Barcelona demonstriert gegen einen spanischen Hilfsanstrag an Brüssel. 11. Juni 2012

Katalonien sinkt auch

Katalonien wird Finanzhilfe in Madrid beantragen und verschärft damit die landesweite Schuldenkrise. Jetzt wird deutlich, wie weit die Regionen über ihre Verhältnisse gelebt haben, meinen die Zeitungen aus Madrid und Barcelona.

Veröffentlicht am 25 Juli 2012 um 15:18
Barcelona demonstriert gegen einen spanischen Hilfsanstrag an Brüssel. 11. Juni 2012

„Katalonien bittet um Rettung“. Mit diesen Worten kommentiert El País Artur Mas’ Erklärung vom Vortag. Der Regierungschef Kataloniens wird bei der Zentralregierung Finanzhilfen beantragen. Katalonien ist nicht nur eine der wohlhabendsten, sondern auch eine der am höchsten verschuldeten Regionen Spaniens: 42 Milliarden Euro Schulden, von denen 5,7 Milliarden Euro allein 2012 zurückgezahlt werden müssen. Nach Valencia und Murcia ist [Katalonien] die dritte Region Spaniens, die unter den mit 18 Milliarden Euro ausgestatteten Rettungsschirm des nationalen Autonomen Liquiditätsfonds (FLA) schlüpfen muss. Mitten in dem finanziellen Unwetter, das über Spanien und die Eurozone herzieht, kommt die Nachricht dieser „Krise der Regionen“ äußerst ungelegen, meint die Tageszeitung auf ihrer Titelseite. Die Risikoprämie, d. h. die Differenz zwischen deutschen und spanischen Zinssätzen, erreicht mit 6,5 Prozent Rekordhöhen. Ebenso sieht es mit den Zinsen auf zehnjährige Staatsanleihen aus (7,6 Prozent). All das deutet darauf hin, dass...

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für die Regionen eine akute Phase der Finanzkrise einsetzt, deren erste und schlimmste Auswirkung eine erneuter Vertrauensverlust der Investoren in die spanische Zahlungsfähigkeit sein wird.

Die Verantwortung liegt sowohl bei den Regionen als auch bei Mariano Rajoys Regierung, meint die Tageszeitung.

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Viele Jahre lang haben es die Regionen immer wieder versäumt, ihre Wirtschafs- und Finanzprogramme umzusetzen. Der daraus resultierende kontinuierliche Schuldenanstieg wurde von den aufeinander folgenden Regierungen stillschweigend geduldet. Aus politischen Gründen oder purer Fahrlässigkeit verpassten sie es, darauf zu achten, dass die Defizit-Verpflichtungen auch alle eingehalten werden. Was die Öffentlichkeit und die Investoren [aber] tatsächlich so schockiert, ist das chaotische Verhältnis zwischen der Zentralregierung und den Regionalregierungen. [...] Die Exekutive hatte keinerlei genaue Informationen über die wirkliche Situation der regionalen Konten. Dieses und andere Versäumnisse haben uns in eine Lage gebracht, aus der es keinen Ausweg mehr gibt.

„Katalonien gesteht Zusammenbruch ein“, titelt El Mundo. Die Tageszeitung aus Madrid stellt die regionalen Führungskräfte an den Pranger und fordert, all das „zu kürzen, was entbehrlich ist“:

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Niemand will hören, dass die Bemühungen, die uns diese Rettungspakete abverlangen, auch weiterhin von der Bevölkerung getragen werden müssen, während die Eliten der Regionen ihre Machtstrukturen unverändert aufrechterhalten. Bisher hat noch keine einzige Region auf ihre dramatische Lage reagiert. Unterdessen versprach die Exekutive, die Forderungen Brüssels um jeden Preis zu erfüllen. [...] Um die Ausgaben zu senken, wird sich die Regierung sehr anstrengen müssen. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass die Regionen sich mit allen Mitteln gegen den Abbau ihres eigentlich entbehrlichen Apparates wehren werden (Regionalfernsehen, ‚Botschaften’ und andere, die Zentralregierung nachahmende Institutionen). [...] Sollte es Rajoy nicht gelingen, die Regionen jetzt, wo sie Pleite sind, wieder unter seine Kontrolle zu bringen, wird er auf ewig mit diesem Fehler leben müssen.

Die Zeitungen Kataloniens heben unterdessen hervor, dass die Rettung in dem Augenblick angekündigt wird, in dem das Regionalparlament den „Fiskalpakt“ diskutiert. Dieser sollte dazu genutzt werden, die Beteiligung Kataloniens am landesweiten Steuersystem mit Madrid neu auszuhandeln. Ziel ist es, die Steuerbeteiligung und damit den Beitrag an der Finanzierung anderer Regionen zu senken und zunehmend wirtschaftliche Ressourcen in der Region zu halten. Ganz so, wie es im Baskenland Tradition ist – einem Ausnahmefall im spanischen Steuersystem. Dabei ist Katalonien aber „weder reich noch trächtig“, titelt El Periódico mit Bezug auf die geforderte Neuverhandlungen des Fiskalpakts. Die Region sollte also vielmehr „vom Fiskalpakt ablassen“, meint El Periódico-Chefredakteur Enric Hernández:

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Ein Schiffbrüchiger verlangt keine Gegenleistung von demjenigen, der ihm einen Rettungsreifen zuwirft. In diesem Sinne ist es auch keine gute Idee, sich dem Diktat des Haushaltsministers zu unterwerfen und gleichzeitig den Schlüssel für den Tresor zu fordern. Will sich Katalonien würdevoll aus der Affäre ziehen, sollte es weiterhin auf den Fiskalpakt beharren, aber auf die Verhandlungen mit dem Staat verzichten, bis sich der Wind gedreht hat.

La Vanguardia ist dagegen der Meinung, dass „die Generalitat [Regionalregierung] einen außerordentlich wichtigen Sprung nach vorn getätigt hat: Für staatliche Hilfen verzichtet sie auf einen Teil ihrer Autonomie“. Mit einem Hauch Ironie stellt das Blatt eine Parallele zur Reaktion Mariano Rajoys auf die EU-Hilfen für die spanischen Banken her:

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Die katalonische Exekutive versichert, dass es weder eine Rettung noch einen Eingriff [von außen] geben wird und sich das Ganze auf einen Kreditrahmen beschränkt, dessen Bedingungen nur für geliehenes Geld gelten. So ähnlich drückte sich Rajoy anlässlich der Bankenrettung aus, deren Bedingungen erst im Nachhinein bekannt wurden. Und der Erfolg dieser Theorie ist wohlbekannt.

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