Ideen Pressefreiheit und asyl

Warum die Perspektive von Exiljournalisten für europäische Medien wichtig ist

Immer mehr Journalisten flüchten aus ihren Heimatländern nach Europa, weil sie verfolgt wurden. Doch oft bekommen sie nicht genügend Unterstützung, um ihre Arbeit im Exil weiter zu machen. Am Ende geben viele auf.

Veröffentlicht am 2 Februar 2023 um 09:20

„Das ist lächerlich. Man kann kein Umweltjournalist sein, ohne sich manchmal auch in Gefahr zu begeben“, sagt der südsudanesische Journalist Opoka p'Arop Otto. Wir sind in Den Haag auf der True Stories-Konferenz zum Thema narrativen Journalismus und haben uns einen Vortrag von Uwe H. Martin angehört. Martin bezeichnet sich selbst als visuellen Geschichtenerzähler und arbeitet mit seiner Frau Frauke Huber zusammen. Gemeinsam haben sie zahllose Serien von beeindruckenden Dokumentarfotos produziert, die in einem Fotomuseum gut aufgehoben wären.

In der Diskussion nach Martins Vortrag fragte Opoka ihn, warum er sich für das Thema Klimawandel und Umweltzerstörung in den USA entschieden habe. Ob es nicht dringendere Beispiele in anderen Teilen der Welt gäbe, die seine Aufmerksamkeit mehr verdient hätten? Martins Antwort darauf war so ehrlich wie einfach: „Weil ich mich nicht in Gefahr begeben möchte.“ 

Doch Opoka bleibt bei seiner Meinung, dass Umweltjournalisten sich nicht vor Risiken drücken können. „Meine Onkel haben immer gesagt: Wenn du ein guter Journalist bist, wirst du verprügelt.“ Als ehemaliger Chefredakteur einer südsudanesischen Zeitung sah er sich 2011, als sein Land unabhängig wurde, einer Reihe von Bedrohungen ausgesetzt.

Aufgrund seiner journalistischen Tätigkeit wurde er mit falschen Anschuldigungen, Inhaftierung, Folter und Drohungen konfrontiert, was ihn schließlich dazu brachte, das Land zu verlassen. Laut UNESCO haben seit der Unabhängigkeit des Südsudan 10 Journalisten aufgrund ihrer Arbeit ihr Leben verloren. Opoka erzählt seine Geschichte in Asylum, einer von Alibi Investigations produzierten Podcast-Reihe. 


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Opoka ist nur einer von vielen Journalisten, die durch ihre Berichterstattung ins Fadenkreuz der Machthaber geraten sind. In vielen Teilen der Welt sind Journalisten heute Verteidiger der Menschenrechte. Engagierte Menschen, die hartnäckig nach der Wahrheit suchen und darüber berichten, selbst wenn sie dabei Gefahr laufen, verletzt zu werden oder ins Exil zu gehen. 

Der Zustand der Pressefreiheit gibt weltweit Anlass zur Sorge, da Journalisten zunehmend Gefahren ausgesetzt sind, einschließlich Inhaftierung und Gewalt. Hilfsorganisationen wie Amnesty International setzen sich für die Freilassung von zu Unrecht inhaftierten Journalisten ein. Aufgrund der damit verbundenen Risiken müssen viele von ihnen jedoch die schwierige Entscheidung treffen, ihre Arbeit aufzugeben.

Während seiner Zeit als Teilnehmer des Shelter City Austauschprogramms für Menschenrechtsverteidiger wurde Opoka in niederländischen Redaktionen und Regierungsbüros zunächst offen aufgenommen. Nachdem er jedoch einen Asylantrag gestellt und schließlich die niederländische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, schienen sich die Türen wieder zu schließen. Trotz seiner Erfahrung hatte er Schwierigkeiten, in der Medienbranche Arbeit zu finden.

Eine Journalistin aus Kenia, die ebenfalls an der True Stories-Konferenz teilnahm, berichtete, dass sie seit fast einem Jahrzehnt darum kämpft, sich in der niederländischen Medienlandschaft zu etablieren. Sie und Opoka bekamen immer wieder zu hören, dass ihre Schwierigkeiten vor allem daran liegen, dass sie englische Muttersprachler sind und kein Niederländisch sprechen. Dies hinderte jedoch britische Journalisten, die ebenfalls kein Niederländisch sprachen, nicht daran, von denselben Medien eingestellt zu werden.

Trotz des Rufs nach mehr Vielfalt in der europäischen Medienlandschaft bleibt sie homogen. Neue Ideen und Perspektiven werden gefördert, aber es wird erwartet, dass sie von innen kommen. Exiljournalisten werden übersehen, obwohl sie wertvolle Einblicke und Perspektiven zu dringenden Themen wie Migration, Konflikte, Integration und Umweltfragen bieten. Eine schmerzhafte Erfahrung. 

Im Jahr 2022 riefen die Evens Foundation, die Stiftung für erzählenden Journalismus (Stichting Verhalende Journalistiek) und Are We Europe das Programm Journalistic Voices Diversified ins Leben, um dieses Problem anzugehen und die Kluft zwischen Exiljournalisten und europäischen Medien zu verringern. Vier Exiljournalisten aus Venezuela, Palästina, Ägypten und dem Südsudan (Opoka) nahmen an einer Reihe von Workshops, Diskussionen und anderen Veranstaltungen teil. Außerdem erhielten sie Zeit und Mittel, um an ihren eigenen journalistischen Projekten zu arbeiten. Ich hatte das Privileg, dieses Projekt für Are We Europe zu leiten und mich wöchentlich mit ihnen zu treffen.

Wir begannen damit, die Probleme der Exiljournalisten zu identifizieren und herauszufinden, wie sie im Rahmen des Programms angegangen werden könnten. Wir verfolgten von Anfang an einen kooperativen Ansatz, um sicherzustellen, dass das Programm wirklich auf die Bedürfnisse und Anliegen der Journalisten eingeht und nicht einfach von vorgefassten Meinungen über wünschenswerte Ergebnisse bestimmt wird.

Wir verfolgten keinen quotenbasierten Ansatz zur Förderung der Vielfalt, sondern untersuchten konkrete Möglichkeiten, wie Exiljournalisten für europäische Medien von Nutzen sein könnten. Wir verglichen die Medienlandschaften in Belgien und den Niederlanden mit denen in den Heimatländern der Teilnehmer, um zu ermitteln, welche Fähigkeiten weiterentwickelt werden könnten. Wir gaben den Teilnehmern auch Raum, um ihren eigenen Interessen nachzugehen und neue journalistische Ansätze zu erkunden. 

Für einige von ihnen war die Freiberuflichkeit eine verwirrende Erfahrung. Omeyma Khair-Masoud, eine Fernsehmoderatorin aus Palästina, war während eines Podcasting-Workshops frustriert über ihre Ausrüstung. „Vorher hatte ich immer einen Kameramann und einen Tonmann, ich musste nur mit den Fingern schnippen“, rief sie genervt. Als freiberufliche Journalistin in Belgien muss sie alles selbst machen, von der Aufnahme ihrer Interviews bis zum Schnitt. Trotz der Bemühungen von NRO, die Journalisten im Exil zu unterstützen, sehen sich viele von ihnen gezwungen, ihre Arbeit aufzugeben – genau die Arbeit, für die sie ihr Land verlassen haben. 

Während des Shelter-City-Programms in den Niederlanden sprach Opoka häufig von seinem Dilemma: entweder alles zu riskieren, indem er in den Südsudan zurückkehrt und seine Arbeit dort wieder aufnimmt, oder nicht mehr als Journalist zu arbeiten, in den Niederlanden zu bleiben und dafür in Sicherheit zu sein. Es ist schwer vorstellbar, wie man eine so folgenschwere Entscheidung treffen kann, insbesondere wenn man so viel in seine Arbeit investiert hat.

Journalisten in Krisenländern geben nicht so leicht nach. Sie kämpfen für das, woran sie glauben und betrachten ihre Arbeit nicht nur als eine Ehre, sondern als eine Notwendigkeit. Ihre eigene Sicherheit bedeutet für sie, wegzugehen. Dazubleiben ist jedoch für sie oft die einzige Möglichkeit, weiter ihre Geschichten zu erzählen.

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