Arbeit auf portugieisische Art, meint Angela Merkel.

Merkel – Populismus macht keinen Urlaub

Mit ihrem Kommentar, Griechen, Portugiesen und Spanier hätten zu viel Urlaub, verbreitet Angela Merkel nicht nur auf Stereotypen fussende Fehlinformationen, sondern rüttelt an den Grundfesten der EU, bedauert eine portugiesische Kolumnistin.

Veröffentlicht am 19 Mai 2011 um 15:54
Guerretto  | Arbeit auf portugieisische Art, meint Angela Merkel.

Dieser die ganze Europäische Union erobernde Populismus- und Fremdenfeindlichkeits-Trend wird uns noch teuer zu stehen kommen. Wir sind dabei, mehr als fünf Jahrzehnte Frieden und Entwicklung zu zerstören. Dafür verantwortlich sind ganz besonders Europas wohlhabende Länder.

Auch wenn Angela Merkels Aussagen zu Portugal, Spanien und Griechenland der üblichen Frechheit zuzuordnen sind, die in Wahlkampagnen so an den Tag gelegt wird, gießt die deutsche Kanzlerin damit Öl in ein bereits gefährlich loderndes Feuer.

Die Aussage der deutschen Kanzelerin schockiert: Den Menschen in Ländern wie Portugal, Spanien und Griechenland könnte nicht noch mehr Urlaub gewährt werden. Sie dürften nicht weniger arbeiten und eher in Rente gehen als die Deutschen. Und selbst wenn ihre Worte der Wahrheit entsprächen, hätte sie diese einfach nicht aussprechen dürfen. Schließlich beruht der Erfolg der Einheitswährung nicht darauf. Und solche Aussagen dienen nur denen, die immer weniger dazu bereit sind, andere Euro-Länder in finanziellen Schwierigkeiten zu unterstützen.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Was den Euro wirklich schwächt

Wenn man sich allerdings die Statistiken anschaut, sieht man, dass Merkels Aussagen keineswegs der Realität entsprechen: Tatsächlich ist nichts von dem, was sie sagt, wahr. Europaweit haben die Deutschen die meisten Urlaubstage. Die Griechen arbeiten am meisten. Und die Niederländer gehen als letzte in Rente, auch wenn die Portugiesen ihnen mit dem vierten Platz dicht auf den Fersen sind.

Die Behauptung, eine Einheitswährung mache die gleiche Anzahl von Urlaubstagen, Arbeitsstunden und das gleiche Rentenalter erforderlich, trägt nur zu immer mehr Nicht-Wissen bei – dem besten Freund von Populismus und Fremdenfeindlichkeit. Derartige Vereinheitlichungen sind nämlich die Folgen – und eben nicht die Bedingungen – für den Erfolg des Euro.

Was den Euro wirklich schwächt, sind Entscheidungen wie diejenige, das Schengen-Abkommen einfach mal aufs Abstellgleis zu schieben, obwohl es doch den freien Personenverkehr in der Eurozone gewährleistet. Oder aber der Mangel an gemeinsamen Instrumenten wie einem Haushalt, Fonds oder anderen Mechanismen zur Abwehr der über uns hereinbrechenden asymmetrischen Schocks.

Futter für das Populismus-Monster

Schengen wegen der nordafrikanischen Flüchtlinge außer Kraft zu setzen, schadet der Einheitswährung weitaus mehr, als die Schulden Portugals, Griechenlands, Spaniens und Irlands zusammen. Und es trägt vor allem dazu bei, die Harmonisierung des Arbeitsmarktes, an der Merkel so sehr hängt, noch weiter hinauszuzögern.

Dass es noch immer keine glaubwürdige Einigung gibt, wie man den Euro-Ländern in finanziellen Schwierigkeiten helfen kann (Wirtschaftsexperten verstehen darunter die Länder, „die einen asymmetrischen Schock“ erlitten haben), macht den Euro viel anfälliger als diese Fragen, die den Populisten gerade in den Kram passen.

Schaut man sich die nackten Tatsachen an, so sind Länder wie Griechenland, Irland, Portugal und Spanien Opfer eines asymmetrischen Schocks innerhalb der Währungsunion. Es gibt vielfältige und unterschiedliche Gründe dafür, dass diese und eben nicht andere Länder sich nun in dieser Situation befinden. Aber letztendlich tragen doch alle Mitglieder der Eurozone Verantwortung für was geschehen ist. Wenn beispielsweise Holland einen asymmetrischen Schock erleiden würde, dann würde man das Problem mit dieser Vernunft und ohne Merkels Populismus angehen.

Wir wollen nicht, dass es in der Eurozone Länder gibt, die noch immer an der alten Theorie jenes niederländischen Ministers festhalten, der es Ende der 1990er Jahre ablehnte, dass die südlichen Länder Europas – der „Club Med“, wie er sie nannte – der Eurozone beitreten. Wir wollen nicht, dass die Hilfspakete letztlich dazu führen, dass die Anspruchnehmer aus der Eurozone ausgeschlossen werden. Angela Merkel muss der Erinnerung an Konrad Adenauer und dem Erbe Helmut Kohls Ehre erweisen.

Wenn man das in der Eurozone wachsende populistische Monster füttert, dann öffnet man damit die Büchse der Pandora und erweckt die gefährlichsten Schreckgespenster der europäischen Vergangenheit zu neuem Leben. Die Deutschen wissen, dass das europäische Projekt weit mehr verdient als populistische Anstöße. Und selbst Angela Merkel weiß, dass eine Wahl weniger wert ist als das Überleben des Euro. (jh)

Aus Deutschland

Merkel mischt

Angela Merkels markige Worte über die Urlaubsdauer und das Rentenalter der Südeuropäer finden keinen Zuspruch in der deutschen Presse. Seit gestern hält sie der Kanzlerin per Statistik vor, dass sie unrecht hatte. Darunter auch die konservative Welt, die „Europas Einheitsbrei“ titelt und erklärt, warum Merkel da ein falsches Signal aussandte. "Die Worte der Kanzlerin zeigen, in welche Richtung der europäische Zug fährt. Harmonisierung lautet das Schlagwort. Die Iren sollen bitte schön ihre niedrigen Unternehmenssteuern auf unser hiesiges Niveau anheben", schreibt die Berliner Tageszeitung. "Schließlich hängt auch das einstige europäische Wirtschaftswunderland am Tropf."

So richtig es ist, dass die Schuldenländer alles daransetzen müssen, wieder solide zu werden, so falsch wäre es, ihnen eine Einheitsmedizin vorzuschreiben. Die Verantwortung für die nationalen Sparprogramme tragen die jeweiligen demokratisch gewählten Regierungen. Vielleicht findet Hellas andere Wege als wir, die Soziallasten zu reduzieren. Die Rente mit 67 ist schließlich nur einer von vielen möglichen Einschnitten. Weitere Pensionskürzungen beispielsweise bringen kurzfristig viel mehr. Bei uns ist die Überalterung der Gesellschaft schon weiter fortgeschritten als in Südeuropa. Und so sind bei uns, aber nicht in Griechenland, die Älteren am Arbeitsmarkt unentbehrlich. Und für Irland ist möglicherweise gerade das attraktive Steuersystem der wichtigste Standortvorteil und somit die beste Chance, wieder zu der alten Wachstumschance zurückzufinden. Europa sollte sich hüten, auf Einheitslösungen zu bauen.

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema