Palästinensischer Junge in einer von einer israelischen Rakete getroffenen Schule bei Netzarim, Gazastreifen. (AFP)

Europa sollte Palästina-Hilfe überdenken

Nach Catherine Ashtons Reise nach Israel und Palästina treffen sich die EU-Außenminister am 22. März in Brüssel um über eine geschlossene Politik im Nahen Osten zu beraten. Laut der Financial Times sollte die EU erst einmal die Frage der Unterstützung der palästinensischen Autonomiebehörde überdenken.

Veröffentlicht am 22 März 2010 um 13:44
Palästinensischer Junge in einer von einer israelischen Rakete getroffenen Schule bei Netzarim, Gazastreifen. (AFP)

Catherine Ashton, die Chefin der EU-Außenpolitik, hat mit ihrem Besuch in Israel und im Gazastreifen nur wenig Aufsehen erregt. Sie sollte die Gelegenheit nutzen, um den gescheiterten EU-Ansatz zum Friedensprozess im Nahen Osten wieder ins Reine zu bringen. Tut sie das nicht, dann war ihre Reise wirklich umsonst. Der mangelnde Einfluss der EU auf Israel ist ein viel diskutiertes Thema. Letztes Jahr fror die EU ihre Verhandlungen mit Israel über ein erweitertes Assoziierungsabkommen ein und nahm zu Themen wie Jerusalems Status eine pro-palästinensische Haltung ein. Doch die israelische Weigerung, den Siedlungsbau zu stoppen, lässt darauf schließen, dass diese Maßnahmen nur wenig Wirkung zeigten. Die Aussage des spanischen Außenministers Miguel Angel Moratinos, der spanische EU-Vorsitz werde den diplomatischen Verlauf des Friedensprozesses in Richtung einer endgültigen Lösung lenken, scheint kaum mehr als geschwollenes Gerede zu sein.

Ein Bereich, in welchem der europäische Einfluss allerdings wirklich zählt, ist die Unterstützung bei der Errichtung der palästinensischen Institutionen. Die EU ist in den palästinensischen Autonomiegebieten seit langem der größte Geldgeber und lässt Milliarden von Euro in den Aufbau der Institutionen des palästinensischen Protostaats fließen. Doch leider hat die Zuordnung dieser Gelder den Mangel an Einheit in Palästina noch vertieft. Seitdem die Hamas vor vier Jahren an die Regierung gewählt wurde, ist die europäische Unterstützung an die palästinensischen Autonomiegebiete deutlich gestiegen. Paradoxerweise waren die gesamten europäischen Subventionen in den zwölf Monaten nach der Wahl der Hamas fast doppelt so hoch wie vorher. Da die EU es ablehnt, mit der Hamas zu verhandeln, die jetzt allein für den Gazastreifen zuständig ist, laufen alle diese Subventionen über die von der Fatah geleiteten Institutionen im Westjordanland.

EU-Kungelei verschärft palästinensische Spaltungen

Die Hilfsgelder wurden von der längerfristigen Regierungsreform abgezogen und werden nun für kurzfristige Notbeihilfen aufgewendet. Ihre Zuteilung ist undurchsichtig geworden. Die palästinensische Seite kommt den europäischen Forderungen nach einer präziseren Rechenschaftspflicht nicht nach. Ein höherer Standard in der Regierungsführung hätte die Polarisierung von Fatah und Hamas temperieren können. Die Hamas kam an die Macht, weil die Korruption der Fatah von der Bevölkerung allgemein missbilligt wurde. Und dennoch hat die EU der Vetternwirtschaft und der zentralisierten politischen Kontrolle weiterhin nachgegeben. Sie hat von politischer Reform getönt, doch diese Reform durch die Unterstützung des vorgeblich moderaten Präsidenten Mahmud Abbas umsetzen wollen.

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Die EU-Mission zur Unterstützung der Polizeikräfte im Westjordanland gab den Sicherheitsorganen der Fatah Mittel gegen die Streitkräfte, die der Hamas unterstehen. Zu den Auflagen dieser Mission gehören zwar ganz ausdrücklich auch Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, doch in der Praxis besteht sie darin, die Streitmacht der Fatah in ihrem Kampf um die Vormachtstellung gegen die Hamas auszurüsten. Derartige verstohlene Versuche, die Hamas unter dem Deckmantel der Regierungsreform zu besiegen, können die existierenden Spaltungen der Palästinenser nur verschärfen.

Was dieser einseitige Ansatz die EU kostet, ist heute offensichtlich. Es wurden Hoffnungen auf einen Anführer gesetzt, der nun droht, sich nicht um Neuwahlen zu bemühen. Die EU unterstützte letztes Jahr sogar Abbas' Entscheidung, die Wahlen zu verschieben. Und konnte keinen klaren Kurs ausarbeiten, der zu einer palästinensischen Einheitsregierung geführt hätte. Auch die EU-Staaten untereinander sind sich uneinig darüber, wie belastend die Auflagen sein sollen, die an die Hamas-Mitglieder einer solchen Regierung gestellt würden.

Unterstützt werden muss die Demokratie von unten

Privat geben europäische Diplomaten zu, dass sie sich nach den Wahlen von 2006 selbst in ein Sackgasse manövriert haben, indem sie sich darauf beschränkten, nur mit einem Teil des palästinensischen Politikspektrums zu verhandeln. Der Beginn einer neuen Phase im Wahlzyklus ist für die EU eine Gelegenheit zum Ausweg. Lady Ashton kann sich hier profilieren: Ernsthaft unzulänglich war in den letzten Jahren der mangelnde diplomatische Rückhalt für die Leiter der EU-Hilfsprogramme vor Ort – etwa die brachliegende Grenzkontrollmission, die heute meilenweit von der Demarkationslinie in Rafah ihre Däumchen dreht.

Eine Einheitsregierung an sich wäre auch keine Lösung für die Trübsal Palästinas. Gebraucht werden keine undurchsichtigen Kungeleien zwischen den Führern von Fatah und Hamas, sondern dynamischere offene Strategien. Die europäischen Geldgeber sollten die Hilfsgelder den verantwortungslosen Eliten entziehen, die sowohl bei der Fatah als auch bei der Hamas die Zügel in der Hand haben. Die Fähigkeiten der palästinensischen Gesellschaft zur Demokratie von unten müssen unterstützt werden, indem volksnahen Organisationen Unterstützung zugeführt wird. Nur so bekommen die Bürger einen Sinn für Eigentumsrecht und werden dazu motiviert, die Überwältigung des Parteigeists als nötigen Schritt zu Verhandlungen über Vertragsbedingungen mit Israel zu sehen.

MEINUNG

Die 27 immer noch festgefahren

Mit ihrer Reise nach Israel, ins Westjordanland und in den Gazastreifen vom 17. bis zum 19. März setzte Catherine Ashton, die oberste Dame der europäischen Diplomatie, "ein eindeutiges Zeichen: Die EU lehnt die drakonische Blockade von anderthalb Millionen Palästinensern im Gazastreifen ab." Weiter gab sie damit zu verstehen, dass die EU in Kolonisationsfragen "mehr Druck auf Israel ausüben will", stellen fünf Vertreter von Nichtregierungsorganisationen in der niederländischen Tageszeitung De Morgen fest. "Doch ist das auch wirklich der Fall?" fragen sich die Autoren der Kolumne. "Die EU ist sehr gespalten, was Israel betrifft."

Die Autoren erinnern daran, dass "der EU-Ministerrat beschlossen hat, die Vertiefung der bilateralen Beziehungen zu Israel vorläufig einzufrieren – eine Entscheidung, die von Ländern wie Deutschland, den Niederlanden, der Tschechischen Republik und Spanien bedauert wird". Letztere meinen, dass "sich eine bessere Zusammenarbeit ganz von alleine positiv auf Israels Verhalten auswirken würde. Ein letzter Versuch von Seiten Spaniens, die bilateralen Beziehungen zu intensivieren, wurde von Irland und Schweden kategorisch abgelehnt. Wie auch Malta und Slowenien sind sie der Meinung, Israel müsse zunächst einmal das internationale Recht einhalten." Die Spaltung innerhalb der EU erklärt sich durch "die Angst der verschiedenen Mitgliedsstaaten, ihren Einfluss im Friedensprozess einzubüßen" einerseits, und durch "wirtschaftliche und politische Interessen" andererseits, versichern die Autoren. Sie bedauern auch, dass die EU nun "zwischen den verurteilenden Worten und der wirklich geführten Politik hin- und hergerissen ist".

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