Flucht nach vorn

Auf der Suche nach einer "ganzheitlichen Antwort“ der Union auf die Krise der Eurozone versammeln sich die 27 Länder im Europäischen Rat. Erörtert werden soll zunächst einmal der Euro-Pakt. Die europäische Presse bedauert, dass die Diskussionen über die Reform des europäischen Mechanismus' zur Finanzstabilisierung und über die Schaffung eines Europas der zwei Geschwindigkeiten vertagt wurden.

Veröffentlicht am 24 März 2011 um 18:18

Die Iren sorgen sich um die internen Auswirkungen der Entscheidungen, die in Brüssel getroffen werden. Besonders um den Rettungsplan für die irischen Banken, deren Zusammenbruch eine Wirtschaftskrise ausgelöst hat, die das ganze Land durchzieht.

So sieht der Irish Independent den Ergebnissen des Europäischen Rates eher pessimistisch entgegen:

"Noch bevor er begonnen hat, scheint der so herbeigesehnte heutige Gipfel gescheitert. Es wird wohl unmöglich sein, sich auf das wichtigste Thema einigen zu können: Die Erhöhung der Darlehenskapazität des EU-Fonds von 250 auf 440 Milliarden Euro. Wahrscheinlich wird man mit einer Einigung bis Juni warten müssen.“

Bis dahin wird die wichtigste Frage die der Banken bleiben, meint die Zeitung. Eine Reihe von Stresstests stehe bevor, dank derer ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Finanzschocks überprüft werden soll:

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"Die Stresstests könnten aufzeigen, dass die irischen Banken neuen Verlusten nicht standhalten würden. Trotz des 35 Milliarden Euro schweren EU/IWF-Rettungspaketes.“

Die polnische Dziennik Gazeta Prawna beschwört das Schreckgespenst einer Wirtschaftsunion der zwei Geschwindigkeiten herauf. Wenn dies das Ergebnis des Gipfels wäre, dann würde die Eurozone sich in eine Steuer-Union verwandeln. Und die Länder, die nicht dazugehören, würden dann in Sachen EU-Wirtschaftspolitik nicht mehr mitreden können:

"Beim heutigen Gipfel wird die Wirtschafts-Union der Eurozone offiziell gemacht. Deutschland und Frankreich, die Architekten dieses Pakts, betonen, dass dies der einzige Ausweg aus der Schuldenkrise ist.“

Der Meinung eines Experten nach, den die Warschauer Tageszeitung zitiert, ist der Deal einfach:

"Deutschland ist bereit, die Mitgliedsstaaten zu retten, denen die Insolvenz droht. Im Gegenzug müssen die Schuldner auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten. Einige Länder, wie Schweden und Großbritannien, befürchten, dass Europa einen über-regulierten Kapitalismus ansteuert . Dagegen wollen andere Länder wie Polen, Dänemark, Litauen, Bulgarien und Rumänien, dem [Euro-] Pakt beitreten, um nicht von der EU ausgegrenzt zu werden.“

Für die Bukarester Tageszeitung Jurnalul naţional liegt genau an dieser Stelle das Risiko. Auch wenn der Euro-Pakt nur die Länder der Eurozone betreffe, warnt das Tagesblatt, könnten die Länder, die nicht dazu gehören, ihn missverstehen. Beispielsweise Schweden, Rumänien oder Polen, die in ihm einen Eurozonen-Ersatz sehen könnten:

"Rumänien muss vorsichtig bleiben […]. Für das Land ist es wichtig, die Kluft zu überbrücken, die es von [den Ländern] West[europas] trennt. Unsere Löhne sind fünfmal niedriger und unsere Inflation die höchste der EU. Dieser Pakt bedeutet Sparen und nochmals Sparen. Schwierig ist es auch, die Unterschiede bei Investitionen und Infrastruktur [zwischen den Mitgliedsstaaten] zu überwinden. Zudem ist der Abbau der Aufnahmefähigkeit für EU-Fonds problematisch .“

Aftonbladet schreibt über die Zweifel, die die Schweden quälen, und ärgert sich darüber, dass sich die europäischen Institutionen wieder einmal in die internen Angelegenheiten der Mitgliedsländer einmischen. Zumindest sieht der Euro-Pakt genau dies vor, besonders was die Lohnpolitik angeht:

"Der Vorschlag, die europäischen Wirtschaftssysteme aufeinander abzustimmen, gibt der Kommission unter anderem das Recht, Lohnentwicklungen zu überwachen. Das ist inakzeptabel. Die schwedischen Gehälter werden zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgehandelt und dürfen weder in Brüssel noch in Rosenbad [schwedischer Regierungssitz in Stockholm] entschieden werden. Dabei ist der Vorschlag nicht nur schlecht für Schweden, sondern für ganz Europa.“

Überregulierung, Einmischung, aber auch Demokratiedefizite fügt Der Standard hinzu. Die Wiener Tageszeitung meint, dass die neuen Spielregeln, über die man in Brüssel diskutiert, das Leben der Europäer in der Tat beeinflussen könnten, ohne dass man diese um ihr Einverständnis bittet:

"Das beginnt schon bei der notwendigen EU-Vertragsänderung. Diese wird im 'vereinfachten Verfahren‘ durchgepeitscht, bei dem auf Volksabstimmungen verzichtet werden kann. […] Auch bei einzelnen Hilfsaktionen entscheiden die Finanzminister im vertrauten Kreis. Mitwirkung des Europaparlamentes? Nicht willkommen. Kontrolle durch den Rechnungshof? Nicht notwendig. Es geht ohnehin nur um 500 Milliarden Euro. Angesichts eines solchen Demokratieverständnisses darf man sich nicht wundern, wenn Demagogen Zulauf erhalten.“

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