Letzte Woche waren die Nachrichten in Großbritannien bezeichnenderweise voller Storys, die vom Europarat ausgingen. Am Dienstag stimmte er einstimmig gegen jegliches nationale Verbot der Burka in EU-Ländern und trat dabei den Versuchen Frankreichs und Spaniens, die religiöse Verschleierung in der Öffentlichkeit zu verbieten, trotzig entgegen. Die Abgeordneten aus 47 europäischen Staaten, aus welchen sich seine parlamentarische Versammlung zusammensetzt, finden, ein allgemeiner Burka-Bann würde den Frauen, die "es aufrichtig und aus freiem Willen wünschen", das Recht aberkennen, ihr Gesicht zu bedecken. Weiter forderte der Rat die Schweiz zum Widerruf ihres allgemeines Bauverbots für Minarette auf, das er als "diskriminierend" bezeichnete.
Am Donnerstag entschied ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ein Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe könne nicht gewährleistet werden. Der von einem homosexuellen Paar in Österreich vorgelegte Fall führte zu einer besonderen Kontroverse in Großbritannien, wo sich die Regierung als dritte Partei einschaltete. Sie war besorgt, ein eventueller Sieg des Paars könne als Druck auf Großbritannien genutzt werden, um über das derzeitige System der Lebenspartnerschaft hinauszugehen und gleichgeschlechtliche Ehen zu erlauben.
Am Freitag berichtete die Presse über den Schritt des Rates gegen Mückenschutzgeräte, die schmerzhafte, nur für Kinder und junge Menschen hörbare Hochfrequenztöne ausstoßen und bereits von bis zu 25 Prozent der britischen Gemeinden verwendet werden. Die parlamentarische Versammlung des Rates verlangte einstimmig ein Verbot dieser Geräte und beschrieb sie als "höchst offensiv". Die häufigen Schreiben und Entscheidungen aus Straßburg können tiefgreifend auf das Gesetz und die Politik Großbritanniens einwirken. Und doch bleibt der Europarat für die meisten Leute trotz seiner zunehmenden Bedeutung ein dunkles Rätsel.
Rat mit Image-Problem: 12 Sterne auf blauem Hintergrund
Der Europarat ist die älteste der modernen europäischen Institutionen. Er wurde 1949 gebildet, um die Bürger Europas vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen, wie sie während des Zweiten Weltkriegs stattgefunden hatten. Zu seinen 47 Mitgliedsstaaten gehören alle europäischen Länder außer Weißrussland. Doch seit 1986 leidet der Rat unter einem Image-Problem, das zum Teil – so sein Generalsekretät Thorbjørn Jagland – darauf beruht, dass er dieselbe Flagge führt wie die EU: 12 goldene Sterne auf blauem Hintergrund.
Die EU ist heute natürlich die weit bekanntere der beiden europäischen Institutionen und wird oft mit dem Europarat verwechselt, wie auch das oberste Gericht der EU, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, oft mit dem Gericht des Europarats, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verwechselt wird. Auch der physische Sitz des Europarats als weiteres Mitglied der ausufernden Anzahl an "institutions européennes" an der deutsch-französischen Grenze trägt nicht dazu bei, die Sachlage für die britischen Bürger zu klären.
Organ mit wachsender Macht
Jagland, früherer Ministerpräsident Norwegens und derzeitiger Vorsitzender des Komitees zur Vergabe des jährlichen Friedensnobelpreises, erklärt sich des Image-Problems des Europarats "vollstens bewusst" und hat die Absicht, sich auf die Kernkompetenzen zu konzentrieren. Unter anderem wird dabei untersucht, inwieweit die europäischen Länder an Folterungen mitschuldig sind, und die Gefängnisse werden kontrolliert. "Es ist ein Wunder, dass wir überhaupt Kontrollorgane besitzen, die das Recht haben, jedes Gefängnis in Europa zu betreten", erzählt er. "Können Sie sich vorstellen, dass die USA einem internationalen Organ dasselbe erlauben würden?"
Während die Koalitionsregierung weiter daran arbeitet, ihre neuen Strategien mit ihren menschrechtlichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen, ist die Macht des Europarats zunehmend offensichtlich. Was nötig ist, um die Organisation aus dem Dunkel herauszubringen, ist jedoch weniger klar. (pl-m)