Der Papst, dieser Fremde

Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte stammt der Papst aus einer Kultur, die nicht unbedingt alle Werte des heutigen Europas teilt. Der Corriere della Sera fragt sich, angesichts des Treffens zwischen Franziskus und dem orthodoxen Wladimir Putin, ob dies ein Zeichen für den Niedergang Europas zugunsten einer neuen Weltordnung sei.

Veröffentlicht am 25 November 2013 um 12:45

Am 25. November fährt Wladimir Putin nach Rom in den Vatikan zu einem Treffen mit dem Papst. Abgesehen von den vielseitigen Bedeutungen, die dieser Besuch in sich birgt – wie die Auseinandersetzung mit der künftigen Beziehung zwischen Katholizismus und orthodoxem Christentum – steht dieses Treffen für zwei Männer, die sich im vergangenen Sommer in der Syrien-Krise gemeinsam gegen die USA (und gegen Frankreich) gestellt haben. Während Obama unentschlossen an Gänseblümchen zupfte, weil er sich nicht entscheiden konnte, ob er militärisch einschreiten sollte, um Assad für den Einsatz chemischer Waffen zu bestrafen, arbeiteten Putin und Franziskus zusammen, um das amerikanische Einschreiten zu verhindern. Der Papst schürte die Polemik bis hin zu der Unterstellung, dass der syrische Bürgerkrieg absichtlich von Waffenhändlern angeheizt würde. Dabei hatte er vor allem den profitgierigen Westen im Auge.

Es ist höchste Zeit, dass man in Europa darüber nachdenkt, was ein Papst, der aus einer gänzlich anderen Welt als aus der unsrigen stammt, für Europa und für den ganzen Westen bedeutet. Ein Papst, der für Europa in paradoxer Weise kulturelle Vielfalt und die Fähigkeit, Aufsehen zu erregen, mit Anziehungskraft und sogar Enthusiasmus verbindet.

Die Beziehung zwischen dem Papst und seiner Herde sowie sein Versuch, die römische Kirche von Grund auf zu reformieren, betrifft allein die katholische Welt. Diejenigen, die nicht zu dieser Welt gehören, sollten dies nur respektvoll zur Kenntnis nehmen. Doch die Beziehung des Pontifex Maximus zu Europa betrifft alle Europäer. So wie auch andere aktuelle geopolitische Entwicklungen die Europäer betreffen, von denen sicherlich eine der wichtigsten die Besteigung des Heiligen Stuhls durch Jorge Mario Bergoglio ist.

Weit vom liberalen Europa entfernt

Man kann vertreten, dass die Wahl eines lateinamerikanischen Papstes ein Ungleichgewicht aus der Welt schaffte, das die letzten Jahrzehnte immer offensichtlicher und schärfer zu Tage trat. Während sich der Katholizismus außerhalb Europas ausbreitete und festigte, ging sein Einfluss innerhalb der ehemaligen Respublica Christiana auf drastische Weise zurück. [[Europa ist der Kontinent, auf dem sich die Verweltlichung in Form der Entchristianisierung in den letzten Jahrzehnten am tiefsten verwurzelt hat]].

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So gesehen ist Europa in Bezug auf den Rest der Welt ein Einzelfall (die USA mit eingeschlossen). Die anhaltende Kraft und Vitalität des Katholizismus und des Christentums im Allgemeinen in den Gebieten außerhalb Europas können den Rückgang auf dem Alten Kontinent ausgleichen. Und dies in einem derartigen Maße, dass einige Religionssoziologen die Hypothese vertreten, dass das Christentum bei gleichbleibender Tendenz schnell und fast ausschließlich eine außereuropäische Religion werden wird. Die Wahl Bergoglios versteht sich in diesem Sinne als Beseitigung einer Anomalie.

Aber natürlich hat diese Wahl auch eine übergeordnete geopolitische Bedeutung. Sie war das deutlich sichtbare Zeichen dafür, wie drastisch sich das Gewicht der westlichen Welt im internationalen Gleichgewicht verändert hat ­– zu Gunsten der außerhalb Europas liegenden sich entwickelnden Regionen. Es ist normal, dass ein Geistlicher, sei er nun Papst oder einfacher Priester, seine Einstellung zum Christentum aus den Werten und den Ideen bezieht, die für die Gesellschaft, aus der er kommt, typisch sind. Das Land, in dem Bergoglio aufwuchs, hat zweifellos eine Tradition, die von der des liberalen Europa weit entfernt ist. Dies ist ein Umstand, der auf Dauer mehr als nur ein Problem in der Beziehung zwischen dem Papst und Europa darstellen kann: Europa ist eine Welt, von der er nicht viel kennt, und das bisschen, was er von ihr kennt, scheint ihn nicht zu begeistern.

„Europa rutscht an den Rand”

Die große Stärke des Katholizismus war immer schon die Mischung seiner universalistischen Nachricht von Vergebung mit der Fähigkeit, lokale Lebenserfahrungen und Besonderheiten wertzuschätzen. Als die Päpste italienisch waren, waren es die übrigen europäischen katholischen Kirchen, die gekonnt die Treue gegenüber dem römischen Bischof und die Wertschätzung nationaler Merkmale vereinten. Als die Päpste europäisch wurden, taten es die außereuropäischen Kirchen ebenso, ganz wie es sich gehört.

Unter dem Pontifikat von Johannes-Paul II galt dies noch. Sein Charisma stand dem von Bergoglio in nichts nach. Allerdings war damals das Zentrum des Katholizismus noch fest in Europa verankert und die außereuropäischen Kirchen befanden sich am „Rand“. [[Heutzutage rutscht Europa an den Rand. Nur die Tatsache, dass der Sitz des Papsttums in Rom bleibt, hält dies auf]]. Diese Situation ist für die europäischen Katholiken völlig neu (so wie im Übrigen auch für den Rest der Europäer).

Es fällt den verschiedenen nationalen Kirchen zu – der italienischen mit eingeschlossen – vor dem Pontifex Maximus das hervorzuheben, was gut, besonders und unumgänglich in der europäischen Tradition ist. Sonst wird es für die Kirche künftig schwer vorstellbar sein, eine dauerhafte und harmonische Übereinstimmung mit Europa aufrecht zu halten. Außerdem muss sie Wege finden, der Säkularisierung Europas Einhalt zu gebieten. Über die Sympathie hinaus, die dem Papst heute entgegen gebracht wird, könnte sich seine universelle Nachricht auf lange Sicht an den historisch gewachsenen Barrieren und Gräben stoßen, die Europa vom Rest der Welt trennen.

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