Gefängnis von Oostereiland, Niederlande. Photo : Kroontjespen - Alle Rechte vorbehalten.

Oh Nein, die Verbrechensrate sinkt

Mangels Verbrecher hat die niederländische Justiz die Schließung von acht Gefängnissen angekündigt. Seit einigen Jahren sinkt die Kriminalität. Doch diese gute Nachricht erfreut nicht alle, spottet der Kolumnist Bert Wagendorp.

Veröffentlicht am 28 Mai 2009 um 14:33
Gefängnis von Oostereiland, Niederlande. Photo : Kroontjespen - Alle Rechte vorbehalten.

Den Niederlanden mangelt es an Kriminellen. Daher wird das Land acht Gefängnissen schließen müssen. Nun organisiert die Abgeordnetenkammer eine Debatte zum Thema: Wie zum Teufel ist es möglich, dass wir uns in einer solchen Situation befinden und wer ist dafür verantwortlich?

Um das Problem zu lösen und unser Strafvollzugssystem aufrecht zu erhalten, werden wir belgische Straftäter importieren. Ich kann mir schon gut vorstellen, wie unser Außenminister seine ausländischen Kollegen anfleht, ihren Überschuß an Verbrechern zu uns zu schicken, um die Beschäftigung in unserem Strafvollzug zu sichern.

Die Debatte wurde von der VVD (rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie) und der PW (rechtsextreme Partei) gefordert. Auch die SP Sozialistische Partei) beteiligt sich. Sie wollen eine Beschäftigungsgarantie für das Strafvollzugspersonal. Wahre Sozialisten, sie haben keine Ahnung von den Gesetzen des Marktes. Einverstanden. Wir erklären es noch ein letztes Mal: Das Sinken des Angebots an Straftätern führt zur Verringerung der Nachfrage an Wachpersonal.

Das Projekt der Staatssekretärin im Justizministerium,Albayrak, nahmen die VVD und die PW logischerweise besonders schlecht auf. Seine viel zu positive Botschaft nimmt ihnen den Wind aus den Segeln.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Seit Jahren schon versuchen die rechtsorientierten Parteien ihre holländischen Wählern davon zu überzeugen, dass die Kriminalität alle Grenzen überschreitet, dass man sein Haus nach 18 Uhr nur auf eigene Gefahr verlassen kann, und sich die Stadtviertel immer mehr in Ghettos verwandeln. Sie machen ihnen weis, dass eine Kraftprobe notwendig sei, dass man die Individuen, denen man zunächst in die Knie schießt, anschließend lebenslänglich einsperren muss. Man erzählt ihnen, dass das Polizeikorps hauptsächlich aus agoraphobischen Polizisten besteht und dass die Richter nur mittelmäßig und viel zu tolerant sind. Erst wenn man seine gesamte Familie vernichtet hat, bekommt man einen der Plätze in diesen luxuriösen und außerordentlich gut ausgestatteten Hotels, die man hierzulande „Gefängnisse“ nennt. Und allerhöchstens für einen Monat. Deswegen stehen all diese Zellen leer!, sagen sie. Ein Wunder sei es, dass es überhaupt noch Menschen hinter Gittern gäbe, wenn man bedenkt, wieviele Gefängnisstrafen in gemeinnützige Arbeit umgewandelt werden und wieviele spezialisierte Heime existieren, um aggressive Typen aufzunehmen.

Ja, meine Damen und Herren, so weit ist es in unserem Land gekommen!, sagen sie.

Glücklicherweise gibt es noch ein paar Meerespiraten, die wir bei uns einsperren können, sonst müssten wir noch mehr Gefängnisse schließen. Übrigens können wr auch nicht ausschließen, dass diese Individuen sich dank der elektronischen Fessel bald frei bewegen, in Ihrer Einkaufsstraße herumspazieren, oder zur Universität gehen, wo sie auf unsere Kosten Meereskunde oder afrikanische Literatur studieren.

Du armes Holland!

Kurz gesagt: Diese Äußerungen waren für viele Wähler leicht zu schlucken. Und nun kommt Albayrak und behauptet auf einmal das Gegenteil: man müsse die Gefängnisse schließen, weil die Kriminalität stark zurückgegangen sei.

Welch eine Niederlage für die Rechte. Das ist so, als schlage man ihr mit dem Scheuerlappen ins Gesicht. Schäbiger geht’s nicht. Das ist wirklich diese Art von schlechtem Scherz, für die Albayrak so bekannt ist.

Irgendwann neulich habe ich den ehemaligen rechtsliberalen Staatsanwalt Fred Teeven in den Nachrichten im Fernsehen gesehen. Er schien verzweifelt zu sein, so als ob Albayrak und ihr verhängnisvolles Projekt ihm den Lebenssinn raubten. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn Fred vor der Debatte eine Bank überfallen oder eine alte Frau ausplündern würde, nur um zu beweisen, dass der Kampf gegen die Kriminalität keineswegs auf die notwendige Art und Weise geführt wird.

Fred Teeven weiß sehr gut, dass die Kriminalität seit 1995 abnimmt, die Alternativen zu den Gefängnisstrafen sehr oft gute Ergebnisse erzielen, und die Niederlande letzten Endes ein ziemlich sicheres Land sind. Doch ist Angst die Grundlage der Geschäfte von Fred, der VVD und vor allem der PVV, und natürlich will keiner von ihnen, dass man es ihnen nimmt.

Gefängnisse

2.000 Zellen zuviel

In den Niederlanden kündigte Nebahat Albayrak, die Staatssekretärin im Justizministerium, die Schließung von acht Gefängnissen an. Aufgrund dessen werden 1.200 Arbeitsplätze abgeschafft. Momentan stellt das Strafvollzugssystem 14.000 Zellen bereit, eine Zahl, die mit dem reellen Bedarf von 12.000 Zellen nicht entspricht.

Der Überschuss an verfügbaren Zellen erklärt sich durch die sinkenden Kriminalität in den Niederlanden, und ganz besonders der Schwerverbrechen Eine der ins Auge gefassten Maßnahmen ist der Transfer von belgischen Strafgefangenen in niederländische Gefängnisse mit Überkapazität. Die Verhandlungen mit dem belgischen Kollegen, Justizminister Stefaan de Clerck, werden gerade geführt.

Während das niederländische System mit Unterbelegung fertig werden muss, kämpft das belgische System mit Überbelegung. In Belgien ist die Anzahl an Zellen derart gering, dass die zu weniger als drei Jahren verurteilten Straftäter erst gar nicht inhaftiert werden. Statt des Freiheitsentzuges erhalten sie eine elektronische Fessel, die wiederum einen Mangel an Fesseln erzeugt.

In den kommenden Wochen wird über den Transfer von 500 belgischen Häftlingen in das niederländische Gefängnis in Tilburg entschieden.

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema