Die „Stunde Libyens“ hat geschlagen, kündigt El Pais an. Die spanische Tageszeitung hält den NATO-Eingriff für „die richtige Entscheidung“, selbst wenn das späte Ergreifen der ersten Maßnahmen und die „überraschende Improvisation“ bei der Einrichtung der militärischen Schritte Fragen aufwerfen. Die Zeit, die nun für Libyen beginnt, steht unter dem Zeichen der „Ungewissheit“ und „niemand kann sich Fehler erlauben“: weder die Anführer der Rebellen noch die internationale Gemeinschaft, die „nach mehreren Jahrzehnten schlechter Politik in dieser Region heute die Gelegenheit hat, zum Fortschritt der Freiheit beizutragen“.

Marek Magierowski von der Rczeczpospolita ist da etwas skeptischer. Er findet zwar, dass „die EU die Libyer darüber beraten kann, wie man freie Wahlen organisiert oder ein politisches Parteiensystem bildet, und sie auch finanziell unterstützen kann, doch früher oder später werden die Berater nach Brüssel zurückkehren, die Gelder auslaufen und Libyen alleine bleiben. Das wird ein sehr schmerzhafter Prozess werden, denn, wie auch Afghanistan, ist Libyen ein zusammengewürfelter Staat, eine Konstellation von 150 Stämmen, die jeweils eigene Interessen vertreten. Ein demokratisches, friedliches Libyen ist eine verlockende Perspektive, doch sie scheint noch in weiter Entfernung zu liegen“

Fisk meint außerdem, dass Libyen nicht das letzte Land bleiben wird, das die Wirkung des „arabischen Frühlings“ erlebt: Bahrein, Saudi-Arabien, Jordanien, Jemen und vor allem Syrien stünden als nächste auf der Liste. Denn, so fragt er, „wie viel Zeit wird vergehen, bevor sich die Europäer fragen, warum die NATO, wenn sie doch in Libyen so effizient war, nicht auch gegen die Legionen von Hafiz al-Assad in Syrien eingesetzt werden kann, mit Zypern als Flugzeugträger“.
Für den Spiegel ist Gaddafis Niederlage „Sarkozys Triumph“ und „Merkels Blamage“: „Die Bundesregierung wollte sich partout nicht am militärischen Einsatz gegen Oberst Gaddafi beteiligen“, heißt es hier, „und für Deutschland zeigt sich das ganze Ausmaß dieser Fehlentscheidung.“ Das Los von Gaddafis Regime ist „ein Erfolg für Nicolas Sarkozy, die Amerikaner und die Briten“, erklärt der Spiegel weiter. Nun sei „die Glaubwürdigkeit Deutschlands als Streiter für Menschenrechte […] beschädigt, ebenso das Ansehen als verlässlicher Partner“.

Im Corriere della Sera fordert Antonio Ferrari die EU in seinem Editorial jedoch dazu auf, dem gegenwärtigen Wandel in der arabischen Welt „nicht tatenlos beizuwohnen“: „Was in der arabischen Welt passiert, sollte die Überzeugung verbreiten, dass es sehr wohl möglich ist, die ‚Frühlingsrevolutionen’ in eine echte Chance zu verwandeln oder die verschiedenen Länder dazu zu ermutigen, sie zu ergreifen. Unseren Nachbarn würde daraus ein Vorteil entstehen – und uns ebenfalls.“

Die Konkurrenz zwischen Paris und Rom für die Zeit nach Gaddafi zeige sich auch auf kommerzieller Ebene, insbesondere im Bereich Erdöl, bemerkt La Stampa weiter. „Frankreich und Italien zielen darauf ab, libysches Erdöl zu tanken. Für Russland, China und Brasilien“, deren Ölgesellschaften in Libyen Niederlassungen besaßen und die gegen einen militärischen Einsatz waren, „könnte dies teuer zu stehen kommen“.
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