Voxeurop: Glauben Sie, dass der europäische Aufbauplan ausreicht, um einerseits die schwerste Rezession in der Geschichte der Europäischen Union zu überwinden, und andererseits ein neues europäisches Entwicklungsmodell zu formulieren ?
Thomas Piketty: Zunächst einmal ist dieser europäische Aufbauplan noch nicht verabschiedet. Selten hat man eine solche Zeitverschiebung zwischen einer offiziellen Ankündigung und deren Umsetzung gesehen. Wir befinden uns im Dezember und wissen immer noch nicht so richtig, wann die entscheidenden Abstimmungen auf der Ebene des Europäischen Rates und dann in den Parlamenten der einzelnen Länder stattfinden werden. Zudem war der Umfang dieses Planes von Anfang an nicht ausreichend. Das Ergebnis: wir verlassen uns alle zusammen viel mehr auf die Europäische Zentralbank (EZB) als auf ein Konjunkturpaket.
Obwohl man das Paket im Juli von 500 auf 750 Milliarden Euro mit einer gemeinsamen Schuldenaufnahme erhöht hat ?
Was tatsächlich neu ist, ist die Aufnahme gemeinsamer Schulden der EU in Höhe von 390 Milliarden Euro, die direkt an die Länderhaushalte je nach Bedarf fließen, ohne dass der jeweilige Staat zwingend zurückzahlen muss, was er erhalten hat. Der Rest besteht aus Krediten, die zurückgezahlt werden müssen, was sich nicht viel von dem 2012 ins Leben gerufenen europäischen Stabilitätsmechanismus unterscheidet, von dem die Mitgliedsländer nicht wirklich begeistert sind.
Die Idee einer gemeinsamen Verschuldung existiert schon. Aber bei genauer Analyse stellt man fest, dass, auch wenn diese 390 Milliarden Euro auf den ersten Blick beachtlich erscheinen, man sie doch mit dem heutigen BIP der EU von 14000 Milliarden Euro vergleichen muss. Diese Zuschüsse machen demnach weniger als 3% des europäischen BIP aus, was über 4 oder 5 Jahre verteilt nur etwa 0,5% des BIP der zusätzlichen öffentlichen Ausgaben entspricht. Im Vergleich zum ursprünglichen Haushalt der EU von 1% des BIP ist ein Anstieg…