Ist es angemessen, in Kriegszeiten über neue Medientrends zu sprechen? Die Antwort lautet: Ja, und wir sollten das unbedingt tun. Die Welt entwickelt sich weiter, und glücklicherweise gilt das auch für die ukrainischen Medien. Wenn jemand das Gegenteil behauptet oder sagt, die Medien in unserem Land hätten aufgehört zu existieren, dann entspricht das absolut nicht der Realität.
Natürlich sind manche Medien dem Krieg zum Opfer gefallen, aber es sind auch neue entstanden und entstehen weiterhin, vor allem online. Der ukrainische Journalistenverband leistet zusammen mit internationalen Partnern weiterhin umfangreiche Unterstützung für die Medien des Landes.
Hier einige neue Trends in der ukrainischen Medienlandschaft:
1. Journalisten gründen eigene Online-Plattformen
Viele Journalisten, die ihre Stellen verloren haben, veröffentlichen ihre Inhalte nun auf eigenen Online-Plattformen wie Telegram oder YouTube. Manche davon sind sehr populär geworden und haben die Journalisten karrieremäßig sogar weitergebracht. Andere Journalisten nutzen ihre persönlichen Facebook-Seiten als Medienkanäle - eine Form des Bloggens, was leider aber nicht immer ausreicht. Es wäre besser, wenn diese Beiträge eine professionelle Ergänzung zum traditionellen Journalismus wären. Ich bin überzeugt, dass man nur dann ein professioneller Journalist bleiben kann, wenn man für professionelle Medien arbeitet oder mit ihnen kooperiert.
2. Publikationen ohne exklusive Inhalte haben keine Perspektive
Journalisten ohne Redaktionen sind eine traurige Realität. Aber die Situation ist noch paradoxer: Es gibt auch Medienunternehmen ohne Journalisten. Denn viele von ihnen bevorzugen heute Autoren von Inhalten, die nur noch dazu dienen, die Zahl der Klicks zu erhöhen und Werbemacher anzuziehen. Echte Journalisten sind oft "überflüssig" geworden und werden in jeder Hinsicht unterschätzt. Es gibt jedoch auch eine gute Entwicklung: Google weist Medien, die keine exklusiven Inhalte (Interviews, Recherchen usw.) veröffentlichen, ein schlechtes Ranking zu, weil derartige Veröffentlichungen nicht beachtenswert sind. Solche Medien haben deshalb keine Perspektiven.
3. Das Hauptthema ist Krieg, aber Friedensthemen sind ebenso wichtig
Natürlich sind die Leser an Kriegsnachrichten, Interviews mit Militärexperten usw. interessiert. Aber auch Themen aus Friedenszeiten sind gefragt. Dazu gehören Wirtschaft, Sport, Kultur, Wissenschaft, Lifestyle (Gastronomie, Mode, Design usw.). Themen wie Wohnungsrenovierung und Einrichtungstrends boomen geradezu in den Online-Medien. Warum? Weil die Menschen Familienleben und Wohnkomfort in diesen harten Zeiten besonders zu schätzen gelernt haben. Diejenigen, die gezwungen waren, ihr Zuhause zu verlassen, vermissen es und möchten so schnell wie möglich zurückkehren. Das Leben geht trotz des Krieges weiter und ich halte es für äußerst wichtig, dass Journalisten sich ihr Spezialgebiet bewahren. Sportjournalisten sollten weiterhin über Sport berichten und Wirtschaftsjournalisten weiterhin über Wirtschaftsthemen. Besonders wichtig ist es derzeit, über den Wiederaufbau der Ukraine und die Wiederherstellung ihrer Industrie nach dem Krieg zu diskutieren. Um dies effektiv tun zu können, müssen professionelle Journalisten ihr Spezialgebiet in- und auswendig kennen und verfolgen, was in ihrem Bereich geschieht.
4. Fokus auf Faktenüberprüfung
Das Überprüfen von Fakten ist sowohl wichtig als auch gefragt. Die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform zum Beispiel hat nun die Rubrik „Faktencheck” in ihr Programm genommen. „Ukrinform garantiert seinen Lesern 100%ige Genauigkeit und hilft ihnen, Desinformationen zu erkennen und zu entlarven”, heißt es dort. Die Agentur gibt an, dass die Überprüfung der Fakten von einer Gruppe innerhalb ihrer Auslandsabteilung durchgeführt wird. Die Redakteure wurden dafür von Experten der Nachrichtenagentur AFP, die weltweit führend in der Überprüfung von Informationen ist, und der österreichischen Nachrichtenagentur APA geschult.
5. Das beliebteste Thema ist IT
Nahezu jedes Publikumsmedium verfügt heute über eine Rubrik, die dem Thema Technologie gewidmet ist. Darüber hinaus werden in der Ukraine neue IT-Fachzeitschriften gegründet. Das starke Interesse für dieses Thema erklärt sich aus der Tatsache, dass die IT ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist und für die Entwicklung der Ukraine jetzt und in der Nachkriegszeit von großer Bedeutung sein wird.
6. Wirtschafts- und Lifestyle-Themen boomen
Wirtschaftsnachrichten sind zu einem weiteren Schwerpunkt der ukrainischen Medien geworden. Ebenfalls ein Thema, das für den Wiederaufschwung des Landes von entscheidender Bedeutung ist. Häufig geht es dabei um das Bau- oder Gastgewerbe und um Landwirtschaft. Ebenfalls großer Beliebtheit erfreuen sich Lifestyle-Themen (Mode, Essen, Design, Tourismus usw.), vor allem in den sozialen Medien. Als erste Lifestyle-Redakteurin in der Ukraine sind diese Themen für mich besonders wichtig. Sie sind zu einer neuen Nische im ukrainischen Journalismus geworden mit enorm viel Potential. Das Verständnis gesellschaftlicher Trends, auch wenn es dabei oft um Zukunftstrends geht, ist ein Schlüssel zum Erfolg von Unternehmen und der Wirtschaft des Landes insgesamt.
7. Qualität vor Quantität
Ein neues Phänomen in den globalen Medien ist das sogenannte Gatekeeping. Dabei geht es darum, ein Überangebot an Nachrichten zu vermeiden und eine sorgfältigere Auswahl zu treffen. Dies kann auch in der Ukraine die Sichtbarkeit von Online-Medien erhöhen. Die Artikel werden dadurch oft kürzer, bleiben aber genauso informativ.
8. Willkommen, KI! Aber Live-Journalismus ist noch wichtiger
Die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz (KI) sind überall auf der Welt zu spüren. Führende Medienunternehmen arbeiten bereits mit KI-basierten Content-Management-Systemen, die Themen für Veröffentlichungen vorschlagen, sowie Tags und Schlagzeilen auswählen. Durch KI werden jetzt bereits Redakteure ersetzt. Gleichzeitig wird Live-Journalismus, den keine KI ersetzen kann, immer wertvoller.
Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit dem Projekt Voices of Ukraine des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit veröffentlicht.
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