Demonstration für die Legalisierung illegaler Einwanderer (Belgien). Photo von Skender.

Kleiner Schritt für Illegale

Zwei Wochen nach einer Verschärfung seines Einwanderungsrechts macht Italien einen Rückzieher und setzt die Abschiebung Tausender illegaler Einwanderer aus. In Belgien einigt sich die Regierung auf flexiblere Kriterien zur Legalisierung von Illegalen. Das sei sicher ein Fortschritt für Asylsuchende, aber ein zu kleiner, meint die Presse in beiden Ländern.

Veröffentlicht am 20 Juli 2009 um 17:23
Demonstration für die Legalisierung illegaler Einwanderer (Belgien). Photo von Skender.

"Für immer werden wir uns an die Maroni-Sacconi- Legalisierung erinnern; und zwar als diejenige, welche die Anzahl der Ausländer im multiethnischen Italien auf fünf Millionen begrenzte", schreibt die Sole 24 Ore. Dabei bezieht sie sich auf den Legalisierungsakt, den die italienischen Innen- und Arbeitsminister gerade entschieden haben. "Der Landesdurchschnitt der Anzahl von Personen aus außereuropäischen Ländern sollte sich demnach dem Frankreichs und Deutschlands annähern". Für Gian Carlo Blangiardo von der Milaner Universität Bicocca könnte diese zukünftige "einundzwanzigste italienische Region" ein Heilmittel für die strukturellen Krankheiten des Landes sein: Die Überalterung der Bevölkerung und der Rückgang der Geburtenzahlen.

Der pragmatische Entscheid der italienischen Regierung lässt sich auf die Tausende Einwanderer, die auf der Halbinsel als Haushaltshilfen arbeiteten, zurückführen. "Man kann wirklich den Eindruck bekommen, dass der Gesetzgeber hier vollkommen widersprüchlich handelt", meint Valerio Ondia und betont die Zusammenhangslosigkeit betont, die seiner Meinung nach zwischen der harten Linie der Regierung und dem verhängnisvollen Problem der Einwanderung besteht. Onida verurteilt einerseits die italienische Gesetzgebung, welche die Einreise von Einwanderern, die von einem Arbeitgeber "unterstützt werden", seit 2002 verbietet. Andererseits tadelt er aber auch, dass man sich noch immer weigert, die Konvention des Europarates (1992) anzuerkennen, welche den seit mindestens fünf Jahren in einem EU-Land lebenden Einwanderern eigentlich das Wahlrecht zugesteht.

Diese Angelegenheit vergiftet auch das politische Leben Belgiens. Seit zwei Jahren schon sind die Mitglieder der Regierungskoalition nicht fähig, eine gemeinsame Vereinbarung zu treffen. Unterdessen vervielfachten sich Demonstrationen, Hungerstreiks und Besetzungen von Kirchen. Am Samstag, den 18. Juli, haben die Minister des Königreiches schließlich doch "eine Reihe von Vorschriften" ausgearbeitet, die das Schicksal der in Belgien lebenden illegalen Einwanderer regeln soll. "Illegale Einwanderung: Der Sieg von Van Rompuy", so titelt das französischsprachige Tagesblatt und betont "den edlen Sieg des Regierungschefs", der es geschafft hat, diesen "wichtigen Streit innerhalb der Mehrheit der französischsprachigen Parteien und der flämischen Liberalen" zu beenden.

Diesen neuen Legalisierungskriterien zufolge könnten die Fälle derjenigen illegalen Einwanderer nun bald gelöst werden, die Opfer "ungewöhnlich lang andauernder Prozeduren" geworden sind. Genau genommen bedeutet das: Drei Jahre für Familien mit eingeschulten Kindern und vier Jahre für alle anderen. Das Abkommen sieht auch die Möglichkeit einer Legalisierung aufgrund "gesellschaftlich dauerhafter Verankerung" vor. Im Klartext heißt das, dass man die Integration des Antragsstellers berücksichtigt (Kenntnisse der Landessprachen, soziale Bindungen, die in Belgien geknüpft wurden etc.). Auch wenn es sich natürlich nicht um eine Massenlegalisierungen aller Asylbewerber handelt, so könnten, laut der flämischen Tageszeitung De Standard, dennoch etwa 25.000 von ihnen von diesen neuen Bestimmungen profitieren.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Diese Vereinbarung ist "für alle diejenigen, die seit Jahren auf eine Entscheidung warten, wirklich ein kleines Wunder", gibt die Leitartiklerin der französischsprachigen Tageszeitung [Le Soir](http://www.lesoir.be/forum/editos/2009-07-20/accord-petit-miracle-duree-vie-limitee-718564.shtml) zu. Dennoch bedauert sie die aktuelle Form der Bestimmungen, die eben nur Anweisungen und keineswegs ein allgemeingültiges und offizielles Rundschreiben sind. Sie befürchtet, dass ihre Lebensdauer daher begrenzt sein könnte. "Dem Abkommen haftet genau der gleiche Fehler an, der jeder Einwanderungspolitik in diesem Land innewohnt: Man verfasst einen Text, der keineswegs ordnungsgültigen Charakter hat. (…) So als ob alles in Sachen Asyl vergänglich bleiben müsste. So als ob alles dazu imstande sein müsse, von einem Tag auf den anderen zu verschwinden, je nachdem wie der politische Wind gerade steht".

Ebenso kritisiert die flämische Presse diese Minimalvereinbarung. "Der Berg kreiste und gebar eine Maus", schätzt De Standaard die Situation in seinem Leitartikel ein. "Die Regierung [hat] für die Zukunft kein einziges Kriterium [definiert]. Daraus ergibt sich eine erhebliche juristische Ungewissheit. (…) Die Minister haben nur die Hälfte ihrer Hausaufgaben gemacht". In der Tageszeitung [Het Belang van Limburg](http://www.hbvl.be/nieuws/binnenland/aid849012/belgie-houdt-open-deur-voor-illegalen-en-mensensmokkelaars.aspx) befürchtet Jean-Marie Dedecker der flämischen Partei LDD (Lijst Dedecker, rechtsextrem) vor allem, dass potenzielle Asylbewerber sich zur Antragsstellung nur noch zusätzlich ermuntert fühlen könnten: "Amerika hat seine Green Card, Europa hat seine Blue Card (Aufenthaltsgenehmigung), aber in Belgien scheint die Blankokarte zu gelten. Man überlässt es jeder nach Belgien kommender Person selbst, sich dauerhaft niederzulassen". In La Libre Belgique bereiten Paul Biret hingegen die "unscharfen juristischen Umrisse" des Textes Sorgen, sowie die rätselhafte "Koordinierungsrolle" des Regierungschefs, die dieser ebenfalls vorsieht. Vorausschauend rechnet er schon jetzt mit eventuellen politischen Komplikationen: "Die Flamen werden es sich nicht nehmen lassen, die „zu große wallonische Nachgiebigkeit“ anzuprangern, wenn es zu einem mit den gegenwärtigen Zahlen verglichenen Anstieg der Legalisierungszahlen kommt. Dabei seien die Gründe völlig unwichtig."

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema