The Evening Standard, The Independent und France Soir- drei Tageszeitungen, die kürzlich in den Besitz von Moskauer Magnaten übergegangen sind.

Russischer Oligarch sucht Zeitung zum Aufkaufen

Sergej Pugatschew übernimmt die französische Tageszeitung France Soir, Alexander Lebedew kauft The Independent und The Evening Standard auf. Was reizt die Milliardäre aus Moskau so an der — kriselnden —europäischen Presse?, fragt die französische Tageszeitung Libération.

Veröffentlicht am 8 April 2010 um 15:13
The Evening Standard, The Independent und France Soir- drei Tageszeitungen, die kürzlich in den Besitz von Moskauer Magnaten übergegangen sind.

Für den symbolischen Betrag von einem Pfund übernimmt der russische Oligarch Alexander Lebedew das prestigereiche, linksliberale und hochverschuldete Blatt The Independent. In den letzten zwei Jahren war das die dritte westeuropäische Zeitung, die von einem superreichen Russen aufgekauft wurde. Im vergangenen Jahr hatte Lebedew sich bereits das Londoner Boulevardblatt Evening Standard gegönnt. Im selben Moment ging in Frankreich France Soir an einen anderen russischen Oligarchen, Sergej Pugatschew. Pugatschew ernannte seinen Sohn Alexander zum Chef der französischen Tageszeitung. Lebedew seinen Sohn Ewgeni zum Boss des britischen Evening Standard. In kaufmännischer Hinsicht handelt es sich dabei ganz offensichtlich nicht um Profit, sondern eher um ein Spielzeug für Söhne aus gutem Hause. Der Verkaufspreis von France Soir wurde auf 50 Cent herabgesetzt und der Evening Standard mutierte im vergangenen Oktober zum Gratisblatt.

Im Dienste des Kremls

Warum kaufen mit einem Mal russische Geschäftsleute, die in Bankwesen und Industrie ein Vermögen angehäuft haben, kränkelnde europäische Tageszeitungen? Und gar im Sterben liegende, so wie im Fall von France Soir, auch wenn diese einst einen sehr guten Ruf genoss? Unsere rationale Gesellschaft verlangt nach rationalen Antworten. Man munkelt also, dass sie im Dienste agieren, um dessen Einfluss zu fördern. Einige Details könnten diese These stützen: Sergej Pugatschew bezeichnet sich gern als Intimus von Putin. Und Alexander Lebedews Jugendsünde lautet: Ex-Spion des KGB, wie auch Putin selbst. Doch ist der Kauf von Zeitungen wirklich ein Mittel zur Einflussnahme in einer Welt, in der das gedruckte Wort zum Tode verurteilt scheint? Man kann daran zweifeln. "Unser Ziel ist nicht, über Russland zu schreiben", schwor der junge Alexander Pugatschew, der für die gute Sache auch gleich die französische Staatsbürgerschaft angenommen hat, im französischen Magazin Nouvel Observateur. Er kündigte an, das Blatt wieder auf Vordermann bringen zu wollen. Der Evening Standard hat mit Außenpolitik eh nicht viel am Hut. Im Fall des Independent hebt Professor George Brock, Leiter des Studiengangs Journalismus an der City University of London, hervor, dass "nichts darauf hindeutet, dass Alexander Lebedew in die Russland-Berichterstattung eingreifen wird. Auch wenn Russland natürlich sehr daran interessiert ist, sein Image im Ausland zu verbessern." Moskau hat in der Tat große Anstrengungen in Sachen Auslandskommunikation unternommen. Die offizielle Nachrichtenagentur RIA Novosti hat 2005 einen Nachrichtensender ins Leben gerufen, Russia Today, der auf Englisch, Arabisch und Spanisch zumeist kremlfreundliche News sendet.

Presse adelt

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Russlands Oligarchen hatten es anfangs gleich auf die Medien abgesehen, vor allem auf TV-Sender, bevor sie ab 2000 von Putin ausgeschaltet wurden, der lieber gleich selbst die Kontrolle übernehmen wollte. Experten denken, dass die Zeitungskäufe keinen politischen Hintergrund haben. Wie die Figuren aus den Romanen Balzacs den Aristokraten nachäffen, so versprechen sich die Oligarchen von diesen Käufen einen Zugang in die bessere Gesellschaft. In die westliche Gesellschaft natürlich, die einzige, die zählt. "Es ist ihr persönliches Kommunikationskonzept, um in die Elite aufzusteigen. Mit ihren Chefpositionen in den Zeitungen sollen die Söhne quasi geadelt werden. Sie sind keine Russen mehr, sondern Europäer", urteilt der Politwissenschaftler Stanislaw Belkowski, der einst selbst mit dem Kreml auf gutem Fuß stand und einen 2003 einen Bericht verfasste, "Die Oligarchen und der Staat", der für Schlagzeilen sorgte. Sein Beweis: Von Kindesbeinen an würde der Nachwuchs darauf vorbereitet. Man schicke sie sehr jung noch in die Schulen oder Universitäten der ehemaligen Imperien Frankreichs oder Großbritanniens.

Was den Kauf des Independent durch Lebedew anbelangt, denkt George Brock ähnlich: "Kann schon sein, dass es ums Prestige geht. Als Besitzer einer Zeitung wird man ja zu allen möglichen Partys eingeladen!" Die Oligarchensprößlinge gehören heute in die Promi-Riege.

Zwei Bankiers streben nach Imperien

Sergej Pugatschew und Alexander Lebedew stehen im vollen Gegensatz zu dieser Konstellation. Bankier Pugatschew, 2002 noch völlig unbekannt, stammt wie Putin oder Medwedew aus Sankt Petersburg und gilt als "frommer" Oligarch. Er ist 47 Jahre alt und hat ein Industrieimperium aufgebaut, dass in fast allen Bereichen — sogar im Schiffbau— tätig ist. Lange Zeit spielte er mit seiner verblüffenden Ähnlichkeit mit Zar Alexander III.: lange Glatze und Rauschebart der Orthodoxen. Er war es, der Putin seinen Beichtvater, den Mönchspriester Tichon, vorstellte. Putin sei es auch gewesen, der ihm geraten hätte, die Werft Serwenaja zu übernehmen. Gläubig, aber kein Heiliger. Er hätte sogar "eine kriminelle Vergangenheit", behauptet die Publizistin Julia Latinina und verweist auf eine Verurteilung aus den 80er Jahren.

Der Bankier und Industriebaron (u.a. im Flugzeugbau) Alexander Lebedew ist dagegen der Urtyp des modernen Geschäftsmanns und ein Vertrauter von Michail Gorbatschow, dem Mann, der die Sowjetunion auflöste. Lebedew gehört die Nowaja Gaseta, die Zeitung von Anna Politowkaja, der mutigen und schließlich ermordeten Journalistin. Er setzte eine Belohnung aus für Hinweise zur Überführung ihrer Mörder.

Es wäre aber ungerechtfertigt einerseits vom bösen Oligarchen zu reden, der nie mit der Presse spricht — auch Alexander Pugatschew verweigerte Libération das Interview — und der jede Gelegenheit nutzt, um gegen üble Nachrede zu klagen, und andererseits vom guten Oligarchen, dem Vorzeigedemokraten, dem geläuterten KGBler, der sich zum Liberal-Demokraten wandelte und bei der ausländischen Presse beliebt ist, weil er so zugänglich ist.

"Alle Oligarchen konnten nur dank Staatsgelder und Korruption der Funktionäre aufsteigen", betont Belkowski. "Lebedew ist einfach nur sympathischer und besser erzogen." Und der bei seinen Kollegen so unbeliebte Pugatschew sei dem Kreml auch nicht so nah, wie er behauptet, meint Julia Latinina. Wozu also die ausländischen Zeitungen? Um wieder in die Gunst der Machthaber zu gelangen? Oder gar zur Geldwäsche? Um an bessere Aufträge zu kommen? Oder vielleicht — und warum nicht? — den Eliten der Gastländer einen Gefallen zu tun?

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