Nachrichten Die Jugend und die Pandemie 2/2

Junge Menschen und COVID 19: Welche psychischen Auswirkungen?

Wie geht es den jungen Menschen in der EU während dieser beispiellosen Krise? Sie müssen mit geschlossenen Schulen, entmaterialisierten Kursen, verschobenen Prüfungen, entstellten Praktika und abgeschafften Jobs klarkommen.

Veröffentlicht am 28 Dezember 2020 um 17:42

Seit fast einem Jahr befinden sich die meisten europäischen Länder im Tunnel der Pandemie. Die zweifelnden und vorsichtigen nationalen Regierungen haben ihre Pläne ständig geändert, und gehofft, ihre Wirtschaft und ihre Bürger über Wasser halten zu können. Die Rhetorik, welche diese immer wieder umgestalteten Regelwerke begleitete, hat in der Jugend einen idealen Schuldigen gefunden. Dieser Diskurs hat nach und nach den Weg in alle europäischen Gesellschaften gefunden. Allerdings stellt sich die Frage: Wie erleben die jungen Menschen in der EU diese beispiellose Krise? Insbesondere weil sie gezwungen sind, mit geschlossenen Schulen, entmaterialisierten Kursen, verschobenen Prüfungen, entstellten Praktika und abgeschafften Jobs fertig zu werden.

In Frankreich: Studenten in Not

Laut einer Umfrage der Nationalen Beobachtungsstelle für das Studentenleben, die mehr als 45.000 Studenten befragte, zeigten 31% der Interviewten während der ersten Ausgangssperre in Frankreich, die vom 10. März bis 11. Mai 2020 andauerte, Anzeichen von psychischer Belastung. Von den Befragten gaben 11,7% an, schon einmal Selbstmordgedanken gehabt zu haben, verglichen mit 7,6% in der übrigen Bevölkerung.

Wir haben diese Zahlen mit Florian Tirana unter die Lupe genommen, dem Präsidenten von Nightline France, dem Verein, der 2017 eine Hotline für Studenten eingerichtet hat. Diese wird von ehrenamtlichen Zuhörern betrieben, die selbst Studenten sind. Laut Florian Tirana hat die Ankündigung der beiden Ausgangssperren zu einem deutlichen Anstieg der Anrufe bei den Nightline-Teams geführt. „Was die Anzahl der Anrufe angeht, die wir bearbeiten konnten, haben wir rasch eine Überlastung erreicht“, erzählt der Präsident des Vereins.

Von den Themen, die bei diesen Studenten-Bekenntnissen am häufigsten besprochen werden, stehen Einsamkeit, Beziehungsprobleme und Ängste hinsichtlich ihrer Zukunft und der beruflichen Laufbahn ganz oben auf der Liste. Sind dies spezifische Fragen der COVID-Generation? „Nicht wirklich“, meint Florian Tirana. „Die psychische Belastung von Studenten hat es schon immer gegeben. Wenn wir uns die Zahlen von vor 20 oder 30 Jahren ansehen, hatte bereits ein Drittel der Studenten psychische Probleme.“

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Die französischen Studenten waren scheinbar schon immer von erheblichen Ängsten geplagt. Allerdings wurden diese durch die Erfahrung der Ausgangssperre noch verstärkt. „Wenn man als Erwachsener wochenlang mit seinen Eltern in den vier Wänden einer Wohnung eingesperrt ist, sind Spannungen nicht ausgeschlossen. Ganz im Gegenteil“, erläutert Florian Tirana.

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Zu den häufigsten Anrufs-Gründen gehören Zukunftssorgen. Sie stehen an Platz 2. „Wie wird die Zukunft aussehen, wenn ich meinen Abschluss geschafft habe? Wie werde ich einen Praktikumsplatz finden können?“ Diese Art von Fragen häufen sich bei der Nightline France-Hotline. Um auf diese durch die Pandemie hervorgerufenen Angstzustände zu reagieren, hat der Verein kürzlich eine Plattform ins Leben gerufen, auf der alle Dienste aufgelistet sind, die Studenten in Not zur Verfügung stehen.

In Deutschland: Prekäre Praktikanten

Die 24jährige Marion absolviert derzeit das dritte Semester ihres Studiums „Internationaler Handel“ in Berlin. Was ist das Ziel dieses Studienprogramms, das die Studenten aufgrund der wesentlichen Rolle der Fremdsprachen wählen? Die Fähigkeit, sich nach dem Studium mühelos in der Welt der internationalen Geschäfte bewegen zu können. Die im Laufe der Semester erworbenen Sprachkenntnisse werden in der Regel während eines dreimonatigen Auslandspraktikums vertieft, welches das Herzstück dieses mobilitätsorientierten Studiengangs bildet.

Allerdings hat die Gesundheitskrise viele Einrichtungen gezwungen, ihre internationalen Ambitionen zurückzuschrauben. Während Marion und ihre Kommilitonen es größtenteils geschafft haben, einen Praktikumsplatz zu finden, den sie für ihren Abschluss benötigen, scheitern die meisten Einrichtungen, die sie aufnehmen, daran, die Bedürfnisse dieser zukünftigen Spezialisten zu erfüllen. Entweder fehlt die internationale Dimension, teilweise haben die Aufgaben nichts mit den studierten Fächern zu tun, oder die Projekte werden hauptsächlich von zu Hause aus (Homeoffice) erledigt. Diese Praktika, welche die jungen Leute an die Branche gewöhnen sollen, in der sie in Zukunft arbeiten möchten, erfüllen ihre Ziele nicht.

In Österreich und Italien: Nachlassendes Wetteifern

Peter (22) und Heidi (19) studieren Komposition und Musiktheorie an der KUG, der Kunst-Universität Graz. Seit Anfang November hat die Einrichtung ihre Türen geschlossen und die gesamte Lehre auf Fernunterricht umgestellt. Für Peter, der dort gerade sein fünftes Semester absolviert, war die Umstellung auf 100% digitalen Unterricht eine „heftige Veränderung“.

Für Peter ist eine der größten Herausforderungen, die der Unterricht auf Distanz mit sich bringt, die Schwierigkeit, konzentriert zu bleiben. „Nach zwei Stunden eines Online-Seminars lässt meine Konzentration bereits nach.“ Dieses Gefühl teilt auch Heidi, die kürzlich ihr Abitur gemacht hat, und die trotz der Selbstdisziplin, zur der sie sich jeden Morgen zwingt, eine zunehmend schlechtere Konzentrationsfähigkeit gesteht.

Beide geben zu, dass sie jede Menge Zweifel haben. „Hat ein Diplom, das durch Prüfungen über Zoom erworben wird, den gleichen Wert wie ein klassisches Diplom?“, fragt sich Peter besorgt. „Kann ich mit einem Fernstudium wirklich von dieser vielfältigen und anspruchsvollen Ausbildung profitieren, die ich gerade erst zu entdecken beginne?“, fragt sich Heidi.

Ein weiterer negativer Aspekt, den diese Schüler im künstlerischen Bereich ansprechen, ist das Wetteifern. „Wir arbeiten in einem Bereich, der viel Kreativität erfordert, und die Inspiration baut auf dem Austausch zwischen den Studenten auf“, erklärt Peter. Diese Frustration bestätigt auch Marcella (25), eine Architekturstudentin an der Universität von Neapel, die seit März geschlossen ist. Ohne Zugang zu den Studienräumen und Bibliotheken der Universität fällt es den Studenten schwer, die Gruppenprojekte abzuschließen, die einen großen Teil der Abschlussnote ausmachen, und der Höhepunkt eines jeden Architekturstudiums sind.

👉 Junge Europäer und COVID-19: Täter oder Opfer?

In Zusammenarbeit mit der Heinrich Böll Stiftung – Paris

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