Die Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts. © 2009 BVerfG

Lissabon macht Halt in Berlin

Inhaltlich segnet das Karlsruher Verfassungsgericht den Vertrag von Lissabon ab, fordert aber gleichzeitig einige Änderungen der deutschen Gesetzgebung, um das Kontrollrecht von Bundestag und -rat gewährleistet zu wissen. Eine Entscheidung, die ein vielstimmiges Echo in der europäischen Presse findet. Denn durch dieses "Ja, aber" könnte die Ratifizierung des Vertrages verzögert werden.

Veröffentlicht am 1 Juli 2009 um 16:17
Die Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts. © 2009 BVerfG

In Folge der Beschwerden von deutschen Lissabon-Befürwortern und EU–Skeptikern hat das Karlsruher Verfassungsgericht den Lissabon-Vertragwohl gebilligt und ihn für mit dem Grundgesetz "vereinbar" erklärt. Dennoch hat das Gericht den Ratifizierungsprozess des Textes gestoppt, indem es eine Überarbeitung des Begleitgesetzes fordert, das seiner Meinung nach die Kompetenzen des deutschen Parlamentes nicht ausreichend garantiert. "Es ist ein 'Yes, we can'-Urteil", kommentiert die Süddeutsche Zeitung. "Ja, wir können Europa bauen. Ja, wir können Europa stark machen. Aber wir können das nur dann, wenn wir die Grundsätze der Demokratie beachten, in deren Zentrum der Wille des Volkes steht." Der Bundestag werde nicht länger die Brüsseler Entscheidungen einfach durchwinken, freut sich die Münchener Zeitung, für die es dem Urteil gelingt, den Integrationsprozess nicht aufzuhalten, sondern ihn "demokratisch zu befruchten".

Die Tageszeitung fürchtet, dass das Urteil Ähnliches in anderen Ländern nach sich ziehen wird. Für das Blatt passt "das Urteil aber zu den nationalistischen Stimmungen, die andere europäische Länder derzeit prägen. Die eigentliche Gefahr besteht deshalb darin, dass nun die Verfassungsgerichte in den anderen 26 EU-Staaten dem Karlsruher Beispiel folgen und sich ebenfalls zu Oberaufsehern der EU machen. Zu viel Sand im Motor kann auf Dauer aber auch ein recht robustes Gefährt wie die EU stoppen."

Aus polnischer und spanischer Sicht ist das Karlsruher Urteil eine schlechte Neuigkeit für Europa. "Wie kann Angela Merkel Druck auf die Iren ausüben und Vaclav Klaus und Lech Kaczynski dazu bringen, den Vertrag zu unterzeichnen?", fragt sich der Politologe Cornelius Ochmann in der Gazeta Wyborcza. "Die Deutschen haben beschlossen, dass ihre Nation wichtiger ist als Brüssel", schreibt ihrerseits Polska, für die diese Entscheidung ein Ende der "Idee einer neuen föderalen Großmacht" ist. "Das Einzige, was [von der europäischen Verfassung] übrig bleibt, ist ein Benutzerhandbuch für die europäischen Technokraten. Man muss sich nicht wundern, dass der Vertrag so häufig abgelehnt wurde. Und jetzt wird seine Zukunft von den Richtern des größten Landes Europas ausgebremst".

"Deutschland hat gezeigt, dass es nicht mehr die europäische Lokomotive ist, sondern ein ganz normales Land, welches die neuen Etappen (…) des gemeinsamen Projektes widerwillig akzeptiert", urteilt ABC. Die Madrider Zeitung fürchtet auch, dass das Urteil "den Euroskeptikern der Länder, die den Lissabon-Vertrag noch nicht ratifiziert haben, Flügel verleihen könnte: Polen, der Tschechischen Republik und Irland. In Großbritannien wird sich David Cameron die Hände reiben: Der Chef der konservativen Partei ist nämlich fest entschlossen ein Referendum zum Vertrag einzuberufen, falls er gewählt wird."

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"Das deutsche Verfassungsgericht hat die zentrale Stellung des Nationalparlaments bestätigt", schreibt schließlich der Mailänder Corriere della Sera: "Bei Fragen wie der Verteidigung, der Armee, dem Steuerwesen, dem Arbeitsrecht, der Familie und dem Strafrecht sollen der Bundestag und der Bundesrat auch nach der Ratifizierung des Lissabon-Vertrages im Zentrum des europäischen Entscheidungsprozesses stehen. Außerdem muss die Regierung das Parlament zu im Rat diskutierten Fragen konsultieren. Deutschlands Orientierung ist klar: Europa ist keine föderale Union, sondern ein Bündnis zwischen Nationen".

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