Der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi und Bundeskanzlerin Angela Merkel

Wie sagt man „Basta“ auf Deutsch?

Trotz der sozialen und politischen Folgen preisen die Bundesbank und Angela Merkel nach wie vor den Sparkurs, der seit zwei Jahren in Europa gesteuert wird. Es sei Zeit, den Schaden zu begrenzen, protestiert der spanische Politologe José Ignacio Torreblanca.

Veröffentlicht am 26 April 2012 um 16:20
Der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi und Bundeskanzlerin Angela Merkel

Für Jens Weidmann, den jungen Wirtschaftswissenschaftler, der nach einer rasenden politischen Karriere im Schatten Angela Merkels zum Präsidenten der Bundesbank – und als solcher zum wahrscheinlich einflussreichsten Mitglieds des EZB-Rats – wurde, ist ein Zinssatz von sechs Prozent weder „das Ende der Welt“ noch ein ausreichender Grund für die Europäische Zentralbank, zu versuchen, den Druck der Anleihenmärkte auf Spanien zu lockern. Man fragt sich, ob es Weidmann auch wirklich klar ist, dass Deutschland und Spanien zur selben Währungsunion gehören, und ob er denn gar nicht darüber besorgt ist, dass derartige Zinsunterschiede den Sinn und die Existenz überhaupt dieser Union in Frage stellen könnten.

Wir können uns vorstellen, dass für Jens Weidmann, der sich nur mit der Preisstabilität beschäftigt und zu dessen Prärogativen weder das Wachstum noch die Beschäftigungspolitik gehören, eine sechsprozentige Inflation durchaus „das Ende der Welt“ einläuten würde. Zum Glück kann der Präsident der Bundesbank ganz beruhigt sein, denn die durchschnittliche Inflationsrate in der Eurozone beträgt 2,7 Prozent. Und damit er noch ruhiger schlafen kann: In Spanien liegt sie bei nur 1,8 Prozent und in Griechenland bei 1,4 Prozent, weit unter der deutschen Inflation (2,3 Prozent).

Die ebenso freimütige wie ungeschickte Erklärung, die der Präsident der Bundesbank da abgegeben hat, zeigt wenigstens mit größter Klarheit, was sich gerade in Europa und dabei insbesondere in Spanien abspielt. Der dadurch preisgegebene Mangel an Weitsicht und Sensibilität erinnert uns an die Blindheit der französischen Eliten nach dem Ersten Weltkrieg. Diese hatten jegliche Aussicht auf Wiederaufrichtung und Wirtschaftswachstum für Deutschland im Keim erstickt, indem sie dem Land horrende Kriegsreparationen auferlegt hatten. So berechtigt diese Reparationen vom Prinzip her auch gewesen sein mögen – schließlich hatte Deutschland den Konflikt ja ausgelöst –, trugen sie doch dazu bei, den Cocktail von Populismus und Irredentismus zu fördern, der in den Nationalsozialismus und dann in den Zweiten Weltkrieg münden sollte.

Haben die Deutschen Weimar bereits vergessen?

Es bleibt verwunderlich, dass Deutschland, das seine nationalsozialistische Vergangenheit perfekt überwunden hat, nicht auch die Erinnerung an die Inflation überwunden hat, die zum Sturz der Weimarer Republik führte. Sollte es dazu kommen, dass der Euro oder das europäische Aufbauwerk in Scherben gehen, dann besteht kein Zweifel daran, dass die Historiker genau solche Äußerungen zitieren werden, um die Misserfolge und Fehler Europas zu erklären.

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Heute gefährdet die deutsche Regierung mit ähnlicher Blindheit und Denkweise (Gerechtigkeit muss walten, auch wenn darauf die Apokalypse folgt) nicht nur das europäische Aufbauwerk, sondern sie schürt damit zugleich auch deutschenfeindliche Gefühle. Nur ein Beispiel: Spanien hat zwar im Allgemeinen noch ein gutes Bild von Deutschland, doch das letzte Barometer des Real Instituto Elcano hat gezeigt, dass drei Viertel der Spanier (73%) glauben, Berlin berücksichtige Madrids Interessen nicht. Eine überwältigende Mehrheit der Spanier (87%) ist der Meinung, Deutschland sei „das Land, das in Europa kommandiert“ – wohlgemerkt nicht das Land, das „am meisten“ kommandiert, sondern das Land, das einfach nur „kommandiert“.

Ist die Zeit gekommen, Berlin gegenüber „Basta“ zu sagen? Ja, absolut. Doch wie? Indem man von Brüssel aus die nationalen Reformprogramme mit dem europäischen Wachstumsprogramm koordiniert. Dazu muss das zersplitterte politische und institutionelle Gleichgewicht in Europa wiederhergestellt werden. Einerseits wurde die Europäische Kommission, die im Namen aller Mitgliedsstaaten sprechen sollte, vom politischen Spiel ausgeschlossen. Am Anfang seiner zweiten und letzten Amtsperiode wäre ihr Präsident José Manuel Durão Barroso fast zu einer echten Führungsfigur geworden. Doch sobald die Dinge spannend wurden, ließ er die Strategie des nachhaltigen Wachstums, die er seit Jahren vertreten hatte, von heute auf morgen fallen.

Frankreich ist kein Gegengewicht mehr zu Deutschland

Andererseits ist Frankreich, das immer als Gegengewicht zu Deutschland diente, heute in der Hand eines Mannes vom Kaliber Sarkozys. Dieser Staatsmann mit dem Orden vom Goldenen Vlies [eine Auszeichnung, die ihm von Juan Carlos für seine Rolle im Antiterrorkampf gegen die ETA verliehen wurde] gleicht das Scheitern seiner reformistischen Strategie in Frankreich heute dadurch aus, dass er die unwürdige, typische Unterwürfigkeit des Schwachen gegenüber seinem Überlegenen (Deutschland) und die Arroganz des Starken gegenüber seinem Unterlegenen (Spanien) an den Tag legt.

Dieses unkenntliche Frankreich stellt heute ein ebenso gravierendes Problem für Europas Zukunft dar wie die aktuelle Rigorosität der Bundesbank. Infolgedessen könnte Hollande genau die richtige Säuberungsaktion für Frankreich, für die Kommission, aber auch für Deutschland selbst sein. (p-lm)

Meinung

Ein Europa wie bei Thomas Hobbes

In einer längeren Fassung seines in der Financial Times veröffentlichten Artikels geht José Ignacio Torreblanca in seinem Angriff gegen die Sparpolitik noch weiter und schließt mit dem, was in den kommenden Monaten zum Schlachtruf werden könnte:

Der Fiskalpakt, der unausgewogenste, asymmetrischste Vertrag, den die Mitgliedsstaaten je unterzeichnet haben, ist die beste Illustration für das neue Europa: Die Sparpolitik wird streng durchgezogen, während vom Wachstum kaum die Rede ist. In der guten, alten EU waren die Mitgliedsstaaten gleichberechtigt und Verträge waren Kompromisse zwischen konkurrierenden Vorstellungen Europas. Heute geht es in Europa um Asymmetrie der Macht und um die Angst um die Zukunft. Europa erinnert heute an Thomas Hobbes’ Beschreibung des menschlichen Lebens in seinem natürlichen Zustand: „armselig, scheußlich, tierisch und kurz“. Nachzwei Jahren wurde nicht eine einzige Maßnahme zur Wachstumsförderung verabschiedet. Es ist Zeit, Basta zu sagen!

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