten: „Ich habe in meinem Leben an vielen Demonstrationen teilgenommen und sie organisiert, und ich glaube, dass ich nirgendwo mehr gelernt habe als dort”, sagt sie.

Bei genauem Hinsehen entpuppte sich ihre „Sympathie” für Demonstranten und Andersdenkende jedoch als reine Propaganda. Die Regierung Meloni und die parlamentarische Mehrheit, die von ihrer rechten Partei – Fratelli d'Italia – geführt wird, haben nämlich von Anfang an versucht, abweichende Meinungen zu unterdrücken und zu kriminalisieren. 


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Die erste offizielle Maßnahme war das sogenannte „Anti-Rave-Dekret” vom 31. Oktober 2022. Anlässlich einer umstrittenen Rave-Party im norditalienischen Modena führte die Regierung ad hoc 3 bis 6-jährige Haftstrafen ein für die „Organisation von Versammlungen, die die öffentliche Ordnung gefährden.”

Auf die Kritik der Opposition und seitens verschiedener Rechtsexperten hatte Meloni geantwortet, dass „wir nicht in einer Bananenrepublik leben” und dass in Italien „Dinge nun unter Einhaltung der Regeln und Gesetze des Staates getan werden”. 

Von da an kam es zu einer langen Reihe repressiver Maßnahmen: Nacheinander wurden Dekrete zur Bekämpfung der Einwanderung und zur Einschränkung der legalen Einreisemöglichkeiten nach Italien verabschiedet. Dazu kamen neue Vorschriften zur Behinderung bei der Rettung von Flüchtlingen und Migranten im Mittelmeer; Strafgesetze, die sich speziell gegen Klimaaktivisten richten, sowie ein „Sicherheitspaket”, durch das die Strafen für geringfügige Vergehen wie zum Beispiel Straßensperren, erheblich verschärft wurden.

Hinzu kamen verschiedene Vorschläge von Abgeordneten der Fratelli d'Italia, die in eine noch repressivere Richtung gehen, darunter die Einführung einer Strafe für „Straßenterrorismus” und die Änderung des Straftatbestands der „Folter”. Dieser Strafbestand wurde erst 2017 eingeführt und behindert die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden seither erheblich.

Auch an konkreten Maßnahmen gegen die LGBTQIA+-Gemeinschaft mangelt es nicht, wie etwa das Verbot, Kinder gleichgeschlechtlicher Paare beim Standesamt anzumelden, das durch ein Rundschreiben von Innenminister Matteo Piantedosi angeordnet wurde. Seitdem können Geburtsurkunden von Kindern gleichgeschlechtlicher Paare, die im Ausland durch künstliche Befruchtung gezeugt wurden, nicht umgeschrieben werden. Und die Regierung plant, noch weiter zu gehen und die künstliche Befruchtung für die Zeugung von Kindern gleichgeschlechtlicher Paare zu kriminalisieren.

Kurz gesagt: Die Regierung Meloni geht entschlossen gegen jeden vor, den sie als „Feind” deklariert oder der ein Hindernis für die Durchsetzung ihres Programms darstellen könnte. 

Wie reagieren diese „Feinde”?

Obwohl es keine Massenproteste gibt, wie zum Beispiel in Deutschland gegen die Alternative für Deutschland, hat sich der Widerstand gegen die Regierung und die extreme Rechte in verschiedenen Formen und zu unterschiedlichen Anlässen manifestiert.

So gab es „Proteste gegen die Repression der Regierung selbst und Proteste gegen bestimmte politische Maßnahmen im Bezug auf Arbeitsfragen oder Gewalt gegen Frauen”, erklärt Donatella Della Porta, Professorin an der Scuola Normale Superiore in Pisa und Leiterin der interdisziplinären Forschungsgruppe Cosmos (Center on Social Movement Studies), gegenüber Voxeurop. Solche Initiativen hat es schon immer gegeben, aber unter einer Regierung wie der von Meloni haben sie noch stärker regierungsfeindliche Züge angenommen”, sagt sie.

In den letzten beiden Jahren richtete sich beispielsweise die traditionelle feministische Demonstration am 25. November – die am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen stattfindet und von der feministischen Bewegung Non Una Di Meno organisiert wird – auch gegen die Regierung Meloni, der vorgeworfen wird, nichts gegen die patriarchalische Kultur in Italien zu unternehmen und die staatlichen Mittel für die Prävention von Gewalt gegen Frauen zu kürzen.


Die Regierung Meloni geht entschlossen gegen jeden vor, den sie als „Feind” deklariert oder der ein Hindernis für die Durchsetzung ihres Programms darstellen könnte


Klimaaktivisten, wie zum Beispiel die Gruppe Ultima Generazione (eine Bewegung, die sich an der gewaltfreien Taktik von Just Stop Oil orientiert) haben ebenfalls die Untätigkeit der Regierung in Bezug auf die Klimakrise kritisiert. Sie fordern einen Ausbau von erneuerbaren Energien und die Streichung von Plänen für neue Erdgasbohrungen. 

Als Reaktion darauf verabschiedeten die Regierung und Melonis Parlamentsmehrheit ein Gesetz gegen sogenannte „Ökovandalen”, das bis zu sechs Jahre Gefängnis für diejenigen vorsieht, die Schäden an Kultur- oder Landschaftsgütern verursachen. Damit wurde die Hauptprotestform der Letzten Generation, die u.a. Kunstwerke im öffentlichen Raum oder in Museen mit Suppe bewirft, ins Visier genommen. Um den zunehmend repressiven Ad-hoc-Gesetzen und den strafrechtlichen Verfolgungen nicht ausgesetzt zu sein, war die Bewegung gezwungen, weniger radikale Taktiken anzuwenden.

Besser lief es dagegen für eine Gruppe von „Regenbogenfamilien” in der norditalienischen Stadt Padua, die gerichtlich für die Rechte ihrer Kinder gekämpft hatte. Anfang März 2024 erkannte das Gericht daraufhin die Gültigkeit der Geburtsurkunden von 35 Minderjährigen an, die die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage des oben erwähnten Rundschreibens von Minister Piantedosi annullieren wollte.

Außerhalb der Gerichtssäle findet der Protest auf der Straße statt, wobei besonders viele Demonstrationen sich derzeit auf den Konflikt zwischen Israel und der Hamas beziehen. Nach Angaben des Innenministeriums gab es seit dem 7. Oktober über 1.000 Protestaktionen zugunsten Palästinas und für einen Waffenstillstand. 

Nach Ansicht von Professor Della Porta hätten diese Demonstrationen auch unter einer Mitte-Links-Regierung stattgefunden, aber die rechtsextreme Regierung habe zur „Vernetzung verschiedene Akteure geführt”- von palästinensischen Vereinigungen in Italien bis hin zu linken sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Parteien und Studentenvereinigungen.

Studenten und Schüler standen in den letzten Monaten stets an vorderster Front und wurden bei vielen Gelegenheiten Opfer harter polizeilicher Repressionen. Der umstrittenste Fall ereignete sich am 23. Februar in Pisa, als eine Gruppe von Gymnasiasten – darunter mehrere Minderjährige – von Polizeibeamten gewaltsam angegriffen wurde.

Videos, die zeigen, wie junge Schüler - einige von ihnen sind Teenager - von Polizisten mit Knüppeln geschlagen werden, haben die Öffentlichkeit zutiefst erschüttert und zu einer Intervention von Staatspräsident Sergio Mattarella geführt. Dieser hatte in einer offiziellen Mitteilung erklärt, dass „ der Einsatz von Knüppeln gegen junge Menschen ein Ausdruck des Versagens ist.”

In gewisser Weise, so Della Porta, sei mit der Niederschlagung der Proteste in Pisa der „Höhepunkt der Gewalt erreicht worden, wodurch die Regierung austesten wollte, wie weit sie gehen kann.” Die Proteste klingen seitdem jedoch keinesfalls ab, im Gegenteil.

Es gibt „eine neue Generation, die äußerst sensibel für politische und soziale Fragen ist und auch der Rest der Italiener mobilisiert sich derzeit nicht weniger.” Die Zivilgesellschaft lässt sich also „nicht bändigen” – auch nicht durch die rechtsextremste Regierung in der Geschichte der Italienischen Republik.

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