Kann Agent Ungureanu sein Land retten?

Mit der Ernennung seines Geheimdienstchefs zum Ministerpräsidenten will Staatspräsident Traian Basescu vorgezogene Wahlen vermeiden. Aber ist der umstrittene Mann wirklich der Richtige, um den Protesten gegen Sparkurs und politische Eliten ein Ende zu bereiten, fragt die rumänische Presse.

Veröffentlicht am 8 Februar 2012 um 14:58

Als am 6. Februar bekannt wurde, dass Mihai Razvan Ungureanus neuer Ministerpräsident werden soll, waren die Rumänen argwöhnisch. Am heftig umstrittenen Sparkurs werde dies nichts ändern, hieß es. Mit seiner Entscheidung für Ungureanu geht Staatspräsident Traian Basescu vorgezogenen Wahlen aus dem Weg und somit “aufs Ganze”, meint România liberă:

Basescu setzt auf eine genau definierte Politik in Rumänien. Denn wenn etwas dazu geführt hat, dass Bocs Regierung ihre Glaubwürdigkeit verlor, dann nicht die Sparmaßnahmen und die vereinzelten Demonstrationen, sondern der Eindruck fortwährender Schwäche und endloser Kompromisse. Abgesehen davon könnte man sich auf dem Boden wälzen, wenn man hört, wie die Opposition im Fernsehen erklärt, dass ‘wir von der Securitate regiert werden’. Sie [die Opposition] haben keine Ahnung davon, wie der Geheimdienst (SIE) arbeitet und wofür sein Direktor verantwortlich ist. Sie beziehen sich nur auf ihre eigene Erfahrung als ehemalige Securitate-Mitarbeiter. Der SIE macht ganz andere Dinge und arbeitet eng mit der CIA zusammen. Spionage hat nichts mit sexy Mädchen und Sportwagen zu tun, sondern mit klar definierten Aufträgen und deren angemessener Durchführung.

Für Jurnalul National ist Ungureanu dagegen der “Golden Boy” des Geheimdiensts. Mit seiner Ernennung wird der “Kreislauf des nationalen Verfalls” durchbrochen und der “Traum des Präsidenten” der Wirklichkeit ein Stück näher gebracht:

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die Schaffung einer euro-balkanischen Militärjunta, die eine verarmte Bevölkerung unterdrückt, indem sie Angst schürt. Was soll ein vom Geheimdienst unterstütztes Regime anderes sein als ein Militär[regime]? Der Präsident wollte beweisen, dass er das Oberhaupt eines Polizeistaats ist, und sowohl seine Partner als auch seine Gegner mundtot machen.

Daran, dass “ein Spion Regierungschef sein kann”, zweifelt auch der Politologe Cristian Pârvulescu in Adevărul:

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Wenn ein aktiver Spion es an die Spitze der Regierung schafft, verrät das Vieles darüber, wie es um die Demokratie in Rumänien steht. Damit ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Präsidentialisierung des Regimes getan. Obendrein dürfte er als ehemaliges stellvertretendes Mitglied des Zentralkomitees der jungen Kommunisten 1989 dieses Amt schon aus moralischen Gründen nicht bekleiden. Er gehört zur Nomenklatura. Würde das Lustrationsgesetz [Entlassung ehemaliger kommunistischer Führungskräfte] gelten, dürfte er dieses Amt im Staat nicht wahrnehmen.

România liberă sieht das ganz anders und betont, dass Ungureanu kein Mitglied von Ceausescus Geheimdienst Securitate gewesen sei:

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Er war ein Staatsbeamter, der von der Politik beauftragt wurde, eine schwierige Institution zu leiten. Ehrenhaft hat er seine Aufgabe erfüllt. Vor fünf Jahren verlangte der damalige Regierungschef von ihm, seinen Posten als Außenminister aufzugeben. Nun wird er damit beauftragt, die Regierung zu bilden. Ironie des Schicksals?

Abgesehen von all diesen Diskussionen stellt sich die Wochenzeitung Revista 22 folgende Frage: “Ist dieser SIE-Chef das, was unser Land braucht?”

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Vermutlich nicht. Was versteckt sich hinter der [Bestellung] eines Geheimdienstchefs an die Spitze der Exekutivgewalt mitten im Wahlkampfjahr? Wie wird er innerhalb der [liberaldemokratischen Regierungs-]Partei [PDL] und den Ministerien mit dem politischen Puzzle aus Interessen und Korruption umgehen? Wie wird er der PDL-Führung gegenübertreten, den Wahlkampf finanzieren und dafür sorgen, dass faire Wahlen abgehalten werden? Machen wir uns angesichts Bocs schwerem Erbe nicht allzu viele Illusionen.

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