Markt gegen Politik. Schachmatt in zwei Zügen.

Rettungsplan schlägt 27

Die massiven Rettungsaktionen, zuerst für Griechenland und dann für die Eurozone, sind kaum eine Beruhigung für die überspannnten internationalen Märkte. Das Problem, so David McWilliams, liegt darin, dass die Staaten ihr Schicksal an ein fragiles Bankensystem gekuppelt haben, und zwar auf Kosten ihrer Bürger.

Veröffentlicht am 17 Mai 2010 um 14:08
Markt gegen Politik. Schachmatt in zwei Zügen.

Wir schreiben gerade Geschichte. Die große Markterholung nach dem Euro-Rettungsplan hat sich schon wieder verlaufen, der Euro ist gefallen. Eine Konsequenz ist folgende: Die Märkte sind nicht davon überzeugt, dass die gewaltige Rettungsaktion von EU, IWF und EZB ausreicht.

Die Leute fragen, was eigentlich das Ausstellen eines so hohen Schecks bedeutet. Sind irgendwelche Bedingungen daran gekoppelt? Muss nicht die Integration innerhalb Europas viel stärker werden, damit solche Garantien überhaupt gültig sind? Die EU-Elite wünscht sich das zwar, die europäischen Völker allerdings nicht. Frankreich, Holland und Irland haben allesamt eine stärkere Integration abgelehnt, als sie darüber befragt wurden (okay, wir haben neu abgestimmt). Doch von der Straße her wird signalisiert, dass die Franzosen französisch und ungebunden bleiben wollen, die Niederländer genauso und zweifellos sind die Deutschen, die Dänen und die Griechen derselben Meinung.

Europas Finanzstruktur erinnert an den Ersten Weltkrieg

Also zieht die Bevölkerung an einem Strang, die Elite aus Politik und Banksektor an einem anderen. Infolge dieses instabilen Systems, das die finanziellen Strukturen der Länder durch gegenseitige Schuldscheine aneinander bindet, ist eine Diskrepanz zwischen den Interessen der Bürger und denen der Elite entstanden. Diese Kluft zwischen Staat und Bürgern führt zu einem Spektakel, in welchem ein Finanzministerium, das doch im Interesse des Durchschnittsbürgers handeln soll, Entscheidungen trifft, welche existierende Bankverträge bestätigen und nichts mit dem Durchschnittsbürger zu tun haben – und dieser dann die Rechnung dafür bezahlt.

Werfen wir doch einen Blick in die Vergangenheit. Aus einem historischem Blickwinkel betrachtet, erinnert die ganze Finanzstruktur Europas heute etwas unheimlich an das System von Bündnissen, das vor dem Ersten Weltkrieg bestand. Wie kam es denn dazu, dass junge Männer aus Dublin in belgischen Schützengräben starben, weil ein serbischer Nationalist in Bosnien den österreichischen Thronfolger ermordete? Und, ähnlich gefragt, wie kommt es, dass im irischen Waterford ein Kreditantrag zurückgezogen wird, weil die griechische Regierung nicht dazu fähig war, ihre Ausgaben zu beherrschen?

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Ansteckung verbindet alle mit allen

Erinnern wir uns, 1914 wurden die Bündnisse geschlossen, um einen Krieg zu verhindern. Letztendlich geschah das Gegenteil. Die Existenz des Euro bedeutet, dass alle Euro-Länder aneinander gebunden sind – und nicht nur in politischer Hinsicht. Das grundlegende Bindemittel, das diese Bündnisse zusammenhält, besteht aus hohen gegenseitigen Darlehen der Banken aus der Eurozone untereinander. Zum Beispiel schulden unsere irischen Banken den deutschen Banken allein 129 Milliarden Euro – das ist fast so viel wie unser Bruttoinlandsprodukt. Wenn Griechenland ins Schwanken kommt, entsteht eine Bruchlinie und die deutschen Banken fangen an, sich Sorgen zu machen, ob die Griechen ihre Kredite jemals zurückzahlen werden.

Infolge dieser Zweifel sehen dann auch die irischen Anleihen zweifelhaft aus, ganz einfach weil Banker nervöse Menschen sind. Und weil man sich nun schon Sorgen um bereits bestehende Kredite macht, wird niemand mehr weiterhin irischen Banken Geld leihen, und so wird ein geplanter Antrag für einen Unternehmenskredit in Waterford zurückgezogen. Die Arbeitslosenrate in Waterford steigt, doch sie steigt im ganzen Land und untergräbt unsere Wirtschaft weiter. Also verbindet diese Ansteckung, von der dauernd die Rede ist, jeden jederzeit mit jedem. Sie ist das finanzielle Pendant zu dem Ablauf, bei welchem Deutschland in den Krieg eintrat, um Österreich zu verteidigen, Russland einstieg, um die Serben zu unterstützen, und dann Frankreich und Großbritannien Russland zu Hilfe kamen. Plötzlich haben wir anstelle einer Krise in Griechenland und den europäischen Randländern eine kontinentweite Panik, die drastische Reaktionen auslöst. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, waren alle voller patriotischer Begeisterung, doch in Wirklichkeit erwarteten die meisten nur ein paar Scharmützel, danach werde dann die Vernunft überwiegen und die ganze Sache bis Weihnachten überstanden sein. Das sollte nicht der Fall sein.

Der Neustart liegt im Zweiklasseneuropa

Nun denke man an den gewaltigen Rettungsplan. Anfänglich waren die Märkte euphorisch. Schon 24 Stunden später waren sie nicht mehr so sicher. Wenn die Märkte letzte Woche einen Rettungsplan über 120 Milliarden Euro für Griechenland achselzuckend ignorierten, dann überrascht es kaum, dass sie jetzt einen Rettungsplan über 750 Milliarden Euro für ganz Europa ignorieren. Mit dem "immer höher steigenden Rettungsplan" sitzen wir in der Klemme: Wenn das nicht reicht, was dann? Jeder neue Rettungsplan muss noch viel größer sein als der vorige, und all das untergräbt die Glaubwürdigkeit der Rettungspläne überhaupt, weil so vielen Ländern das Geld ausgegangen ist – genau darin liegt ja der Kern des Problems.

Wie beim Ersten Weltkrieg schwindet die anfängliche Euphorie und es wird der Bevölkerung bewusst, dass sie mit einem langen, schwierigen Weg rechnen muss. Haben wir Lust auf noch mehr Sparmaßnahmen, um ein System von Bündnissen zwischen Banken zu retten? Ich bin nicht so sicher, dass der durchschnittliche Grieche, Spanier oder Ire den Mumm für das hat, was da auf uns zukommt. Anstatt Darlehen aufzunehmen, um ein Problem zu lösen, das durch die Aufnahme von zu vielen Darlehen überhaupt entstanden ist, liegt die offensichtliche Alternative darin, eine gemeinsame Nichterfüllung der Verpflichtungen zu organisieren. Wir müssen einsehen, dass wir mit Deutschland in der Einheitswährung nicht konkurrieren können, ein Europa mit zwei Geschwindigkeiten gründen und wieder von vorne anfangen. Doch etwas so Offensichtliches könnte nie funktionieren – oder doch? (pl-m)

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