In einem Berliner Park, 2010.

Courage, Mutter!

In zahlreichen europäischen Ländern macht die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik den Müttern das Leben schwer. Um das Kinderkriegen attraktiv zu machen, müsse man deshalb auch andere Faktoren neu definieren, wie beispielsweise die Rolle des Vaters, notiert die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter.

Veröffentlicht am 15 Dezember 2010 um 11:07
In einem Berliner Park, 2010.

In Deutschland hat die Einführung eines Elterngelds der Vater oder die Mutter kann eine zwölfmonatige Auszeit beantragen mit einer Transferzahlung von 67 Prozent des Gehalts bis maximal 1800 Euro pro Monat nicht gereicht, den Trend umzukehren. Die Geburtenrate — 1,36 Kinder pro Frau — ist weiterhin eine der niedrigsten in Europa.

Historisch gesehen ist es sicherlich eine gute Sache, dass die Geburtenrate in vielen Ländern, insbesondere in Europa, rückläufig ist. Doch liegt die Ziffer zu deutlich unter der Zahl von 2,1 Kindern pro Frau, den eine Gesellschaft zur Selbsterneuerung braucht, dann muss man zwingend nach den tiefer liegenden Ursachen forschen.

Natalität ist ein komplexes Phänomen. Sie hängt von einer Vielzahl von individuellen Entscheidungen ab, die wiederum von zahlreichen Faktoren beeinflusst werden, an erster Stelle von Traditionen.

Die Hypothese, dass die mangelnde Lust am Kinderkriegen der deutschen Frauen an fehlender Gleichstellung liegt, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Familienpolitik der alten Bundesrepublik war extrem konservativ. Die Ernährerrolle des Vaters war gesetzlich verankert und Frauen, die Kinder bekamen, waren de facto gezwungen, den Arbeitsmarkt zu verlassen.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Die deutschen Rabenmütter

Das Angebot zur Kinderbetreuung wächst, doch Frauen, die Job und Mutterrolle vereinbaren wollen, stehen immer noch vor großen Schwierigkeiten, was sowohl an der Mentalität der Menschen als auch an den fehlenden Infrastrukturen liegt. Der Begriff „Rabenmutter“ für berufstätige Frauen, die ihre Kinder tagsüber in Kitas unterbringen, existiert weiterhin.

Ein Phänomen, welches im Rest Westeuropas noch deutlicher zutage tritt. Auf der einen Seite gibt es, ähnlich wie in Deutschland, Länder mit schwacher Geburtenrate wie Spanien Portugal und Italien, in denen die traditionelle Frauenrolle es unmöglich macht, Beruf und Kind unter einen Hut zu bringen. Und muss zwischen Beruf und Kind gewählt werden, hat das Kind Vorrang.

Auf der anderen Seite gibt es Länder mit relativ hoher Geburtenrate wie Frankreich oder die skandinavischen Länder. Abgesehen von regionalen Unterschieden zeichnen sich diese Länder durch zahlreiche öffentliche Infrastrukturen aus, die berufstätige Frauen ermutigen, Kinder zu bekommen, unter anderem mit einem dichten Netz von Kitas.

Die Idee, dass politische Maßnahmen zu mehr Gleichberechtigung notwendig seien, um die Geburtenrate in den reichen hochentwickelten Ländern zu erhöhen, scheint aber zweifelhaft. Die USA beispielsweise kennen eine höhere Geburtenrate als in den meisten europäischen Ländern, wogegen in den ehemaligen Ostblockstaaten — trotz hoher Beschäftigungsrate der Frauen und weitreichendem öffentlichen Betreuungsangebot — die Quote sehr niedrig liegt.

Die Ökonomie hängt auch an der Reproduktionsrate

Trotz dieser Gegenbeispiele deutet dennoch alles darauf hin, dass mehr Gleichberechtigung und ein größerer sozialer Schutz, um Job und Familie miteinander vereinbaren zu können, eine gute Sache für Europa ist. Die Mehrheit der Menschen wünscht Kinder, und eine Gesellschaft, die diesem Wunsch nicht nachkommt, verliert den Glauben an die Zukunft und setzt ihre wirtschaftlichen Perspektiven aufs Spiel.

Selbst den USA ist es gelungen mit hoher Beschäftigung der Frauen trotzdem eine hohe Geburtenrate zu erreichen, obwohl es keine öffentlichen Infrastrukturen gibt. Das amerikanische Schema lässt sich aber nicht so einfach auf Europa übertragen, wo immer noch gilt, dass die Gesellschaft soziale Probleme kollektiv zu regeln hat.

Anfang dieses Monats legte das Europäische Parlament einen unglücklichen Vorschlag vor, der den Mutterschutz kostspielig verlängern und bis ins kleinste Detail reglementieren sollte. Er wurde von einer Mehrheit der Länder verworfen. Es ist unrealistisch, dass auf dem Höhepunkt der Eurokrise, das EU-Mandat in Sachen der Familien- und Gleichstellungspolitik ausbauen zu wollen. Darüber hinaus führt Mutterschutz allein nicht zu einer familienfreundlicheren Gesellschaft. Allerdings hängt die Ökonomie von morgen nicht nur von unserer Produktions-, sondern auch von unserer Reproduktionsrate ab. (js)

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema