Plenarsitzung in Straßburg. © Europäisches Parlament.

Schwankende Mehrheiten

Das neue Kräfteverhältnis nach den Wahlen lässt eine Neuverteilung der Mehrheiten im EU-Parlament erwarten. Vor allem die Achse aus Konservativen und Sozialisten schwankt. Dies wird seine Folgen für die zukünftigen Entscheidungsprozesse haben.

Veröffentlicht am 10 Juni 2009 um 10:19
Plenarsitzung in Straßburg. © Europäisches Parlament.

In der nächsten am 14. Juli beginnenden Legislaturperiode könnten sich die klassischen Mehrheitsverhältnisse zum Beispiel der EVP und SPE umkehren, und damit auch die überparteilichen Kompromisse zu wirtschaftlichen Richtlinien oder den Kommissionsposten. Es ist nicht zu unterschätzen, was dabei herauskommen kann, denn das Europaparlament hat sich in der Vergangenheit als wahres Politlabor entpuppt. Wahrscheinlich hat das Bündnis der Europäischen Volkspartei mit den Sozialdemokraten in Straßburg sogar die deutsche Große Koalition zwischen CDU und SPD gefördert.

Die EVP bejubelte ihren Sieg, der den Machtanstieg der rechten Mitte in Europa trotz der relativen Enttäuschung über Silvio Berlusconis Partei in Italien bestätigte. Das damit einhergehende Absinken der SPE und der extremen Linken hat die laizistische Mehrheit – bestehend aus ELDR (liberal), den Grünen und der GUE (links) – gesprengt. Diese bildete sich jedes Mal, wenn es galt, die Christdemokraten der EVP bei Abstimmungen zu ethischen Fragen wie der Homosexuellenehe und der Stammzellverwendung zu schlagen. Der EVP fehlen aber immer noch über 100 Stimmen, um die erforderliche Mehrheit von 369 (von insgesamt 736 Abgeordneten) zu erreichen.

Die EVP und die SPE hatten sich schon darauf geeinigt, die Präsidentschaft des Europaparlamentes untereinander auszumachen. Diese haben sie nun verloren, was die erste zu schluckende Kröte für die Konservativen sein könnte.

Der Sozialdemokrat Martin Schulz gemeinsam mit dem polnischen Konservativen Jerzy Buzek und dem Italiener Mario Mauro waren die Kandidaten für diesen Rollentausch. Aber der Chef der ELDR, der Brite Graham Watson, machte ihnen einen Strich durch die Rechnung und trat mit folgenden Worten in das Rennen um die Präsidentschaft ein: "Die Wahlergebnisse fordern sogar die EVP dazu heraus, Phantasie an den Tag zu legen."

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Watson hat die Hypothese von einer neuen Mehrheit der EVP-ELDR gemeinsam mit den Nationalisten der UEN oder mit den Grünen ins Spiel gebracht und wollte einen liberalen Präsidenten für das Europaparlament als Gegenleistung zur Versicherung, dass José Manuel Barroso seine Stelle an der Spitze der Kommission behielte. Aber die an den Wahlurnen erfolgreiche Partei von Daniel Cohn-Bendit sperrt sich gegen die Erneuerung des Mandates von Barroso, den auch die Sozialdemokraten stark kritisieren. Die britischen Konservativen bilden unter Führung ihres Chefs David Cameron ebenfalls einen starken Block und suchen nach neuen Bündnissen, mit welchen sie die Stimmen der englischen Europaskeptiker der UKIP und des rechtsextremen Neuankömmlings BNP zurückerobern könnten. Denn die Abgeordneten, die keiner Gruppierung angehören und die de facto ungebunden sind, werden so gut wie gar nicht oder nur sehr wenig im Parlament zählen.

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