Populismus

Veröffentlicht am 6 Oktober 2010 um 10:18

Eine der wichtigsten Debatten bei der vierten Ausgabe des Festival Internazionalein Ferrara drehte sich um die "Sieger der Krise" in Europa. Im Verlauf der Diskussion stellte einer der Teilnehmer, Sonderberater der Europäischen Kommission, eine Liste der Initiativen vor, welche die EU in diesem Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ergriffen hat. Ausgerechnet in jenem Annus horribilis also für die Wirtschaft des Kontinentes. Größer könnte die Ironie des Schicksals nicht sein. Eine in London arbeitende italienische Wirtschaftsexpertin erwiderte daraufhin, dass die europäischen Institutionen in nur einer Sache wirklich gut seien: Nämlich, wenn es darum geht, Reden zu schwingen. Niemals würden darauf aber Handlungen folgen. Auf ihre Aussage folgte tobender Beifall. Sogar ein "Basta!" wurde gerufen.

Das Misstrauen gegenüber der Politik und traditionellen Institutionen steigt im gleichen Maße wie die Lebensbedingungen der Europäer in Zeiten von Wirtschaftskrise und Sparplänen sinken. Ein Misstrauen, das die Mehrzahl der Kommentatoren als "populistisch" und „anti-politisch“ beurteilten. In jene Populismus-Falle tappen eigentlich die weniger gebildeten Bevölkerungsgruppen, die zu Opfern ihrer eigenen Unwissenheit und der Instrumentalisierung durch andere werden. Die Tatsache, dass nun auch überdurchschnittlich gebildete Menschen, so wie die Teilnehmer des Festivals etwa, sich populistischen Gefühlen hingeben, sollte zum Nachdenken anregen.

Daniele Albertazzi und Duncan McDonnell definieren den Populismus als "die Ideologie, die ein tugendhaftes Volk einer Reihe von Eliten gegenüberstellt, die diesem seine Rechte, seine Werte, seinen Wohlstand und seine Stimme entziehen". Die Wirtschaftskrise hat das Leben von Millionen von Europäern auf den Kopf gestellt. Nicht aber das der Eliten, die am Ausbruch der Krise sogar beteiligt waren. Und nun sieht es ganz danach aus, als sei das Bild, welches Albertazzi und McDonnel zeichnen, Wirklichkeit geworden. Beispielsweise in Irland, wo die Rettung der Anglo Irish Bank ein Fünftel dessen kosten wird, was die gesamte Bevölkerung in einem Jahr an Reichtum erwirtschaftet hat.

Kürzlich machte Alain Touraine darauf aufmerksam, dass die zunehmende Ungleichheit gegenwärtig die größte Bedrohung für die Stabilität und den Zusammenalt der EU und ihrer Mitglieder stelle. Die auf dem ganzen Kontinent zunehmend erfolgreichen populistischen Parteien sind die falsche Antwort. Doch auch wenn ihre Ideen äußerst diskutabel sind, kann man die Fragen, die sie aufwerfen, nicht einfach so vom Tisch wischen.

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