Presseschau Kritische Osten

Wladimir Putin fegt die Konkurrenz weg

Innerhalb weniger Tage hat der Kremlchef seinen Hauptgegner ausgeschaltet und seinen einzigen Konkurrenten bei den kommenden Präsidentschaftswahlen mundtot gemacht. Dem amerikanischen Interviewer Tucker Carlson erteilte er eine Lektion in Sachen Propaganda während Wolodymyr Selenskyj den Oberbefehlshaber der Armee inmitten des Urkainekrieges entlassen hat, schreibt Paulina Siegen in ihrer Presseschau.

Veröffentlicht am 20 Februar 2024 um 13:04
Olivier Ploux-Critical Eastern-Voxeurop

Die vergangene Woche war ereignisreich in Osteuropa. In Russland starb Alexej Nawalny, der berühmteste Gegner Wladimir Putins, in der sibirischen Strafkolonie, in der er seit August letzten Jahres inhaftiert war. Außerdem schaltete Putin seinen einzig ernstzunehmenden Gegenkandidaten bei den russischen Präsidentschaftswahlen aus:  Boris Nadeschdin, der versucht hatte, mit einem Antikriegsprogramm für das Präsidentenamt zu kandidieren.

Während die Gründe für den Tod Nawalnys, der am 16. Februar von der russischen Gefängnisverwaltung bekannt gegeben wurde, noch unklar sind, steht fest, dass das Kreml-Regime Nawalny hasste und ihn vernichten wollte. Im Gefängnis wurde Nawalny einem Charaktertest unterzogen. Der russische Strafvollzug, der für seine Grausamkeiten bekannt ist und Gefangene oft grundlos foltert, handelte diesmal auf Anweisung von oben und tat alles dafür, um den Gefängnisaufenthalt des Oppositionellen zu einem Albtraum zu machen. Von Anfang an war klar, dass das Regime Nawalny sowohl körperlich als auch seelisch zerstören wollte.

Der Tod von Alexej Nawalny ist nicht das erste politische Attentat in Putins Russland, und zum jetzigen Zeitpunkt offenbart es keine neue Wahrheit über das Regime. Es ist kein Ereignis, das die täglichen Opfer in der Ukraine überschatten sollte. Aber es ist ein symbolischer Tod, der an das Schicksal anderer politischer Gefangener erinnert, wie das der Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Murza und Ilja Jaschin, die ebenfalls drakonische Strafen verbüßen müssen. 

Die Antikriegsbemühungen von Boris Nadeschdin verliefen im Sande, obwohl er die beachtliche Zahl von 200.000 Unterschriften gesammelt hatte. Die russische Wahlkommission hatte jedoch entschieden, dass mindestens 10.000 von ihnen nicht gültig waren. Und das war's dann! Ende der Aufregung. Da seine Kandidatur blockiert wurde, kann Nadeschdin nicht mehr für das Präsidentenamt antreten, schreibt Vertska

Einige Wochen lang hatte Nadeschdin im Mittelpunkt des Medieninteresses gestanden. Hunderttausende hatten seine Kandidatur unterstützt und standen bei eisigen Temperaturen in der Wahlkampfzentrale Schlange, um ihre Unterschrift zu leisten, so wie es das Wahlgesetz vorschreibt.


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In der zweiten Februarwoche konzentrierten sich die Medien dann auf den Besuch des US-Fernsehstars Tucker Carlson. Der glühende Trump-Befürworter und Verschwörungstheoretiker war früher Journalist, scheint diesen Beruf allerdings nicht mehr auszuüben, da selbst Fox News ihn nicht mehr haben will.

Carlson reiste trotzdem nach Moskau, um Wladimir Putin zu interviewen, und behauptete, die Amerikaner hätten bisher keine Gelegenheit gehabt, den Standpunkt des russischen Präsidenten zu erfahren. Er vergaß dabei offenbar, dass es Putin freisteht, mit der ausländischen Presse, einschließlich der amerikanischen, zu sprechen. Aber Putin zieht es vor, nicht mit echten Journalisten zu sprechen, sondern auf einen “nützlichen Idioten” wie Carlson zu warten, der seinem Vortrag über die frühmittelalterliche russische Geschichte mit großen Augen zuhören würde.

Ich habe meine Eindrücke von dem Interview für Krytyka Polityczna aufgezeichnet. Es war wenig Überraschendes dabei, aber trotzdem ist der Schaden groß. Auch wenn es stimmt, dass sich nur wenige Amerikaner dieses Interview in seiner Gesamtheit ansehen oder anhören werden. Aber Millionen werden es in Form von kurzen Auszügen konsumieren, die von Trumps Spin Doctors ausgewählt und aus dem Zusammenhang gerissen werden, um ihre Thesen zu bestätigen.

Jetzt ist es zu spät und MAGA (Make America Great Again)-Wähler werden in diesem Interview Treibstoff finden - wenn auch von geringer Oktanzahl. Offensichtlich ist die US-Wahl für die Russen spannender als ihre eigene, bei der sowieso schon längst alles in trockenen Tüchern ist.

Ukraine-Krieg: Optimismus ist Mangelware

Es gab wichtigere Dinge als Carlsons Show im Kreml. Am Vorabend des zweiten Jahrestages der russischen Invasion  hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seinen Oberbefehlshaber, General Walerij Saluschnyj entlassen. Und zwar endgültig: Ein erster Versuch war Ende Januar gescheitert, weil der General nicht zum Rücktritt überredet werden konnte. Berichten zufolge hatten damals sogar die westlichen Verbündeten interveniert, da sie keinen Grund sahen, ihn abzusetzen. Die Affäre hinterließ in der Ukraine einen skandalösen Beigeschmack und verstärkte den Eindruck, dass Selenskyj nur noch seinen eigenen Willen durchsetzt. Das Vorrecht des Präsidenten erlaubt es ihm jedoch, Armeekommandeure zu entlassen und Generäle sind in einer Auseinandersetzung mit dem Präsidenten machtlos.

Anfang Februar wurde dann eine Einigung erzielt. General Oleksandr Syrskiy, der bisherige Befehlshaber der Bodentruppen, wird Saluschnyj als Befehlshaber der ukrainischen Streitkräfte ablösen. Von dem Moment an, als Selenskyjs Absichten gegenüber Saluschnyj deutlich wurden, gab es in der Ukraine viel Unfrieden, denn wie die gesamte Armee erfreute sich auch Saluschnyj großer öffentlicher Beliebtheit.

Inzwischen hat die ukrainische Regierung in den Meinungsumfragen an Unterstützung verloren - eine Folge von Korruptionsskandalen und mehreren ungeschickten Versuchen, die Redefreiheit einzuschränken, wie Olga Worozbyt, Redakteurin für Ukrainian Weekly, für Krytyka Polityczna berichtet.

Die Rückschläge an der Front und die schwindende Hoffnung auf ein Ende des Krieges haben Präsident Selenskyj und sein Team zum Gegenstand öffentlicher Frustration gemacht. Der Rücktritt von Saluschnyj wird - vor allem von Selenskyjs Gegnern - als ein weiterer politischer Fehler angesehen, der der Ukraine schadet. Aber ich denke, es lohnt sich, etwas Abstand zu gewinnen und sich zu fragen, welche anderen Möglichkeiten Selenskyj hat, um die Ukraine aus der Sackgasse zu führen.

Personelle Veränderungen sind eine Chance, frischen Wind in den Generalstab zu bringen und Platz für neue Ansätze und Strategien zu schaffen. Nicht zuletzt, wenn die bisherigen nicht immer funktioniert haben.

Aber natürlich kann der Wechsel die Notlage des angeschlagenen Landes auch verschlimmern. General Syrsky, der die Verteidigung von Kiew und die Gegenoffensive auf Charkiw im Jahr 2022 leitete, ist in Militärkreisen dafür bekannt, dass er nicht mit menschlichen Verlusten rechnet, was indirekt für seine Effektivität verantwortlich sein könnte.

Und doch war Syrsky seit Beginn der russischen Aggression im Wesentlichen an einem Verteidigungskrieg beteiligt. Bislang hat sich der Wechsel an der Spitze nicht als so großes Erdbeben erwiesen wie erwartet, schrieb ich in Newsweek Polska, und er bedeutet auch keineswegs einen Verrat an den Interessen der Ukraine. Diese bleiben unverändert:  Der Sieg über Russland und ein dauerhafter Frieden.

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