Analyse Klimakrise und die Medien | 1

Klimaaktivisten und die Medien: Tod dem Überbringer der schlechten Nachricht!

Mainstream-Medien konzentrieren sich auf Streitereien und Gegensätze, statt auf die Sachverhalte, die den Kampagnen von Aktivisten zugrunde liegen. So sprechen sie deren Aktivitäten die Legitimität ab und verhindern den Kampf gegen den Klimawandel, meint Stella Levantesi.

Veröffentlicht am 28 November 2023 um 16:29

“Soziopathen”, „Vandalen”, „Öko-Anarchisten”, „Angstmacher”, „Fanatiker”, die Liste ist lang. Während die anhaltende Untätigkeit im Kampf gegen den Klimawandel und dessen Behinderung durch politisches Führungspersonal, durch Firmen, die die Umwelt verschmutzen und durch andere eigennützige Interessen zu immer Protesten und zivilem Ungehorsam führt, werden Klimaaktivist*innen in allen europäischen Medien abgestempelt und angeklagt.  

„Das Narrativ vom so genannten ‚Öko-Extremismus’ wird wie eine Waffe gegen ganze Gruppen eingesetzt, selbst wenn sie sich bei ihrem Einsatz für den Kampf gegen den Klimawandel legaler Formen des zivilen Ungehorsams bedienen”, so Jennie King, Head of Climate Research and Policy beim Institute for Strategic Dialogue (ISD), einer gemeinnützigen Organisation, die sich für Menschenrechte und gegen Polarisierung und Desinformation einsetzt. 

Diese Taktik, so King, wird in Großbritannien immer öfter eingesetzt, und auch in Deutschland entwickelt sich dieser Trend. Von über 400 Überschriften in englisch-, deutsch- und französischsprachigen Medien, die Klimaaktivist*innen als „Sicherheitsrisiko” darstellen, wurden laut einer vor Kurzem von ISD durchgeführten Analyse rund 80 % in deutschsprachigen Medien veröffentlicht. 

Darunter waren Vergleiche mit der Rote Armee Fraktion (RAF) aus den 1970er und 1980er Jahren, und Mainstream-Medien nahmen Bezug auf ein Interview mit einem Terrorismusexperten in der BILD-Zeitung, der vor „radikalisierten” Klimaaktivist*innen warnte.

„Dabei wird nicht zwischen [Protestformen], die dem Mainstream entgegenstehen oder als radikal betrachtet werden könnten, und der tatsächlichen Ideologie, die dem Öko-Extremismus zugrundeliegt [...] und auf eine eindeutige Geschichte zurückgeht, unterschieden”, so King. 

Das ISD fand zudem heraus, dass die Mainstream-Medien, die dieses Narrativ wiederholen, „leicht von alternativen Medien missbraucht werden können, die damit die Erzählung von den ‚Klimaterroristen’ verstärken”, selbst wenn sie eigentlich die Verbindung zwischen Aktivist*innen und Ökoterrorismus widerlegen möchten. 

Verstärkung von Gegensätzen unter Umgehung des eigentlichen Problems 

Laut King machen Mainstream-Medien aller politischen Richtungen den Fehler, über die Streitereien rund um die Proteste von Bewegungen wie Just Stop Oil und der Letzten Generation zu berichten, statt über die Motivation und die Hintergründe für deren Klimaprotest. Oft führe das dazu, dass die Medien sich auf die Polarisierung rund um den Klimaaktivismus konzentrieren, und statt der Themen im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Klimawandel eben diese Polarisierung in den Vordergrund stellen. 

„Dass ein Artikel über ‚Just Stop Oil’ sich mit deren Positionen beschäftigt, ist extrem selten. 99 Prozent der Artikel drehen sich um ihre Methoden, ob sie nun rechtmäßig sind oder nicht und wer sich darüber geärgert hat”, meint King. „Es gibt einen allgemeinen Trend, die Methoden und den Streit zur Story zu machen, statt über die vertretenen Positionen zu berichten, und darüber, warum die Positionen vertreten werden. Plötzlich dreht sich die öffentliche Diskussion um Personen und deren Vorgehensweise und nicht mehr um die realen und sehr dringenden Probleme, die diese Personen angehen wollen.”

Auch in Italien wiederholen Mainstream-Medien oft die Debatten rund um die Proteste, berichten über direkte Angriffe auf Klimaaktivist*innen und fördern Narrative des „Anti-Klima-Aktivismus”. 


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Laut einer von Greenpeace Italien und dem Medienbeobachtungszentrum Osservatorio di Pavia durchgeführten Studie  zur Klimaberichterstattung italienischer Mainstream-Zeitungen, TV-Nachrichten und den Instagram-Medienkonten mit den meisten Follower*innen sind die Kritik an Klimabewegungen oder deren Protestformen unter den am häufigsten als Waffe zur Verzögerung und Verhinderung der Klimawende eingesetzten Themen. Vor allem in den Fernsehnachrichten stehen sie an erster Stelle und kommen in sieben Prozent aller Nachrichten zur Klimakrise zur Sprache.

„Im letzten Jahr wurde [Klimaaktivismus] zum Thema in den Medien und ist ein zentrales Mittel bei den Bemühungen, die öffentliche Diskussion in Richtung einer Verhinderung des Kampfs gegen den Klimawandel und des Energiewandels zu beeinflussen”, so Giancarlo Sturloni, Kommunikationschef bei Greenpeace Italien. 

Othering/Alterisierung der Klimaaktivist*innen

Wer Aktivst*innen ein Etikett verpasse, meint Sturloni, fördert die Wahrnehmung, es handele sich um „gewaltbereite” Gruppen, die letztendlich „Feinde der Gesellschaft” seien. 

Auch King ist dieser Meinung. „Das ist offensichtlich eine Taktik, um den Kampf gegen Bewegungen an vorderster Front als Öko-Extremismus darzustellen, weil man damit diesen Aktivitäten die Legitimität entzieht”, erläutert sie. „Das Ziel ist ganz klar, diese Bewegungen als ‚gegnerisch’ zu etablieren und ihnen Schuld zuzuweisen, um sie von der übrigen Gesellschaft zu distanzieren.”

Der Prozess des „Othering” ist eine zentrale Strategie bei der Verhinderung des Kampfs gegen den Klimawandel. So nutzen Menschen, die den Klimawandel leugnen oder dessen Bekämpfung verzögern wollen, die Begriffe „Realisten” und „Alarmisten”, um wissenschaftlich basierte Warnungen zu diskreditieren und assoziieren Narrative der Leugner*innen mit Rationalität und Realismus.

2020 analysierten Giulio Corsi, ein Forscher an der Universität Cambridge, und ich die Nutzung dieser beiden Begriffe auf Twitter und fanden heraus, dass deren Verwendung in den vorangegangenen vier Jahren um 900 Prozent zugenommen hatte. Spitzen bei Tweets über „Alarmismus” und „Realismus” korrelierten oft mit viel beachteten Reden der Aktivistin Greta Thunberg zwischen 2018 und 2019, als die Klimabewegung wegen ihrer Streiks, Protestaktionen und -märsche weltweit im Fokus der Medien stand. 

Unsere Analyse ergab auch, dass dieses Framing, ebenso wie der Einsatz extremistischer Sprache als Waffe gegen Aktivist*innen, die negative Konnotation bestimmter Wörter nutzt und eine Dynamik des „wir gegen die” erzeugt. 

Sprache und Botschaften, die zur Alterisierung von Klimaaktivist*innen eingesetzt werden, nutzen zudem Werte und Propaganda rechtsgerichteter Gruppen und die Vorstellung, dass der Kampf gegen den Klimawandel die individuelle Freiheit einschränke. 

Ebenso stellt das Narrativ des „Alarmismus gegen Realismus” Klimaaktivist*innen und legitime Klimaforschung fälschlich als Katastrophismus dar. Laut Analyse des ISD beschrieben einige Überschriften in englischsprachigen Medien die Aktivist*innen als „Idioten”, „Verrückte”, „Freaks” oder „geisteskrank”. 

Der Gedanke, Aktivist*innen als „Spinner” oder „verrückt” darzustellen, erinnert an eine jahrzehntealte Strategie der Klimaleugner*innen. 1998 veröffentlichte die Handelsorganisation der großen Ölgesellschaften, das American Petroleum Institute, einen „Aktionsplan”, der die „Unsicherheitsfaktoren” in der Klimaforschung ausnutzen sollte. Der Plan war von Exxon, Chevron, Southern Company und Vertretern konservativer Organisationen entwickelt worden, und dort hieß es: „Wir werden gewinnen, wenn diejenigen, die den [Kyoto-] Vertrag auf der Grundlage bestehender wissenschaftlicher Erkenntnisse vertreten als diejenigen erscheinen, die den Bezug zur Realität verloren haben.”

Die Argumentation, die Personen, die vor den katastrophischen Auswirkungen des Klimanotstands warnen, als „ohne Bezug zur Realität” darstellt, wurde eingesetzt, um die Vorstellung zu befördern, dass alle, die sich für den Kampf gegen den Klimawandel einsetzen, und auch Wissenschaftler unzurechnungsfähig und irre seien und man nicht auf sie hören sollte. 

Spott und Häme

Das Verspotten von Klimaaktivist*innen ist auch eine weit verbreitete Strategie. In deutschen Medien wurde laut ISD der Begriff „Klimakleber” in alternativen und Mainstream-Medien über 200 Mal verwendet, als Klimaaktivist*innen damit begannen, ihre Hände an die Rahmen von Gemälden in Museen und Kunstgalerien zu kleben. Der Begriff gehe mit einer „geringschätzigen und spöttischen Wahrnehmung” einher und sei „emotionsgeladene Sprache”, die „Klickzahlen steigert” und „die Wahrnehmung verzerrt”, schreibt Sara Bundtzen für das ISD.

Der französische Mainstream-Sender BFMTV zitierte Andréa Kotarac, einen Politiker der rechtsextremen Partei Rassemblement National, und bezeichnete laut derselben Analyse die Proteste als „une explosion de crétins” („eine Explosion von Idioten”). 

Abwertende Sprache und „Othering”-Narrative wurden schon vor Just Stop Oil, der Letzten Generation und anderen Gruppen verwendet, um Klimaaktivist*innen zu delegitimieren. In vielen der persönlichen Angriffe ging es um Greta Thunberg. In Italien zirkulierte in den Medien bei der Berichterstattung über Fridays for Future oder andere jugendliche Klimabewegungen zum Beispiel der Begriff „gretini”, eine Mischung aus „Greta” und „cretini” (italienisch für „Schwachköpfe”). 

Auch in anderen Ländern betätigten sich einige Medien als Echokammer für propagandistische Botschaften gegen die Klimabewegung und Greta Thunberg. So berichtete zum Beispiel der Scientific American, ein Redakteur des rechtsgerichteten britischen Blatts „Spiked” habe Thunberg als „weirdo” (Psychopathin) bezeichnet und geschrieben, „Frau Thunberg umgibt eine erschreckende, definitiv prämoderne Aura”. Andrew Bolt, ein Nachrichtensprecher bei Sky, schrieb eine Kolumne, in der Greta Thunberg als „stark geistig verwirrt” bezeichnet wird.

Laut einer 2019 veröffentlichten Studie nutzten deutsche Zeitungen „altersdiskriminierende” Begriffe und Bilder wie „Schüler”, „Schulschwänzer” und „Träumer”, um Fridays for Future die Legitimation abzusprechen. Die Studie betonte zudem, dass Greta Thunberg für die Abwesenheit der Schüler*innen vom Unterricht wegen der Klimaproteste verantwortlich gemacht wurde. 

Gewalt und Kriminalisierung

Narrative gegen den Klimaaktivismus finden sich auch in sozialen Medien. Während der UN-Klimakonferenz COP27 in Sharm El Sheikh in Ägypten im November 2022 enthielten Posts auf Social Media laut ISD und dem Netzwerk Climate Action Against Disinformation beleidigende Formulierungen und riefen zur Gewalt gegen Aktivist*innen auf.   

„Inzwischen eskaliert die Wortwahl. Es bleibt nicht mehr bei ‚diese Leute [Aktivist*innen] sind dumm und wir sind anderer Meinung’ – es werden wesentlich stärker geschlechtsbezogene Formen der Desinformation und sexuell explizite Formulierungen verwendet”, so King. 

Im September wurde in Italien eine Aktivistin der Letzten Generation durch sexistische Kommentare auf Social Media, in rechtsgerichteten Zeitungen und Radiostationen angegriffen

„Sobald man einer gesellschaftlichen Gruppe die Menschlichkeit abspricht – ganz gleich ob es sich um eine ethnische Minderheit oder, wie in diesem Fall, um eine Klimabewegung handelt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Gewalt kommt, deutlich”, erläutert King. „Es führt zu wesentlich mehr zielgerichteten Beleidigungen und Belästigungen, Todesdrohungen, Vergewaltigungsdrohungen und all dem, was im digitalen Raum zirkuliert.”

Derzeit sind Klimaaktivist*innen in mehreren Ländern zudem für ihre Proteste verklagt worden. In sieben deutschen Bundesländern gab es an 15 Orten Razzien gegen Aktivist*innen der Letzen Generation. In Großbritannien und Italien wurden laut Aktivist*innen Gesetze verabschiedet, die Aktivismus einschränken und sanktionieren sollen. 

In Italien spiegelt das harte Vorgehen gegen Klimaaktivist*innen auch die aktuelle politische Lage unter der rechtsgerichteten Regierung von Giorgia Meloni wider, meint Sturloni. „Die [italienischen] Medien interessiert, was Politiker*innen interessiert, und die Politisierung des Themas ist auch im Interesse der Medien”, fügt er hinzu.

Im Januar sagte Matteo Salvini, Infrastrukturminister und Vorsitzender der rechtsextremen Lega: „Das sind keine Umweltschützer, das sind Vandalen, die es verdienen, ins Gefängnis zu gehen”.

„Am meisten Sorge bereitet uns die Kriminalisierung [des Klimaaktivismus]”, meint Sturloni. „Bei anderen gesellschaftlichen Bewegungen konnten wir beobachten, wie versucht wurde, radikalere Gruppen zu kriminalisieren, [hier] im Versuch, die Klimabewegung zu auseinanderzudividieren und zu schwächen.” 

Die Präsenz der gegen den Klimaaktivismus gerichteten Narrative in den Medien zeigt, wie diese eingesetzt werden können, um den gesamten öffentlichen Diskurs über den Kampf gegen den Klimawandel zu diskreditieren und letztendlich die öffentliche Wahrnehmung des Themas zu formen. 

Dieser Artikel ist Teil einer Serie, die dem Klimadiskurs in den europäischen Medien gewidmet ist. Dieses Projekt wird von der Green European Foundation mit Unterstützung des Europäischen Parlaments und in Zusammenarbeit mit Voxeurop und dem Green European Journal organisiert.

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