Wer erinnert sich noch an den Kosovo? Der Krieg von 1999. Die NATO-Bomben gegen Serbien. Der Einsatz der internationalen Truppe KFOR und die Errichtung eines Protektorats unter Aufsicht der UNO. Dann, am 17. Februar, die Unabhängigkeitserklärung, heute von rund 100 Staaten anerkannt. Im Anschluss übernahm die Europäische Union das Mandat von der UNO und schuf die größte zivile Mission ihrer Geschichte: EULEX. Im September 2012 endete die internationale Aufsicht. So zusammengefasst erscheint die Geschichte gradlinig. Ein Emanzipierungsprozess. Doch im Detail ist die Wirklichkeit nuancierter. Auf dem Rücken des neuen Strafgesetzbuches entdeckt man das Logo des US-Außenministeriums.
Schon in Afghanistan und im Irak hat sich gezeigt, dass es schwieriger ist, Frieden zu stiften als einen Krieg zu gewinnen. Auch im Kosovo stellt sich akut die Frage danach, wie eine Nation aufgebaut werden kann, nach den Kosten (mehr als 600 Millionen Euro in fünf Jahren für EULEX, der europäischen Mission für Polizei und Justiz), nach der Methode.
Was ist der Preis für die ersehnte Stabilität und für den Frieden nach all den blutigen Kriegen der Neunzigerjahre? Genau bei diesem Thema wächst das Misstrauen: Die Europäische Union würde beim Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität ein Auge zudrücken. Priorität habe der im März begonnene Dialog zwischen Kosovo und Serbien. „Alle sind offensichtlich von EULEX enttäuscht, von den Mitgliedsstaaten bis zu den lokalen Behörden“, gibt der Sondergesandte der EU in Pristina, der Slowene Samuel Zbogar, zu. „Es ist aber falsch zu glauben, dass sich mit neuen Richtern und Polizisten alles schlagartig ändern würde. Man braucht Zeit.“
Die Mission braucht einen Neuanfang
Die Jahre vergehen und die Debatte wird hitziger. Im Herbst 2012 legte der Europäische Rechungshof einen kritischen Bericht über die Ergebnisse der EULEX-Mission vor und Deutschlands Verteidigungsminister hat einen diplomatischen Tabubruch begangen als er sagte, dass die Mission „einen Neuanfang, neues Personal, eine neue Struktur und einen neuen Namen“ brauche. Berlin verärgert die lange Präsenz der NATO-Truppen, der KFOR im Land. 5500 Soldaten, ein gutes Viertel davon aus Deutschland.
Der erste Schwachpunkt von EULEX ist politischer Natur: Die Mission soll einem Staat helfen, der von fünf EU-Mitgliedern nicht anerkannt wird. Der zweite ist territorial: Der Mission fällt es schwer, mit den von Serben besiedelten Kommunen des Nordens vernünftig zusammenzuarbeiten. Oftmals kommen die EULEX-Fahrzeuge nicht einmal durch die errichteten Straßenbarrikaden hindurch. Die Menschen fühlen sich eingeschüchtert oder stehen der Mission feindselig gegenüber. Das Behörden-Wirrwarr stiftet Chaos. Und wie soll man dafür sorgen, dass Recht und Gesetz respektiert werden, wenn man nicht weiß, welches Gesetz?
Und dann gibt es die Besonderheiten des State Building. Die gutbezahlten EULEX-Gesandten (rund 8000 Euro monatlich) tragen eher ihren Regierungen als ihrer Hierarchie Rechnung. Ihr Aufenthalt im Kosovo ist zu kurz — in der Regel ein oder zwei Jahre —, um die Dossiers und die Mentalitäten genügend zu kennen, auch wenn einige der Mitarbeiter zuvor schon für die UN-Mission UNMIK tätig gewesen sind.
Die kosovarischen Kollegen sind noch nicht so weit, um die Arbeit zu übernehmen. 80 Prozent von ihnen wurden noch im früheren Jugoslawien ausgebildet und waren danach jahrelang unbeschäftigt. Nach einem Personalabbau von 25 Prozent ihrer Mitarbeiter liegt die Frage einer Umstrukturierung von EULEX auf dem Tisch. Das Ende der Mission mag zwar für Juni 2014 vorgesehen sein, wahrscheinlich ist das nicht. Und der kosovarischen Justiz fehlen die Mittel und die Erfahrung um sensible Ermittlungen und Verfahren allein zu bewältigen.
„Rechtsstaatlichkeit bleibt eine Abstraktion“
Im Kosovo sind zwei Entwicklungen im Gange. Die erste, unter Leitung von EULEX, besteht darin, einen Rechtsstaat aufzubauen. Das wird Jahrzehnte brauchen. Die zweite, unter dem Druck Brüssels und mit Blick auf einen künftigen EU-Beitritt, ist die Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina. Diese beiden Prozesse sind nicht kompatibel. EULEX und die westlichen Behörden verfügen über Informationen zu Korruption und organisiertem Verbrechen im Kosovo, die niederschmetternd sind. Sie betreffen die politische Elite rund um Ministerpräsident
Hashim Thaci, mit anderen Worten, genau jene, welche die Verantwortung für die Normalisierung haben. Schwer, hier nicht einen Vergleich mit dem Clan des afghanischen Präsidenten Karzaï zu ziehen.
„Die Richter im Land werden von der Politik unter Druck gesetzt und EULEX von Brüssel“, fasst es der kosovarische Forscher Shpend Kursani vom Institut Kipred zusammen, Autor eines Berichts über die EU-Mission. „Sollte die Stabilität oder der Dialog mit Serbien durch Ermittlungen gefährdet werden, würde sich das Kabinett [der EU-Außenbeauftragten] Catherine Ashton sofort einmischen.“ Hashim Thaci ist der Mann des Westens. Umso mehr, da es einen echten Mangel an politischem Personal gibt. Nach dem Krieg übernahmen die damals noch jungen Kader der Befreiungsarmee UCK die Macht. Rechtsstaatlichkeit und das Wohl der Bevölkerung bleiben bis dato Abstraktionen.
„Nur die kleinen Fische gehen ins Gefängnis, nicht aber die Haie“, schimpft Albin Kurti, Chef der nationalistischen Bewegung Vetëvendosje. Albin Kurti fordert von Europa Lehrer und Ärzte anstatt Richter und Polizisten. Avni Zogiani, eine Persönlichkeit der Zivilgesellschaft, teilt Kurtis Zweifel an den Motiven der EULEX-Mission. „Wir haben EULEX Akten und Beweise geliefert“, sagt der Leiter der ANTI-Korruptions-Organisation COHU. „Es wurde ermittelt, aber am Ende niemand angeklagt. Jene in der politischen Elite, die sich gehorsam zeigen, garantiert EULEX Straffreiheit “
Serbien-Kosovo
Kein Beitritt ohne Diskussion
Die Beilegung des Streits zwischen Belgrad und Pristina ist „eine wichtige Voraussetzung, um ein Datum der Verhandlungen Serbiens für einen Eintritt in die EU festlegen zu können. Gleiches gilt für Verhandlungen eines Stabilisierungs- und Vereinigungsabkommens zwischen der Union und dem Kosovo”, begannen, sollen am 19. Februar in Brüssel weitergeführt werden. Der serbische Ministerpräsident Ivica Dačić soll seinen Kollegen aus dem Kosovo Hashim Thaci in Brüssel unter Anwesenheit der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton treffen. Im Mittelpunkt stünde der Danas zufolge „die Frage des Nordens des Kosovo, in dem mehrheitlich Serben leben, die die kosovarischen Institutionen nicht anerkennen”.
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