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Warum die Großbanken Angst vor dem digitalen Euro haben und wie sie gegen ihn lobbyieren

Mit der Einführung des digitalen Euro könnten alle Europäer*innen ein kostenloses, universelles Zahlungskonto erhalten. Doch diese große Vision droht durch eine gut koordinierte Lobbykampagne des Bankensektors zunichte gemacht zu werden. Die Banken wollen sicherstellen, dass wir sie weiterhin brauchen – und die Entscheidungsträger*innen der EU hören ihnen zu.

Veröffentlicht am 18 April 2024
Dieser Artikel erschien zuvor auf Follow the Money. Sie können den Originalartikel hier lesen und den Journalismus des Portals unterstützen.

Stellen Sie sich eine Zukunft vor, in der 350 Millionen Europäer*innen unbegrenzte, kostenlose Zahlungsmittel ohne Kreditkarten oder Banken nutzen können. Um diese neue Währung, den digitalen Euro, zu nutzen, würden sie nur Ihr Telefon brauchen. Miete zahlen, Lohn und Gehalt erhalten, Lebensmittel einkaufen – alles wäre mit einer App möglich.

Der digitale Euro würde die derzeit von den Banken dominierte Wettbewerbslandschaft für Zahlungen und Ersparnisse aufbrechen, indem er eine sichere Alternative zu Bankeinlagen bietet. Dies würde nach Ansicht der Befürworter*innen der Währung die Abhängigkeit der Gesellschaft vom Bankensektor verringern, die europäische Volkswirtschaft stabilisieren und systemische Bankenkrisen der Vergangenheit angehören lassen.

„Die Gesellschaft braucht digitales öffentliches Geld“, sagte Vicky van Eyck, Direktorin von Positive Money Europe, einer zivilgesellschaftlichen Gruppe, die eine Reform des Geldsystems fordert, bei einer Anhörung im November 2023 vor EU-Gesetzgebenden.

Seit letztem Jahr arbeiten diese an dem Gesetz, das die digitale Version des öffentlichen Geldes gestalten und festlegen soll, wie es verwendet werden kann. Das Europäische Parlament wird voraussichtlich am 22. April 2024 über seinen Standpunkt abstimmen. Wenn Gesetzgebende und Mitgliedstaaten grünes Licht geben, wird die Einführung der digitalen Version der Gemeinschaftswährung der Eurozone voraussichtlich schon 2026 erfolgen.

Konkurrenz für Bankeinlagen

Wird der digitale Euro also eine monetäre Revolution auslösen, die Geld, Zahlungen und das Bankwesen, wie wir es kennen, verändern wird? Zahlungsdienstleister wie Stripe, Paypal und Wise, die keine Banken sind, würden sich das sehr wünschen.

„Derzeit bestehen keine gleichen Wettbewerbsbedingungen, da Zahlungsinstitute und E-Geld-Institute nicht den gleichen Zugang zu Zahlungssystemen haben wie Banken“, so der amerikanische Zahlungsanbieter Stripe in einem Papier, das der Kommission vorgelegt wurde.

Im derzeitigen Währungssystem können nur Bankinstitute Zahlungen in „Zentralbankreserven“ abwickeln, der digitalen Form des Zentralbankgeldes, die ausschließlich Instituten mit einer Banklizenz zugänglich ist: Wenn Sie einem Freund das Geld für das gestrige Abendessen mit Ihrer BNP Paribas-Konto-App auf sein ING-Konto zurückzahlen, wird BNP den entsprechenden Betrag an Zentralbankreserven an ING überweisen; das können derzeit nur Banken tun.

Indem die EU den Bürger*innen und Nichtbankunternehmen direkten Zugang zu digitalem Zentralbankgeld gewährt, könnte sie diese geschlossene Marktlandschaft aufbrechen und den Wettbewerb und die Innovation im Finanzdienstleistungssektor anregen, so Stripe.

Diese Vision wird jedoch kaum von dem Bankensektor geteilt, den sie auf den Kopf stellen würde.

In den letzten Jahren haben die Banken eine stille, äußerst effektive Lobbykampagne betrieben, um ihre potenziellen Konkurrent*innen schon vor der Ausarbeitung des Gesetzes an den Rand zu drängen. Laut Dokumenten, die Follow the Money vorliegen, hat die Kommission in den zwei Jahren vor der Veröffentlichung ihres Gesetzentwurfs Mitte letzten Jahres rund vier Dutzend Treffen mit der Finanzbranche abgehalten.

„Wenn [der] digitale Euro auch für Steuerzahlungen usw. verwendet werden kann und eine allgemeine Akzeptanz vorgeschrieben wird, könnte eine beträchtliche Anzahl ihrer Kund*innen ihre gesamten Finanzen mit dem digitalen Euro abwickeln und bräuchte kein Konto bei einer Geschäftsbank mehr“, warnten die Lobbyisten der deutschen Genossenschaftsbanken die Kommission in einem der Dokumente.

In denselben zwei Jahren verzeichnet das Lobbying-Transparenzregister der Kommission kein einziges Treffen mit einer NRO oder Verbraucher*innenorganisation zum digitalen Euro.

Die Banken wollen einen digitalen Euro, der mit der bestehenden Infrastruktur funktioniert und bei dem die Bürger*innen ihr Konto bei einer europäischen Bank führen müssen. Sie haben auch strenge Grenzen dafür vorgeschlagen, wie viel Geld eine Person in Form des digitalen Euro halten kann – ein Versuch, ihr Geld im Zentrum unserer Zahlungs- und Sparinfrastruktur zu halten.

Wie die Banken die besten Plätze am Tisch bekamen

Als Antwort auf eine Anfrage von Follow the Money nach Zugang zu Informationen hat die EZB zwei Dutzend Briefe und E-Mails veröffentlicht, die zeigen, wie Banken und Branchenverbände ihre Machtposition ausnutzen. Die Banken präsentieren sich als „vertrauenswürdiger Partner der EZB seit mehr als 20 Jahren“, heißt es in einem Schreiben, das von drei Banken-Lobbygruppen verschickt wurde.

Ihre Anträge waren erfolgreich.

„Ich nehme Ihre Anregung zur Kenntnis, den Austausch mit der Bankensektor über die Gestaltung und Verbreitung eines digitalen Euro weiter zu intensivieren“, schrieb ex EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta beispielsweise im Juli 2022 an den Bundesverband Deutscher Banken. Wie viele Treffen mit Bankenlobbys sie in den vergangenen Jahren zum digitalen Euro hatte, teilte die EZB nicht konkret mit.

Die gut koordinierte Lobbykampagne des Bankensektors hat beim Verbraucher*innenschutz Alarm ausgelöst.

„Es liegt nicht im Interesse des Bankensektors, einen digitalen Euro zu entwickeln, der für die Verbraucher*innen attraktiver ist als ihr bestehendes Angebot“, sagte Anna Martin von BEUC, einem Dachverband von 45 Verbraucher*innenorganisationen in ganz Europa, gegenüber Follow the Money. In der Vision der Organisation wäre ein digitaler Euro gebührenfrei, würde die Privatsphäre schützen und man könnte überall in der EU damit bezahlen.

Die Kommission und die EZB seien offen für Stimmen von außerhalb der Finanzbranche, sagte Martin – aber da die finanziellen Mittel begrenzt seien, könne nur eine kleine Anzahl von Nichtregierungsorganisationen daran arbeiten, erklärte sie.

Dies bedeute, dass Gesetzgebende, die fast ausschließlich mit Lobbyist*innen der Branche über den digitalen Euro sprechen, Gefahr liefen, die Position der Banken mit der „Ansicht einer überwältigenden Mehrheit der Gesellschaft“ zu verwechseln, so Martin.

Wofür haben sich die Banken also genau eingesetzt?

Die digitale Währung könnte die Art und Weise, wie Banken in der Gesellschaft funktionieren, grundlegend verändern – zumindest haben das die drei größten europäischen Bankenverbände der EZB in einem Schreiben mitgeteilt. Würde der digitale Euro zu einem kostenlosen Zahlungsmittel, stünde er in direkter Konkurrenz zu Bankeinlagen.

Händler*innen zahlen für jede Transaktion eine geringe Gebühr an die Bank – und die Banken haben Angst, dass ihnen diese Einnahmen verloren gehen könnten.

Die Lobbyist*innen befürchten, dass eine unabhängige öffentliche Zahlungsinfrastruktur für den digitalen Euro es den Banken schwerer machen würde, Geld zu verdienen. Um das alte Geschäftsmodell zu retten, haben die Bankengruppen die EZB aufgefordert, sie solle die Finger von der Beziehung zu den Kund*innen lassen. Stattdessen sollte die EZB den digitalen Euro als „Rohmaterial“ ausgeben, d.h. sie sollte es der Branche überlassen, die Infrastruktur zu entwickeln, die es ermöglicht, ihn tatsächlich für Zahlungen zu verwenden, schrieb die Europäische Bankenvereinigung in einer E-Mail an das damalige EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta.


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Doch selbst wenn die EZB von der direkten Abwicklung von Verbraucher*innenzahlungen mit digitalen Euros absieht, müssten sich die Banken mit neuer Konkurrenz von außerhalb des Bankensektors auseinandersetzen. Fintech-App-Entwickelnde, Krypto-Unternehmen und etablierte Nichtbanken-Zahlungsanbietende wie Stripe und PayPal sind bestrebt, den Banken Marktanteile abzugewinnen, indem sie ihre eigenen Zahlungsanwendungen für den digitalen Euro entwickeln.

Nur zahlen, nicht sparen

Solange es für Verbraucher*innen und Unternehmen keine praktikable Alternative gibt, um ihre Ersparnisse in einer sicheren digitalen Form aufzubewahren, sind alle Privatpersonen und Unternehmen gezwungen, ihr Geld – oder zumindest einen Teil davon – bei einer Geschäftsbank zu deponieren, unabhängig von den Zinssätzen, die die Banken anbieten. Und da sie hier nicht mit Nichtbanken konkurrieren müssen, können die Banken für Ihre Einlagen viel niedrigere Zinssätze zahlen als für das Geld, das sie sich anderswo leihen – was die Rentabilität der Banken erheblich steigert.

Der Bankensektor befürchtet, dass der digitale Euro die Einlagen von ihren Privatkund*innen, die ihre „wertvolle und stabile Finanzierungsquelle“ darstellen, aushöhlen wird, wie aus einem Schreiben des Netzwerks der Finanzverantwortlichen der 27 größten europäischen Banken hervorgeht.


In denselben zwei Jahren verzeichnet das Lobbying-Transparenzregister der Kommission kein einziges Treffen mit einer NRO oder Verbraucher*innenorganisation zum digitalen Euro


In dem Schreiben an die Spitzenmanager*innen der EZB und der Kommission plädiert das European CFO Network für die Einführung einer Höchstgrenze für den Betrag in Euro, den eine Person auf ihrem digitalen Euro-Konto halten kann. Um sicherzustellen, dass der digitale Euro nicht zu einem „Wertaufbewahrungsmittel“ wird – einem Ort, an dem die Europäer*innen ihr Geld für einen längeren Zeitraum sicher aufbewahren können – fordert das Netzwerk die Kommission und die EZB auf, den Betrag auf möglichst 500 bis 1.000 Euro zu begrenzen. Zusätzlich zu dieser Obergrenze fordern die Banken, dass digitale Euro-Konten im Gegensatz zu Bankeinlagen nicht verzinst werden dürfen.

Die Spitzenmanager*innen der Banken führen eine Reihe von Gründen an, um ihr Argument zu verteidigen. Sie sagen, dass es „erhebliche unbeabsichtigte Folgen für die Finanzstabilität haben könnte“, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Sie drohen auch damit, dass ihre erhöhten Finanzierungskosten an die Kreditnehmenden weitergegeben werden und die Kreditvergabe an die Gesellschaft einschränken könnten. Sie argumentieren, dass dies „gefährdete Kund*innen“ am meisten treffen würde.

Den Banker*innen zufolge könnte dies sogar „die grüne Transition in Frage stellen“, da es für die Banken unattraktiver wird, in Nachhaltigkeitsprojekte zu investieren, und „die Innovation stark behindern und den Wettbewerb in der europäischen Zahlungsbranche verringern wird“.

Wie die Kommission Partei ergriff

Bislang sieht es so aus, als würden die Banken den Kampf gewinnen. Die Kommission sieht den Euro In ihrem Vorschlag als Zahlungsmittel und nicht als Wertaufbewahrungsmittel vor. Die Kommission weicht der Frage aus, wie hoch die Haltegrenze sein sollte und delegiert die Festlegung solcher Grenzen an die EZB.

Laut Dirk Niepelt, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bern, stützt die Forschung nicht das Argument, dass die Kreditvergabe an die Gesellschaft unter dem digitalen Euro leiden wird. „Eine vereinfachte Bilanzlogik scheint zu suggerieren, dass die Kreditvergabe zurückgehen muss, aber die Forschung hat gezeigt, dass auch das Gegenteil der Fall sein könnte. Das wissen wir einfach nicht“, sagte Niepelt.

Christian Hofmann, Professor an der National University of Singapore, geht noch einen Schritt weiter und bestreitet, dass eine Obergrenze für die Menge an Geld, die die Menschen in ihren digitalen Euro-Geldbörsen halten können, aus Gründen der Finanzstabilität überhaupt notwendig ist.

Im Gegenteil, er argumentiert, dass „ein Ansatz, der jedem unbegrenzten Zugang zu digitalen Euros ermöglicht“, den Wettbewerb ankurbeln und letztlich die Finanzstabilität verbessern würde. Selbst wenn die Banken weniger Kredite anbieten könnten, könnte dies dadurch ausgeglichen werden, dass Nichtbank-Finanzinstitute mehr anbieten könnten.

„Die Banken müssten mit dieser neuen Finanzbranche konkurrieren“, sagte er. „Das Ergebnis könnte eine geringere Risikokonzentration bei einigen wenigen systemrelevanten Banken sein.“

Die EZB stellt sich auf die Seite der Banken

Niepelt und Cyril Monnet, ein weiterer Wirtschaftsprofessor an der Universität Bern, der ebenfalls vom Parlament mit einer separaten Studie beauftragt wurde, werfen der EZB vor, „ein implizites Ziel zu verfolgen – die Banken und ihr Geschäftsmodell zu schützen“.

Sie kommen zu dem Schluss, dass „die EZB, anstatt sich für ein Umdenken zu entscheiden, beschlossen zu haben scheint, am Status quo festzuhalten.“ Das ist, so argumentieren sie in einem Meinungsbeitrag, dasselbe wie „den digitalen Euro auf dem Altar des Bankwesens, wie wir es kennen, zu opfern“.

Während die Verhandlungen noch laufen, ist die Zukunft des digitalen Euro noch nicht geklärt.

Arbeitsdokumente, die Follow the Money durch einen Antrag auf Informationsfreiheit erhalten hat, deuten darauf hin, dass wichtige Fragen im Rat noch diskutiert werden. So haben einige Mitgliedstaaten Bedenken hinsichtlich des großen Ermessensspielraums geäußert, den der Vorschlag der Kommission der EZB einräumt. In einem Arbeitspapier heißt es, dass die Mitgliedstaaten „in dieser grundlegenden Frage unterschiedliche Ansichten vertreten haben“.

👉 Originalartikel auf Follow the Money

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