Konferenzraum des Rats der Europäischen Union in Brüssel (Foto:Rat der Europäischen Union)

Brüsseler Lektionen fürs Leben

Was können wir aus den Ernennungen von Herman Van Rompuy und Catherine Ashton an den Euro-Spitzenposten über die Europäische Union lernen? Fünf Dinge, meint Paweł Lisicki, der Chefredakteur der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita – und keines davon ist einfach zu verdauen.

Veröffentlicht am 24 November 2009 um 14:37
Konferenzraum des Rats der Europäischen Union in Brüssel (Foto:Rat der Europäischen Union)

Die Europäer können ganz beruhigt sein. Die Zeiten von Zwist und Zank sind vorüber. Denn jetzt hat die EU den Regierungschef Herman Van Rompuy zum Präsidenten und die Baroness Catherine Ashton zur Außenministerin. Dies sei uns eine Lehre über den Stand der Dinge in der Union.

Zunächst haben wir hier eine Lektion in Demokratie, denn, seien wir doch ehrlich, es ist nicht ganz einfach, herauszufinden, nach welchem Recht genau die beiden nun ernannt wurden. Sicher ist nur, dass sie nicht gewählt wurden. Der Rest ist geheimnisumwittert. Wenn man den Presseberichten glaubt, dann heißt es, "sie wurden empfohlen", "sie wurden angekündigt", "sie wurden vorgestellt", "man hat sich auf sie geeinigt". Wer steht hinter all diesen Anwendungen des Passivs? Gott allein könnte auf diese Frage antworten. Wir gewöhnliche Sterbliche können nur einen einzigen Schluss mit Sicherheit ziehen, nämlich dass Demokratie wohl darin besteht, nicht zu wissen, wen man sich eigentlich auswählen kann, nach welchem Recht und aus welchen Gründen, und wer dann letztendlich ausgewählt werden wird. Aber vielleicht habe ich da ja etwas verpasst.

Dann ist es auch eine Lektion in Transparenz. Man mag es noch so sehr versuchen, es ist einfach zu schwierig, genau weiszusagen, welche Macht dieses Duo haben wird, und ob diese Macht überhaupt echt ist. Welche Entscheidungen werden sie treffen und worin übereinstimmen können? Mit wem können sie sich beraten und wem erstatten sie Rapport? Gewiss erwarten sie Erfolge und Niederlagen, doch wo genau werden sie herkommen? Aus welcher Richtung? Tja, wenn ich das wüsste...

Es sei uns auch eine Lektion in Ehrlichkeit. "Ein historischer Moment. Europa hat eine neue Führung", frohlockte der schwedische Ministerpräsident Frederik Reinfeldt und bejubelte den triumphalen Einzug von Van Rompuy und Ashton auf der Bühne der Welt. Andere EU-Staatschefs posaunten ähnliche O-Töne aus. Ich glaube nicht, dass auch nur einer von ihnen tatsächlich ein Wort von dem, was er da offiziell von sich gab, wirklich meinte. Ich glaube es einfach nicht.

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Eine Lektion in "Kompetenz". Seit vielen Monaten höre ich nun, dass die EU eine "neue" Dynamik braucht und eine "starke" Führung benötigt. Und siehe da, simsalabim, schon ziehen zwei Unbekannte die Topjobs an Land. Halb so wild, denn bei näherem Hinsehen ist Van Rompuy im Vergleich zur Baroness Ashton eigentlich durchaus eine schillernde Persönlichkeit. Er dichtet Haikus ("Haar weht im Wind. Nach Jahren weht noch Wind. Leider kein Haar mehr."), er ist Zen-Anhänger, arbeitet unheimlich hart und ist überzeugt, man müsse, um gute Entscheidungen zu treffen, "die Zeit zum Ausruhen" finden. Und er ist immerhin der belgische Ministerpräsident. Dagegen Frau Ashton? Die hat nicht die leiseste Spur einer diplomatischen Erfahrung, was – wie es scheint – nicht als Nachteil betrachtet wird. Fazit: Bei der Kompetenz geht es nicht wirklich um Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern darum, Erwartungen zu erfüllen. Erwartungen, die schleierhaft bleiben (siehe oben).

Eine Lektion in Gleichheit. Welche Gleichheit? Nun, die Art von Gleichheit, dass wenn ein Präsidentenamt an einen "Mann" und Christdemokraten geht, eine eher links gerichtete "Frau" die Außenministerin werden muss. "Es wäre gut, wenn eine Frauenstimme die Anrufe für Europa entgegennimmt", säuselte Jerzy Buzek. Hurra, Jerzy, dein Traum hat sich erfüllt. Es scheint allerdings nichts zur Sache zu tun, ob diese Stimme auch etwas Interessantes zu sagen hat. Kleinen Moment noch. Man könnte sich ja immer noch darüber streiten, warum ein "Mann" Präsident werden darf und eine Frau nur Ministerin. Warum ist es nicht umgekehrt? Na? Dabei hat Frau Hohe Vertreterin über ihre Ernennung nur ein paar ausgewählte Worte gesprochen, die in etwa besagten, dies alles sei ein Zeichen dafür, dass Frauen letztendlich anerkannt werden. Anerkannt. Ja, klar.

So, ich wiederhole: Sehen wir all das als Lektion. Es sei uns eine Lehre, dass – ohne den leisesten Zweifel – eine glorreiche Zukunft die Europäische Union erwartet.

KOMMISSION

Das Ressortfeilschen beginnt

Da der Kampf um die Ratspräsidentschaft und das Amt des Hohen Vertreters nun beendet ist, kann jetzt beim Kampf um die Kommissarämter aus dem Vollen geschöpft werden. "Es ist Zeit, mit José Manuel Barroso abzurechnen", denn der Kommissionspräsident sei "durch die Unterstützung von Regierungen, die der Kontinuität eigentlich wenig gewogen waren," wiedergewählt worden, und diese Regierungen "spielen jetzt beim Mannschaftskapitän ihre Trumpfkarten aus, um sich die einflussreichsten Posten zu sichern", so La Vanguardia. Obwohl die Kommissare formal ausschließlich die Interessen der Union verfolgen dürfen, hat jeder Mitgliedsstaat bei den Verhandlungen über die Ressortzuteilungen vorerst sein nationales Interesse im Auge. Frankreich baue auf einen Kommissarposten im Binnenhandel für Michel Barnier, das sei "so gut wie abgeschlossen", denn Nicolas Sarkozy wolle somit "Paris zur Finanzmarktalternative zu London machen". Nur durch diesen Einsatz sei akzeptiert worden, meint die Tageszeitung, dass eine des Französischen nicht mächtige Britin an die Spitze der europäischen Diplomatie ernannt wurde. Der aktuelle Wirtschaftskommissar Joaquín Almunia sei hingegen für das "mächtige Amt" des Wettbewerbskommissars denkbar, insbesondere aufgrund der "grundlegenden Rolle", die der spanische Regierungschef José Luís Rodríguez Zapatero "in der Wiederwahl Barrosos entgegen dem Wunsch der europäischen Sozialisten" gespielt hat. Und was Berlin betrifft, so "bestand die Überraschung in der Ankündigung seines zukünftigen Kommissars: Günther Oettinger, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, dessen politische Karriere derzeit im Abstieg begriffen ist", eine Nominierung, die "Fragen aufwirft über das Interesse, das Berlin den europäischen Institutionen entgegenbringt", schließt die Tageszeitung.

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