Frau Ludl findet ihr Hörgerät nicht, mal wieder. Genauer gesagt: Die Schwester, die in ihrem kleinen Zimmer die Kissen auf dem Bett umdreht und alle Nachttischschubladen aufzieht, findet es nicht. Frau Ludl selbst weiß nicht, dass sie ein Hörgerät besitzt. Sie ist allerdings schon seit ein paar Minuten ungehalten darüber, dass sie die Fragen der Reporterin kaum versteht. Sehen könne sie auch nicht mehr besonders, aber von ihren drei Brillen mag sie keine aufsetzen. Wären ihre Augen besser, könnte die alte Dame der Ansicht aus ihrem Fenster mehr Aufmerksamkeit schenken: Ein baufälliges Bauernhaus steht wenige Meter entfernt, daneben eine verfallene Holzscheune, davor ein Gemüsegarten mit rostigen Pflanzgittern.
Draußen ist die Slowakei. Frau Ludl weiß davon nichts, wegen ihrer Demenz – oder vielleicht müsste man in diesem Fall sagen: dank ihrer Demenz. Es ist erst gut einen Monat her, dass ihr Sohn und ihre Schwiegertochter die alte Dame in ihr Wohnmobil gesetzt und hierher gefahren haben, nach Zlatna na Ostrove nahe der ungarischen Grenze. 700 Kilometer ist ihr neues Zuhause von ihrem Heimatort in Bayern entfernt, die Fahrt dauerte einen ganzen Tag. Als alle Formalitäten erledigt waren, setzten sich Sohn und Schwiegertochter wieder ins Wohnmobil und fuhren davon. Ein Pflegeheim in Deutschland wäre zu teuer gewesen. Das zumindest erzählt der Sohn, der zu Hause ein Spielwarengeschäft führt. „Meine Mutter hat eine kleine Rente und muss davon auch noch 500 Euro Beitrag für ihre private Krankenversicherung zahlen. Ein deutsches Heim wäre so teuer, dass ich 1000 Euro pro Monat selbst beisteuern müsste.“
Die letzte Reise führt für immer mehr Deutsche in ein Pflegeheim im Ausland. In Ländern wie der Slowakei, in Tschechien oder Ungarn, aber auch in Spanien und Thailand gibt es eine wachsende Zahl an Einrichtungen, die sich speziell an westeuropäische Kunden wenden und häufig sogar von deutschen Betreibern geführt werden. Gemeinsam ist ihnen, dass die Pflege dort weit günstiger geleistet wird als in deutschen Einrichtungen. Denn hierzulande steigen die Heimkosten – knapp 2900 Euro waren es zuletzt für Pflegestufe 3.
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