Im Zentrum von Nikosia wir nicht mehr jeden Tag demonstriert, vor den Geldautomaten stehen keine Menschenschlangen mehr und die Türen des Parlaments sind nicht mehr von Fernsehreportern belagert. Dennoch sind die Lebensbedingungen auf Zypern heute viel schwieriger als auf dem Höhepunkt der Krise vor sechs Monaten. Die meisten Zyprioten befürchten sogar, dass ihnen das Schlimmste noch bevorsteht.
Als der Präsident von Zypern und die Eurogruppe am 15. März dieses Jahres ihre Absicht ankündigten, eine Zwangsabgabe auf alle Bankeinlagen zu erheben, lösten sie eine Krise aus, die zuerst zur zweiwöchigen Schließung der Banken und dann zur Beschränkung des Kapitalverkehrs führte. Die weitere Entwicklung war vorherzusehen: ein geschwächtes Banksystem, von der Troika aufgezwungene Sparmaßnahmen, Konjunkturabkühlung und rasch steigende Arbeitslosigkeit.
Die Unternehmer investieren nicht mehr
Zypern, eine Insel, die sich in den letzten Jahrzehnten an einen hohen Lebensstandard ohne Krisen und Armut gewöhnt hatte, folgte nun Portugal und Griechenland und lernte eine ganz andere Realität kennen. „Von den Ärmsten bis zu den Reichsten wurden alle auf verschiedenen Ebenen von der Krise getroffen. Bei den Bedürftigsten ist eine Hoffnungslosigkeit zu beobachten, wie es sie seit der Invasion der Türken im Jahr 1974 nicht mehr gegeben hat“, meint Dinos Papakyprianou, ein Kleinunternehmer, der Geräte aus dem Ausland importiert.
Vor sechs Monaten lernte Público den aufgebrachten Dinos in Nikosia bei einer Demonstration auf der Straße kennen. Er hoffte, die Banken würden bald wieder öffnen, damit er die Geldgeschäfte für seine Firma abwickeln könnte. Beim heutigen Telefonat wirkt er resignierter und pessimistischer. Er erwartet, dass sich die Lage weiter verschlechtert. „Ich habe mein Geschäft und meine finanziellen Risiken auf ein Minimum reduziert. Sollte alles noch schlimmer werden, hoffe ich, nicht alles zu verlieren, was ich in 32 Jahren mühsam aufgebaut habe. Ich ziehe es vor, mich auf eine Krise einzustellen, wie wir sie vor sechs Monaten hatten, und dann schnell eine Entscheidung zu treffen“, erklärt er.
Dinos Gesichte veranschaulicht, was allgemein in der zyprischen Wirtschaft passiert. Die Unternehmen, die von den Geschehnissen im März erschüttert waren, als die Regierung die Zwangsabgabe auf alle Bankeinlagen ankündigte und dann nur die Konten mit einem Saldo von mehr als 100.000 Euro bei den beiden größten Banken belastete, investieren nicht mehr, der Konsum der Haushalte ist steil gesunken und der Konjunkturhimmel düstert sich immer schneller ein.
Das EU-Land mit der tiefsten Rezession
Derzeit ist die Republik Zypern das EU-Land mit der tiefsten Rezession. Der Inselstaat übertrifft sogar Griechenland. [[Laut Eurostat büßte das zyprische Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 5,2 Prozent gegenüber der Vergleichsperiode des Vorjahrs ein.]] Ein so steiler Rückgang wurde zuletzt im Jahr des Zypernkonflikts verzeichnet. Die Arbeitslosenquote, die im März bereits ein Allzeithoch von 14,9 Prozent erreicht hat, steigt unaufhörlich und beträgt heute 17,3 Prozent.
Nach einer komplizierten Parlamentsabstimmung über die von der Troika geforderten Maßnahmen gab die Eurogruppe am Freitag grünes Licht für die Auszahlung der zweiten Kredittranche in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Insgesamt wurden dem Land 10 Milliarden Euro zugestanden. „Wir sind nicht mehr in der Gefahrenzone“, meinte der zyprische Finanzminister Haris Georgiades. Zypern sei nun „in einer Stabilisierungsphase“. Die von Público kontaktierten Ökonomen teilen diesen Optimismus jedoch nicht.
Die Banken sind noch nicht saniert
„Es ist wahr, dass die Rezession aus makroökonomischer Sicht schneller nachlässt, als ursprünglich angenommen, aber im Finanzsektor verschlechtert sich die Situation zusehends und die Banken sind noch nicht saniert. Je strenger die Konditionen für die Kreditvergabe sind, desto schlimmer wird die Lage“, bestätigt Antonis Ellinas, Professor an der Universität Zypern. Er ist sogar der Ansicht, dass ein Ausscheiden aus dem Euroraum nicht unmöglich wäre. [[„Es bestehen Zweifel am Erfolg des Programms der Troika]], da niemand weiß, woher das Wachstum kommen soll. Deshalb ist das Risiko eines Austritts aus dem Währungssystem nicht auszuschließen. Wenn sich die Lage verschlimmert, fordern sicher immer mehr Menschen die Rückkehr zum zyprischen Pfund, das als stabile Währung gilt“.
Bernard Musyck, ein belgischer Wirtschaftswissenschaftler, der sich in Zypern niedergelassen hat, gibt weitere Gründe an, warum sich die Krise verschärfen könnte, bevor sich die Lage wieder bessert. „Im öffentlichen Sektor sehen wir infolge des Drucks der Troika langsam Änderungen, aber im Privatsektor wird die Lage ganz einfach geleugnet. Diese Phase kann nicht mehr lang andauern“, meint er. Als Beispiel nennt er das Bankwesen. „Die Cyprus Bank hat die Laiki Bank übernommen, aber den Mitarbeitern wurde nicht gekündigt. Mit dem Eintritt der Russen in den Vorstand werden die Entlassungen beginnen und die Banken werden auch am Nachmittag öffnen, was heute nicht der Fall ist“, betont er. Die Regierung dürfte auch ganze Sektoren wie die Stromerzeugung, die Telekommunikation und die Häfen privatisieren. Deshalb werden auf kurze Sicht noch mehr Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren oder Lohnkürzungen hinnehmen müssen.
Die Hoffnung heißt Erdgas
Das Szenario verdüstert sich, wenn man bedenkt, dass die beiden Bedingungen für einen Konjunkturaufschwung noch lang nicht erfüllt sind. Zuerst müssten die Wirtschaftssubjekte ihrem Banksystem wieder vertrauen. Derzeit verhindert aber nur die Kontrolle des Kapitalverkehrs einen Schaltersturm. Im März, als die Banken wieder öffneten, versprach die Regierung, die Kontrollen nach einigen Wochen aufzuheben, sie sind jedoch immer noch in Kraft. „Derzeit dürfen die Zyprioten nur 20 Prozent eines fälligen Festgeldkontos abheben“, so Bernard Musyck. Vor diesem Hintergrund dürfte es seines Erachtens noch lang dauern, bis das Vertrauen wieder hergestellt ist.
Die zweite Bedingungen wäre die Förderung des Erdgases, das kürzlich vor der Küste Zypern entdeckt wurde.
Den Experten zufolge dauert es jedoch fünf bis sieben Jahre, bis das Gas gewinnbringend gefördert werden kann. Das ist wahrscheinlich zu lang, um zu verhindern, dass wieder eine Generation Zyprioten von Arbeitslosigkeit und Armut geprägt wird.