Reportage Klimakrise in Deutschland Abonnierende

Die Aktivist*innen des Bündnisses „Letzte Generation“: Ein rettender Elektroschock?

Wird das Umweltbewusstsein durch Straßenblockaden, bei denen sich Aktivist*innen am Asphalt festkleben, oder durch das Überschütten von Gemälden mit Suppe gefördert oder geschwächt? In Deutschland werfen die Aktionen des Bündnisses Letzte Generation, der jüngsten Gruppe der Aktivist*innenszene, erneut die Frage der Notfallstrategien gegen die globale Erwärmung auf.

Veröffentlicht am 17 Januar 2023 um 17:11
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Sind die „Kommando“-Aktionen der Aktivist*innen der deutschen Umweltgruppe Letzte Generation angesichts der sich abzeichnenden Klimakatastrophe ein rettender und notwendiger Elektroschock? Oder sind sie vielmehr Ausdruck einer heftigen Existenzangst, ohne jedoch eine Lösung zu bringen? Fest steht, dass die Polizeirazzien, die am 13. Dezember 2022 in elf Wohnungen von Aktivist*innen aufgrund des Verdachts auf „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ und im Rahmen von Ermittlungen wegen der versuchten Blockade einer Ölraffinerie durchgeführt wurden, die Mitglieder der Umweltgruppe keineswegs entmutigt haben.

Zwei Tage nach den Razzien „belagerten“ sie bereits die Bundestagsabgeordneten, indem sie sich unter anderem am Boden festklebten, um die Zufahrten zu den Tiefgaragen des Bundestags zu blockieren.

„Eine der Besonderheiten der Letzten Generation, die Schwesterorganisationen in Europa hat, ist, dass diese Bewegung von der Basis ausgeht, ohne Namen, ohne stabile Finanzierung und ohne klare Unterstützung einer politischen Partei, aber mit einer offenkundigen Effizienz und Aktionsfähigkeit“, stellt der Berliner Soziologe Dieter Rucht fest, der auf Protestbewegungen spezialisiert ist.

Seit Anfang des Jahres gehen ihre Aktionen in Deutschland und Österreich in die Hunderte. „Ich höre inzwischen aufmerksam Radio, wenn ich meinen Dienst antrete, um zu wissen, wo sie sich festgeklebt haben“, erklärt Memet, ein Berliner Taxifahrer.

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Die Bewegung mag radikal erscheinen, sagt Dieter Rucht. Aber „sie entspricht der Philosophie des zivilen Ungehorsams, da sie sich weigert, Personen anzugreifen, Sachschäden vermeiden will und eindeutig eine gewaltfreie Linie verfolgt, auch wenn ihre Aktionen Unordnung und Frustration verursachen“, fährt er fort.

Sich die Hand auf den Asphalt zu kleben, um eine städtische Hauptverkehrsader, eine Ausfallstraße, die die Stadt mit dem Flughafen verbindet oder sogar die Landebahnen der Flughäfen München und Berlin zu blockieren, ist zur emblematischen Aktion der Gruppe geworden, die jedes Mal ein Verkehrschaos und Wutausbrüche der Autofahrer auf dem Weg zur Arbeit auslöst.

„Wir freuen uns, wenn die Polizei kommt“, gibt ein Aktivist zu, der eine sofortige Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h, ein Monatsticket für den Regionalverkehr für 9 Euro und eine radikalere Politik zur Entwicklung erneuerbarer Energien fordert.

Eine weitere auffällige Spezialität der Bewegung ist der Angriff auf Meisterwerke bekannter Künstler. So schütteten die Aktivist*innen in Potsdam Kartoffelsuppe auf ein Gemälde von Monet, eine Aktion, die nach demselben Muster ablief wie das Bewerfen eines Van Goghs in London mit Tomatensuppe.

„Die Tomatensuppe hat sich von dem Van Gogh in London in kürzester Zeit auch in den südkoreanischen Nachrichtendiensten und sozialen Netzwerken verbreitet“, stellt die deutsche Galeristin Esther Schipper ironisch fest.

Ob diese Art von Aktion nun auf Ablehnung oder Zustimmung stößt, spielt keine Rolle: Die Aktivist*innen haben mit Hilfe der Medien gepunktet, denn die ganze Welt hat von der Aktion Wind bekommen.

Ständiger Protest

Bei den Aktivist*innen der Organisation handelt es sich überwiegend um junge Erwachsene, die ihre Erfahrungen oft in der von der Schwedin Greta Thunberg initiierten Bewegung Fridays for Future gesammelt haben.

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