Wie der Euro Europa spaltet

Reicht es, die Eurozone zu reformieren, um ihren Zusammenbruch zu vermeiden? In Wirklichkeit, so ein Redakteur der Gazeta Wyborcza, betont das nur die Spaltungen zwischen Euro- und Nicht-Euro-Ländern.

Veröffentlicht am 17 Oktober 2011 um 14:09

Dieser Tage wird in Brüssel oft die polnische Geschichte erwähnt. Nicht die Endzeit des Kommunismus, auch nicht die gelungene Übergangszeit, sondern vielmehr die “goldene Freiheit” des polnischen Adels im 17. Jahrhundert. “Denken Sie an das polnische Liberum Veto!” [Viele Historiker halten das Prinzip des Einspruchsrechts liberum veto für ausschlaggebend für den Niedergang des Staates Polen-Litauen 1772] “Dass das Schicksal der Gemeinschaft von einer einzigen Gegenstimme abhing, führte damals zum Zusammenbruch der Republik Polen!” warnt Guy Verhofstadt, EU-Abgeordneter und ehemaliger belgischer Ministerpräsident.

Die Begeisterung über das europäische Prinzip der “Gleichheit für alle” – verkörpert durch die Einstimmigkeit, die bislang auf die meisten großen europäischen Entscheidungen angewendet wurde – ist in diesen Vergleich mit einer entarteten Form der aristokratischen Demokratie umgeschlagen. Der Gesinnungswandel ist vor allem auf die Probleme zurückzuführen, die durch die Ratifizierung der Reform des europäischen Rettungsfonds (EFSF) durch die gesamten 17 Länder der Währungsunion entstanden sind.

Dabei hängt von dieser Reform das Schicksal Griechenlands ab, sowie das der finanziell hilfsbedürftigen europäischen Banken. Anfänglich wurde die Ratifizierung insbesondere durch die Niederlande und Finnland gefährdet, doch letztendlich fiel die slowakische Ministerpräsidentin Iveta Radicová nach der Ablehnung des Abkommens durch das slowakische Parlament am 11. Oktober der legislativen Schlacht zum Opfer.

Die unmögliche Mission von Berlin und Paris

In Brüssel schürt der Fall Bratislava die Debatte über die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips bei Abstimmungen über den Rettungsfonds. Und auch über den Vorschlag, das Gewicht der Stimme eines Landes (in wirtschaftlichen Fragen) an seinen finanziellen Beitrag zum europäischen Rettungsschirm zu koppeln, wird neu nachgedacht.

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Im Moment wird über all diese Themen informell diskutiert: Die Gipfeltreffen zwischen Präsident Nicolas Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel sind tonangebend für die wichtigsten Wirtschaftsreformen, die anschließend vom Rest der Eurozone (oder von allen EU-Mitgliedsstaaten, sofern es die EU-Verträge erfordern) bestätigt werden. Wenn Frankreich und Deutschland sich nicht einigen können, wird über die mangelnde Führung in Europa geklagt; wenn sie sich auf ein Abkommen zubewegen, wird systematisch ihr Diktat angezeigt.

Die Europäische Kommission müsste im Prinzip das Gleichgewicht der EU-Mitglieder garantieren. Doch Kommissionschef José Manuel Barroso verliert immer mehr an Einfluss, zugunsten von Ratspräsident Herman Van Rompuy. Letzterer ist hinter den Kulissen der unbestrittene Meister der Diplomatie und reist ständig zwischen den großen Hauptstädten hin und her, auf der Suche nach Kompromissen außerhalb der EU-Prozeduren, weitab der Europäischen Kommission.

Konsenszwang in galoppierender Krise

Van Rompuy dürfte bei den Gipfeltreffen der Eurozone bald die Leitung übernehmen (Berlin und Paris stimmten seiner Kandidatur schon im August zu) und wird zugleich zum Vorgesetzten von Jean-Claude Juncker an der Spitze der Eurogruppe (die Finanzminister der Eurozone). Weiter soll die Eurogruppe, entsprechend den Wünschen der Franzosen und Deutschen, bald über ein ständiges Beraterteam und über ein Sekretariat verfügen.

“Die Europäische Kommission ist eine Wirtschaftsregierung für die EU und muss das auch bleiben”, mahnte Barroso vor kurzem. Er befürchtet, die neuen Institutionen der Eurogruppe könnten nach und nach die Macht der Kommission beschneiden und die wirtschaftlichen Entscheidungen aus dem Rahmen der EU-Verträge hinaustransferieren.

Paris hingegen ist zufrieden, dass sich sein Einfluss im engen Kreis der Euroländer zukünftig verstärkt – ohne die Briten und ohne viele mitteleuropäische Länder, die in Sachen Wirtschaftspolitik meist ähnliche Positionen ergreifen wie Berlin.

Die Reform der Eurozone, deren endgültige Konturen sich in den nächsten Tagen abzeichnen sollen, wird den Widerstand Europas gegen wirtschaftliche Schläge erhöhen. Sie wird jedoch auch die Kluft innerhalb der EU vertiefen: zwischen ihrem harten Kern (die Eurozone) und den restlichen Ländern, zu denen auch Polen gehört. Doch angesichts der galoppierenden Krise wäre es nicht sehr gut angesehen, dagegen zu protestieren. (pl-m)

Selbstbestimmung

Manche Europäer sind gleicher als andere

“Souveränität ist etwas Feines, aber die kleinsten Teilhaber der Gemeinschaft können nicht die Aktionen der EU blockieren. Nur wenn es ein großer Teilhaber ist: Großbritannien, Frankreich oder Deutschland. Dann ist das Veto in Ordnung.” So lautet der ironische Kommentar eines Kolumnenredakteurs in derDziennik Gazeta Prawna, nachdem der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, ein “inakzeptabel” an die Adersse der Slowakei geschickt hatte. Das Parlament in Bratislava hatte da gerade den erweiterten Rettungsfonds für stark verschuldete Länder abgelehnt.

Der polnische Journalist ärgert sich darüber, dass die Slowakei an den Pranger gestellt wurde, aber kein bedeutender europäischer Politiker auch nur das geringste über die “Unverantwortlichkeit Großbritanniens” verlauten ließ, als das Land “die Steuern auf finanzielle Transaktionen blockierte”. Es schimpfte auch niemand mit den Franzosen und Niederländern, als sie die EU-Verfassung in einem Referendum ablehnten. “Die Slowaken haben das Recht, daran zu zweifeln, dass die Schuldenkrise durch die Aufnahme weiterer Schulden gelöst werden soll. Das ist nicht die Frage eines Verrückten oder eines Populisten [...] José Barroso und seinesgleichen sollten akzeptieren, dass die Slowakei unabhängig von den Umständen eine Souveränität und eine Stimme hat.”

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