Putin, Orbán, Assange: Zwei (nicht gerade) glorreiche Halunken und ein Guter

Während die Demokratie in Russland jeden Tag tiefer sinkt – hat sie dort überhaupt jemals existiert? – kommt ein Hoffnungsschimmer von dort, wo man ihn am wenigsten erwartet hätte: aus Ungarn. In London entscheidet sich unterdessen in diesen Tagen das Schicksal des Wikileaks-Mitbegründers Julian Assange.

Veröffentlicht am 21 Februar 2024 um 12:29

The Ugly (Der Schurke)

Die Nachricht vom Tod des Hauptgegners von Wladimir Putin, Alexej Nawalny, hat eingeschlagen wie eine Bombe. Zumal er sich während der Münchner Sicherheitskonferenz ereignete, bei der sich jedes Jahr die Elite aus Verteidigung und Politik trifft, um insbesondere Fragen im Zusammenhang mit den aktuellen und künftigen Bedrohungen zu diskutieren.

Lev Kadikis qualifiziert diesen Tod in der lettischen Tageszeitung Delfi als „unerwartet, aber vorhersehbar“. In seinem langen Porträt des russischen Oppositionspolitikers stellt Kadikis fest: „Nawalny war der ideale Kandidat der Opposition für das Amt des russischen Präsidenten. Sein Image und seine Botschaft sprachen alle Schichten der russischen Gesellschaft an“, insbesondere aufgrund der Tatsache, dass „er aus der unteren Mittelklasse kam [...], dieser große Teil der russischen Gesellschaft, der sowohl von der Macht als auch von der Opposition völlig im Stich gelassen worden war. Weder Nawalny noch seine Eltern haben jemals über auffällige Besitztümer – Luxusautos, Landhäuser usw. – verfügt. [...] Er gehörte nie zur herrschenden Klasse. Hatte nie eine Position in Putins System inne. [...] Er wandte sich in einer einfachen Sprache an die Öffentlichkeit, die im ganzen Land von Menschen aus allen sozialen Schichten verstanden werden konnte. Und er sprach über das, was sein Publikum am meisten beschäftigte – die sozialen Ungleichheiten, den protzigen und rücksichtslosen Reichtum der Machtelite, die Korruption – die größten Plagen der russischen Gesellschaft“. In derselben Zeitung unterstreicht Āris Jansons, dass Nawalnys Entscheidung, nach Russland zurückzukehren, nachdem er nach seiner Vergiftung in Deutschland behandelt worden war, ein Beweis dafür sei, dass er „nicht begriffen habe, wie sehr sich die Situation im Land während seiner sechsmonatigen Abwesenheit verschärft hatte“.

Während der Tod des Oppositionspolitikers die westliche Presse bewegte, die in Nawalny die einzige glaubwürdige Alternative zu Wladimir Putin sah, wurde er in der allgemeinen russischen Presse nahezu totgeschwiegen, wie der ausgezeichnete BBC-Korrespondent in Moskau, Steve Rosenberg, feststellt.

Die meisten unabhängigen russischen Beobachtenden und Medien im Exil machen jedoch direkt den starken Mann im Kreml für Nawalnys Tod verantwortlich. So schreiben Andrei Soldatov und Irina Borogan in der Veröffentlichung des Think Tanks CEPA: „Mehr als 20 Jahre Putin-Regierung bieten nun eine gute Fallstudie, um zu zeigen, dass politischer Mord durchaus logisch ist und dass Putin, der ein sehr pragmatischer Mensch ist, diese Strategie schon seit Jahren anwendet. Sein politisches Arsenal umfasst eine ganze Palette von Mordmethoden“. Die beiden russischen Exiljournalist*innen meinen: „In dieser düsteren Marketingstrategie, in der Putin das Hauptprodukt ist, wird der russische Staatschef als der einzig mögliche Führer der Nation und als ein Mann verkauft, der die Macht über Leben und Tod haben muss. Niemand bezweifelt dies wirklich – und der Kreml tut nicht viel, um dies zu bestreiten“.


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Ähnlich schreibt der Chefredakteur von The Insider, Roman Doborkhotov, „Putin hat Nawalny getötet, aber nicht alle Nawalnys, denn Nawalny ist schon längst mehr als ein Mensch – er ist zu einem Phänomen geworden. Solange wir uns über den Diktator lustig machen, solange wir Betrüger*innen und Dieb*innen anprangern, solange wir neue Wege des Protests finden, solange wir wirklich, aufrichtig an ein besseres Russland glauben und zumindest etwas tun, um diesem Ziel näher zu kommen, wird Nawalny leben“. Sein Kollege von Novaja Gazeta Europe, Kirill Martynov, meint seinerseits: „Der Mord an Nawalny bedeutet, dass die Kriminellen im Kreml freie Hand haben, mit jeder und jedem zu machen, was sie wollen, egal ob es sich um Russ*innen, Ukrainer*innen oder sonst jemanden handelt. Dies ist ein weiteres Zeichen dafür, dass wir den Punkt ohne Wiederkehr überschritten haben. Den Russ*innen, die bislang behauptet haben, dass der Krieg sie nicht betrifft, wird nun ein klares Bild ihrer Zukunft geboten. Putin wird jetzt die totale Treue zu seinem Krieg fordern und diejenigen, die zweifeln, vernichten“.

Von der Ukraine aus wird der Tod von Alexej Nawalny unter einem anderen Aspekt gesehen, bemerkt ihrerseits Paulina Siegień in Krytyka Polityczna: „Er gehörte nicht zu denjenigen, die die Ukrainer*innen in ihrem Kampf als Verbündete betrachten“, insbesondere, weil er die Besetzung der Krim und die russische Invasion erst spät verurteilte. „Die Ukrainer*innen haben durchaus das Recht, den Charakter und die Aktivitäten von Nawalny und den mit ihm verbundenen Organisationen zu kritisieren. Sie haben auch das Recht, der russischen Opposition die Schuld dafür zu geben, dass sie sie nicht ausreichend unterstützt [...], oder die meisten haben einfach kein Interesse daran, irgendeine Beziehung zu den Russ*innen zu unterhalten, unabhängig von deren Ansichten“, schreibt sie weiter.

The Bad (Der Böse)

Kommt jetzt der Todesstoß für die „illiberale“ Regierung von Viktor Orbán in Ungarn? Die Massendemonstrationen in mehreren ungarischen Städten könnten dies nahelegen. Sie folgten auf den Rücktritt der Staatspräsidentin Katalin Novák und der ehemaligen Justizministerin Judit Varga nach den Enthüllungen der unabhängigen Zeitung 444.hu über Katalin Nováks Entscheidung, einen Mann zu begnadigen, der wegen der Vertuschung eines pädokriminellen Falls verurteilt worden war. In Visegrad Insight rekonstruiert Iván László Nagy die Abfolge der Ereignisse, die zu „einigen der turbulentesten Wochen in der zeitgenössischen ungarischen Politik“ führten. Er erinnert daran, dass dies das zweite Mal ist, dass ein von Orbán unterstütztes Staatsoberhaupt zurücktreten muss (nach Pál Schmitt im Jahr 2012 aufgrund einer Plagiatsaffäre). Szabolcs Panyi (Direkt 36) und Sarkadi Zsolt (Telex) berichten in VSquare von der entscheidenden Rolle, die das Oberhaupt der ungarischen reformierten Kirche, Zoltán Balog, ein enger Vertrauter von Katalin Novák und ehemaliger Minister Orbáns, bei der Gewährung der Begnadigung durch die Präsidentin spielte. Schließlich rollt Istvan Mudra Márton in HVG die Geschichte des Pädophilie-Falls auf, der den Skandal ausgelöst hat, der sich 13 Jahre lang hinzog und in dem „die brutale politische Einmischung, mit der Viktor Orbán versucht, die Dinge wiedergutzumachen, nicht vollständig verhindern kann, dass sich die Puzzleteile ineinanderfügen“.

The Good (der Gute)

Wird Julian Assange an die USA ausgeliefert, wo ihm bis zu 175 Jahre Gefängnis drohen? Der High Court, das oberste Gericht des Vereinigten Königreichs, wird über seinen Einspruch gegen das Auslieferungsersuchen Washingtons entscheiden müssen. Dort soll der Mitbegründer von WikiLeaks wegen Spionage verurteilt werden, weil er im Jahr 2010 mehr als 250.000 vertrauliche militärische und diplomatische Dokumente veröffentlicht hatte. Christophe Deloire und Rebecca Vincent, Generalsekretär bzw. Kampagnenleiterin von Reporter ohne Grenzen (ROG), berichten in The Guardian, wie sie Assange seit August 2023 mehrmals im Gefängnis Belmarsh (London), wo er seit 2019 inhaftiert ist, getroffen haben. Sie prangern „wiederholt auftretende Hindernisse“ an, mit denen sie bei ihrer Aufgabe, Assange rechtlich zu unterstützen, konfrontiert waren, sowie die Schwierigkeiten, die Anhörungen in seinem Fall zu verfolgen, und die Tatsache, dass er selbst seit Januar 2021 nicht mehr daran teilnehmen durfte, sowie „seinen besorgniserregenden psychischen Gesundheitszustand und das hohe Selbstmordrisiko“.

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