In der EU gibt es einen großen Unterschied zwischen einem Gipfel und einem informellen Gipfeltreffen. Der Gipfel soll Entscheidungen bringen, während ein informelles Treffen, wie das das von gestern Abend, die Machtverhältnisse innerhalb der Union, sowie die gegnerischen Argumente klären soll, damit ein Kompromiss erarbeitet werden kann. Kompromisse sind die Grundlage der Union.
Genau darum ging es gestern während der rund sechsstündigen Diskussionen. François Hollande wagte sich gegenüber der Kanzlerin weiter vor, während diese wiederholte, dass „Eurobonds kein Beitrag zum Wachstum“ seien. Unterstützt von Ländern wie Schweden, Finnland und den Niederlanden bekräftigte Frau Merkel einmal mehr ihren Widerstand gegen die Idee von Frankreich, man solle die Anleihen der Mitgliedstaaten bündeln und zusammen absichern, damit alle von gemeinsamen Zinssatz profitieren können, der weit unter dem liegen würde, der derzeit die schwächsten Länder belastet
Selbst Großbritannien ist für Eurobonds
Das es absolut keine Einstimmigkeit gab, konnte sich diese Idee nicht durchsetzen und wurde erwartungsgemäß abgelehnt, doch... die Dinge haben sich verändert. Es gab nicht nur eine starke Übereinstimmung darüber, dass gemeinsame Investitionen notwendig sind, es bestätigte sich vor allem — und der Fakt ist neu —, dass sich heute eine Mehrheit der EU-Länder für Eurobonds ausspricht, selbst Großbritannien, das normalerweise alles blockiert, was innerhalb der Union zu mehr politischer Integration führen könnte.
Die Lager teilen sich nicht mehr wie gewöhnlich in liberal oder sozialdemokratisch regierte Länder, in Verfechter eines Europas der Nationen gegen Verfechter des Föderalismus. Es ist eine absolut pragmatische Debatte — „eine ausgewogene Diskussion“ urteilte selbst Frau Merkel — darüber, wie man das Wachstum ankurbeln und die Haushalte sanieren kann. Und man einigte sich auf einen Fahrplan.
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy wurde beauftragt, bis zum Gipfel am 28. Juni einen Bericht über die „Vertiefung der Währungsunion“ vorzulegen, unter anderem über „die Perspektiven langfristiger Eurobonds, über eine integrierte Bankenaufsicht und ein gemeinsames System zur Einlagensicherung der Banken“.
Mehr gemeinsame Regeln und Integration
Die EU-Länder haben sich nicht zerfleischt, ganz im Gegenteil. Sie haben sich entschlossen, mehr in Richtung wirtschaftliche Integration zu arbeiten, und die Frage der Eurobonds gehört in diesen Prozess. Der so diskrete wie geschickte Herman Van Rompuy hat nun fünf Wochen, um eine Partitur zu schreiben, die sowohl jenen gefällt, die nicht mehr akzeptieren wollen, dass die schwächsten Länder keinen Cent mehr haben, der ins Wachstum investiert werde könnte, als auch jenen, die wie Frau Merkel fürchten, dass der Spardruck sinken könnte und die Länder im Schuldenabbau nachlassen würden, wenn sie günstigere Darlehen bekämen.
Zwischen diesen beiden Positionen war der einzig mögliche Kompromiss, mehr gemeinsame Regeln zu erstellen und die Integration voranzutreiben. Genau das haben die Europäer gestern beschlossen zu wagen. Sollte das gelingen, dann hat die Union einen Riesenschritt voran gemacht. Mit dem Rücken zur Wand — wie üblich.
Aus deutscher Sicht
„Merkozy“ ist tot und begraben
Es herrscht ein neuer Ton in den Kulissen von Brüssel, stellt Die Zeit am Tag nach dem informellen außerordentlichen Gipfel vom 23. Mai fest: Der französische Staatspräsident François Hollande, keine zehn Tage im Amt, hat mit der Merkel-Sarkozy-Entente gebrochen und die Bundeskanzlerin mit seinen Vorschlägen über das Wachstum und die Euro-Bonds in die Defensive gedrängt. Bleibt zu wissen, ob besagte Euro-Bonds überhaupt stabil genug wären, um der Krise standzuhalten:
Nur, welchen Unterschied macht Hollande wirklich? Was wird übrig bleiben von all den Fanfaren, von Euro-Bonds und Wachstumspakt, wenn der Anfang erst einmal gemacht ist und die Krise den Präsidenten einholt? Hollande hat seine ersten Tage geschickt genutzt, um die europäische Agenda zu bestimmen. Damit hat er Angela Merkel zwar nicht isoliert, doch die deutsche Kanzlerin ist erkennbar in die Defensive geraten. Immer nur „Nein“ zu sagen ist ohnehin schwierig, wenn sich die Dinge in Europa nicht endlich zum Besseren wenden. Es fällt noch schwerer, wenn ein anderer ständig Vorschläge macht.