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Wohin jetzt, Herr Sarkozy? Rom-Frau in einem Lager an einer Straßburger Autobahn.

Roma erneut am Pranger

Nach mehreren gewalttätigen Übergriffen hat der französische Präsident entschieden, sich der "Probleme, die das Verhalten einiger Roma auslösen", anzunehmen. Dafür zieht er insbesondere die Abschiebung nichtfranzösischer Roma in Betracht. In Frankreich wie auch in Rumänien macht diese vielfach angefochtene Politik erneut deutlich, dass es sich hierbei um ein europäisches Problem handelt.

Veröffentlicht am 28 Juli 2010 um 15:25
Wohin jetzt, Herr Sarkozy? Rom-Frau in einem Lager an einer Straßburger Autobahn.

Es ist nie leicht, in brenzligen Zeiten eine langfristige Politik voranzutreiben, die auf dramatische Umstände antwortet. Nach den gewalttätigen Ereignissen von Saint-Aignan vor zehn Tagen [die durch den Tod eines jungen Roma hervorgerufen wurden, der in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli von Polizisten getötet wurde, nachdem er versucht hatte, eine Straßensperre zu durchbrechen] wurde heute eine Sitzung zum "fahrenden Volk und den Roma" im Elysee-Palast einberufen. Musste diese Sitzung, die durch "die Probleme, die das Verhalten einiger weniger stellt" gerechtfertigt wurde, denn sein? Diese Wahl Nicolas Sarkozys wurde scharf kritisiert. Doch was hätte man gelesen und gehört, wenn der Staatschef oder seine Regierung nichts unternommen hätten? Die einzig gültige Frage ist nunmehr, welche Politik vorgelegt werden sollte. Man muss die Schlussfolgerungen der heutigen Debatten abwarten, um sich eine Meinung bilden zu können.

Hat die Denkpause zwischen den neusten Meldungen und den Entscheidungen denn zum Beispiel dazu beigetragen klarzustellen, worüber genau geredet werden soll? Etwa zwischen den Fakten und den Vorurteilen gegenüber der Roma zu unterscheiden? Und auch, um Klarheiten zu schaffen: Über wen genau spricht man und wer wird von den beschlossenen Maßnahmen betroffen sein? Das fahrende Volk, das in einer administrativen Gruppe zusammengefasst wurde, um zu umgehen, die Franzosen mit Roma-Herkunft oder die Roma, die vor allem in den letzten Jahren aus Osteuropa dazugeströmt sind, ethnisch zu benennen? Die Fragen der einen und der anderen sind absolut nicht die selben.

Ihre Vorstellungen auch nicht. Eine einzige, nationale Antwort wäre sicherlich ungeeignet. Die von fern kommenden Roma, die in ihrem Heimatland sesshaft waren, von einer Barackensiedlung in den nächsten Slum zu schicken und die französischen fahrenden Roma durch immer restriktivere Kommunalregelungen daran zu hindern, ihren Standort zu ändern und ihr jahreszeitlich bedingtes Nomadenleben aufzugeben, ist einem Vorankommen sicherlich wenig zuträglich.

Die lange Erfahrung der Stigmatisierung und der Diskriminierung der Roma in Europa erfordert eine Politik des Dialogs. Sie hat eine Vorbedingung: dass jeder seiner Verantwortung nachkommt. Die einen müssen das Gesetz achten und die anderen das Gesetz anwenden (vor allem das Gesetz Besson zu den Aufnahmeplätzen). So wird es vielleicht langsam aber sicher möglich, zufriedenstellende Antworten auf eine Frage zu finden, die Europa schon mindestens seit dem 13. Jahrhundert durchzieht. Nach achthundert Jahren der Irrfahrt zu diesem Thema (und vielerlei Dramen) müsste man wissen, wie man diese Gelegenheit, einen Schritt voranzukommen, am Schopfe packt. (sd)

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Aus Bukarest

Auch Rumänien muss was tun

Am 27. Juli hat Frankreich offiziell darum gebeten, dass das Roma-Problem auf europäischer Ebene gelöst wird. Dabei ließ es anklingen, den Beitritt Rumäniens in den Schengen-Raum im Januar 2011 in Frage zu stellen. "Wir sind Paris unbequem. Was können wir dabei schon gewinnen?", fragt sich in Bukarest România liberă. Die Bukarester Tageszeitung stellt fest, dass Frankreich im Gegensatz zu Italien "beschlossen hat, Rumänien zurück in seine Ecke zu schicken, indem es sich eines auf Wunsch gewetzten europäischen Instrumentes bedient: sein Veto zum Eintritt in den Schengen-Raum".

Dennoch sei "der rumänische Staat der Hauptverantwortliche der derzeitigen Situation und ihrer Konsequenzen", denn anstelle Probleme zu lösen, die sich "vor seiner Haustür" stellen, hat er seit 20 Jahren "die leichteste und auch zynischste Lösung gewählt: Er exportiert seine Probleme". România liberă erinnert daran, dass die Nichtregierungsorganisationen ihr Versprechen nicht eingehalten haben, sich für die Herausbildung einer intellektuellen Roma-Elite einzusetzen, dass die nationale Agentur für die Roma als "Schlachtfeld" der Armeen politischer Interessen diente, dass mafiöse Netzwerke wirksam im Westen tätig sind, und dass ihre Chefs "in Rumänien unantastbar sind und gemütlich die dutzenden von Millionen an Euro einstreichen, die in Frankreich, England, Spanien und Italien produziert werden."

"Die kalte Dusche aus Paris könnte uns gut tun", befindet die Zeitung. "Doch ignorieren wir sie und konkretisiert sich die Bedrohung, können wir uns bei den Regierungen, die sich in Bukarest die Klinke in die Hand gegeben haben, schön für die Vollendung der Isolierung Rumäniens bedanken!"

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