Raues Klima. Die archäologische Stätte von Pompeji bei Neapel, wo römische Ruinen jüngst zusammenbrachen.

Sparen wir Europas Geschichte kaputt?

Drastische Kürzungen in den Kulturministerien machen Europas Kulturerbe zu einem der Opfer der Sparpolitik auf dem Kontinent. Wollen wir Pompeji sowie weitere unschätzbare Bauwerke oder Anlagen retten, dann brauchen wir neue Finanzierungswege und Ideen für die Denkmalpflege. 

Veröffentlicht am 6 Dezember 2010 um 16:33
Raues Klima. Die archäologische Stätte von Pompeji bei Neapel, wo römische Ruinen jüngst zusammenbrachen.

Der Torbogen aus dem 12. Jahrhundert ist so ziemlich das einzig heil gebliebene in der Peterskirche von Becerril del Campo, in der spanischen Provinz Palencia. Das Dach ist größtenteils verschwunden, es läuft Wasser herein und der Innenraum ist voller Schutt. „Das Kirchenschiff verfällt jeden Tag ein bisschen mehr, nahezu alle barocken Gipsarbeiten und Gewölbe sind schon verloren“, berichtet der Denkmalschutzverein Hispania Nostra.

Jenseits des Mittelmeers, auf der griechischen Insel Kea, stürzte dieses Jahr ein aus dem vierten Jahrhundert vor Christus stammender Turm trotz wiederholter Warnungen der archäologischen Stellen vor Ort vor den Augen der Einheimischen stellenweise ein. Über den Einsturz von drei weiteren Mauern in Pompeji wurde weltweit in den Nachrichten berichtet. Doch die kastilische Kirche und der ägäische Turm erinnern daran, dass auch andernorts in Südeuropa archäologische, kulturelle und historische Schätze in Gefahr sind.

Schuldenstaaten haben die größten Kulturschätze

Traditionell gesehen rührte die mangelnde Instandhaltung daher, dass das umfangreiche Kulturerbe in Südeuropa in keinem Verhältnis zu den vergleichsweise beschränkten Mitteln der dortigen Regierungen stand: Italien besitzt mehr Unesco-Weltkulturdenkmäler als jedes andere Land, Spanien rangiert an zweiter Stelle. Doch heute, nach mehreren Jahrzehnten des relativen Wohlstands und der besseren Finanzen, ist das Gebiet einer neuen Bedrohung ausgesetzt: Die Regierungen vom Atlantik bis zur Ägäis nehmen an ihren Budgets für Kultur und Denkmalschutz drastische Kürzungen vor, während sie damit kämpfen, ihre Staatsausgaben wieder ins Gleichgewicht zu bringen und ihre Schulden einzudämmen.

Die Statistiken in diesem Bereich sind für ihre Verworrenheit berüchtigt: Die Ausgaben für das Kulturerbe werden oft mit dem Budget für Kultur zusammengeworfen, und insbesondere in Spanien ist die Finanzierung des Denkmalschutzes innerhalb der Regierung sehr vielschichtig. Einen Eindruck über den Maßstab der Kürzungen erhält man jedoch im zentralisiert verwalteten Portugal, das letzte Woche in seinem Sparhaushalt für 2011 das nationale Kulturbudget um 9 Prozent zurückstutzte.

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Spanien: Erst die Menschen, dann die Kultur

In Spanien kündigen die Denkmalschutzvereine an, die Finanzierungen für Kultur seien in manchen Regionen bereits um ein Drittel zurückgegangen. Gleichzeitig brachte die geplatzte Immobilienblase das Land um eine bedeutende Einnahmequelle für die Erhaltung alter Gebäude, denn Bauunternehmer müssen bei jedem neuen Bauprojekt auch Abgaben für den Denkmalschutz zahlen. „Wenn dieses Geld nicht mehr hereinkommt, dann bringt die Gemeinde das Argument vor, sie müsse vorwiegend etwas für die Menschen tun, nicht für die Bauwerke“, erklärt Architekt und Aktivist Javier Ruiz.

Letzten Monat waren Museen, Kunstgalerien und Kulturerbestätten in Italien anlässlich eines eintägigen Streiks geschlossen. Die Streikenden protestierten gegen das Vorhaben der Regierung, das Kulturbudget der zentralen Regierung über die nächsten drei Jahre um 280 Millionen Euro herabzusetzen. Die Vorsitzende des Denkmalschutzvereins Italia Nostra, Alessandra Mottola Molfino, nennt die Kürzungen „einen tödlichen Schlag für unser Kulturerbe“. Doch sind sie wirklich nötig?

Der Ruf nach dem Privatsektor

In Griechenland, das im Mittelpunkt der europäischen Schuldenkrise steht, gab das Kulturministerium letzte Woche bekannt, es werde sich zum Ausgleich des fehlenden Betrags an Brüssel wenden und 540 Millionen Euro zur Restaurierung archäologischer Stätten und Denkmäler sowie zur Renovierung der zum Teil aufgrund der Krise geschlossenen Museen beantragen.

An anderer Stelle wird argumentiert, die Krise könne auch zu einem effizienterem Handeln der Behörden und einem konstruktiveren Engagement von Seiten des Privatsektors anspornen. „Es geht nicht um Geld“, erklärt Roger Abravanel, ein in Mailand ansässiger Autor und Befürworter des freien Markts. „Es gibt hier keine professionellen Kuratoren – Leute, die nicht nur etwas von Kultur verstehen, sondern sie auch für die Öffentlichkeit zugänglich machen. In Italien haben wir ein ganz anderes Modell, bei dem die Behörden die Ausstellungen durch Subunternehmen veranstalten lassen.“

Italien: Richtlinien aus den 70er Jahren

Nach Angaben eines Denkmalschützers, der nicht genannt werden möchte, ist Pompeji alles andere als knapp bei Kasse. „Seit 1997 bekommt die [staatliche Verwaltungsagentur] eine Menge Geld, weil ihr die Eintrittsgelder zufließen. Doch ihr Verwaltungssystem ist nicht reaktionsfähig genug. Die Stellenbesetzung erfolgt direkt durch das Ministerium in Rom und ist unflexibel. Innerhalb von 20 Jahren hat sich nichts erneuert – mit dem Resultat, dass dort Beamte nach Erhaltungsrichtlinien aus den 70er Jahren arbeiten.“

Die Krise rückt die oft unbehaglichen Beziehungen zwischen den südeuropäischen Regierungen und der Geschäftswelt in den Blickpunkt. Die Einbeziehung von Firmen ist seit langem schwierig. Viele Jahre lang wurde dies darauf zurückgeführt, dass Italien interessierten Geldgebern keine großzügigen Steuervergünstigungen wie in den englischsprachigen Ländern bot.

Restaurierung des Kolosseums mit Sponsoren

Laut Mottola Molfino könnten die neuen, in den letzten zehn Jahren eingeführten Regeln durchaus vereinfacht werden. Doch, wie so viele in Südeuropa, misstraut sie den Winkelzügen der Regierung bei der Übertragung der Verantwortung für den Denkmalschutz an die Businesswelt. „Es sollte eine Pflicht und eine Ehre sein“, sagt sie. Der Gedanke, der Denkmalschutz sei vorwiegend Sache der Regierung, scheint auch bei den Geschäftsleuten weit verbreitet, deren Gewinne durch die Weltwirtschaftskrise sowieso schon zurückgegangen sind.

Es gibt wahrscheinlich kein berühmteres Bauwerk in Südeuropa als das Kolosseum. Doch, wie so viele andere antike römische Gebäude, müsste es dringendst restauriert werden.

Letzten Sommer verkündete das italienische Kulturministerium in Voraussicht der anstehenden Budgetkürzungen, es nehme Angebote zum Teilsponsoring der Restaurierungsarbeiten über 25 Millionen Euro entgegen. Der Leiter der Lederwarenfirma Tod’s, Diego Della Valla, war als erster Industriemagnat vorgetreten.

Am Donnerstag stellte sich heraus, dass er auch der einzige war. Della Valle verkündete entschlossen, seine Firma werde für die gesamte Rechnung aufkommen. Sonst, so erklärte er, riskiere Italien „ein weiteres Pompeji“.

Aus dem Englischen von Patricia Lux-Martel

Sparpolitik

Kultur: Nicht alle Aussichten sind düster

Im Gegensatz zu den Niederlanden und zu Italien, wo in den letzten Wochen Demonstrationen gegen die Kürzungen der Kulturbudgets stattfanden, gab es in Großbritannien, wo alle Bereiche von den Sparmaßnahmen betroffen sind, keinen Protest, wie De Standaard berichtet. Trotz der Rezession der letzten Jahre verzeichnete der Kultursektor ein stärkeres Wachstum als die Wirtschaft (jährlich 5 Prozent gegenüber 3 Prozent) und die Besuche der kulturellen Stätten nahmen zu (+ 41 Prozent in acht Jahren). In Deutschland, so die Kollegen der niederländischen Zeitung De Trouw, nahmen die Kulturausgaben des Staates letztes Jahr sogar zu, obwohl sie in den Gemeinden und Bundesländern zurückgingen. Dasselbe gilt in Frankreich, wo das Kulturbudget für 2011 im Vergleich zu 2010 um 2,1 Prozent höher liegt. Eine Steigerung, die vor allem den audiovisuellen Bereich betrifft, während die Museen 5 Prozent weniger erhalten.

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