Letzte Rettung durch die Reichen?

Europa rettet nicht gerade Griechenland oder Spanien. Die Mittelschicht der Länder zahlt für Fehlinvestitionen reicher Privatanleger. Deshalb sollten diese auch zur Kasse gebeten werden, meint der Tagesspiegel und verteidigt eine vielerorts auf dem Kontinent debattierte Reichensteuer.

Veröffentlicht am 17 August 2012 um 15:49

Alle Jahre wieder. SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert gemeinsam mit den Gewerkschaften höhere Steuern für die Reichen, weil die Lasten der Krise gerechter verteilt werden müssten. Gabriel nennt das „sozialen Patriotismus“. Prompt stellen sich Union und Liberale schützend vor die Besserverdienenden und geißeln das als „Griff in die Mottenkiste“ des Sozialismus.

Und so erscheint die Debatte nur als langweilige Wiederauflage eines alten Wahlkampfschlagers.

Der Eindruck täuscht. Die seit vielen Jahren wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen ist längst nicht mehr nur eine Frage von Gerechtigkeit. Tatsächlich ist sie eine der wesentlichen Ursachen für die laufenden Banken- und Schuldenkrisen. Weil sich immer mehr Vermögen bei einer kleinen Minderheit konzentriert, erzeugt ein stetig wachsender Teil des Volkseinkommens keine Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen mehr, sondern nur noch nach Finanzanlagen.

Darum legten Europas Vermögende ihr Geld in gut verzinste Bank-, Immobilien- und Staatsanleihen aus Irland, Portugal, Griechenland und Spanien an. So finanzierten sie gigantische Fehlinvestitionen in leerstehende Immobilien, ungenutzte Autobahnen oder aberwitzige Rüstungsprojekte, die diese Länder aus eigener Kraft niemals hätten stemmen können.

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Im Kern dienen die Überbrückungskredite aus den Krisenfonds der Euro-Zone also lediglich dem Zweck, diese Staaten und ihre Banken zahlungsfähig zu halten, damit sie ihre Schulden bei den Fehlinvestoren bedienen können. Nicht die Deutschen (oder Holländer, Finnen usw.) retten die Griechen, Iren oder Spanier, sondern die steuerzahlende europäische Mittelschicht rettet das Vermögen der europäischen Reichen.

TREND

Alle versprechen Reichensteuern

„Wenn Politiker plötzlich an den Patriotismus der Steuerzahler appellieren, hat das nichts Gutes zu bedeuten.“ So beginnt Gideon Rachman seinen Artikel in der Financial Times über das Vorhaben des französischen Finanzministers Pierre Moscovici, denSpitzensteuersatz der Einkommenssteuer auf 75 Prozent anzuheben.

Es wäre falsch, Hollandes Staatsapparat für einen sozialistischen Dinosaurier zu halten. In Wirklichkeit ist die neue Regierung Frankreichs einer der extremsten Verfechter einer weltweit neuen Modeerscheinung: Der internationalen Ahndung von Reichtum, welche den politischen Kurs in Europa, den USA und China bestimmt. [...]

Auch US-Präsident Barack Obama schlug politisches Kapital daraus: Im Vorfeld der Wahlen im November versprach er, „Millionäre und Milliardäre“ zu besteuern und brandmarkte seinen republikanischen Herausforderer Mitt Romney als einen der Vertreter dieser steuerhinterziehenden Elite. [...]

Letzten Endes macht dieser neue Trend dann wohl auch politische Repressalien unverzichtbar. Von Barack Obama bis hin zu François Hollande setzen zahlreiche Politiker im Westen alles daran, auf diesen neuen Trend aufzuspringen und ihn zu ihrem eigenen Programm zu machen [...] Setzt er sich wirklich dauerhaft durch, könnte er das Ende der Ära niedrigerer Steuern, zunehmender Deregulierung und wachsender Ungleichheit einläuten, die in den ausgehenden 1970er Jahren im Westen mit dem Aufstieg Margaret Thatchers und Ronald Reagans, in China mit Deng Xiaoping begann...

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