Preiswert und immer bereit

Arbeiter aus Mittel- und Osteuropa werden nicht nur auf Tulpenfeldern ausgebeutet: Unterbezahlte, in prekären Verhältnissen untergebrachte und bis zu 20 Stunden am Tag schuftende Tschechen und Polen mit fragwürdigen Verträgen findet man auch im Dienstleistungsbereich.

Veröffentlicht am 5 November 2013 um 13:13

Ein weißer Minibus der Leiharbeitsfirma Werk & Ik hat vor den Reihengaragen in einem Gewerbegebiet [des Amsterdamer Stadtviertels] Osdorp geparkt. Eine von ihnen dient den tschechischen Leiharbeitern der Firma Werk & Ik als Wohnstätte.

Eine Frau zeigt [uns] die Schlafkammern: Fünf durch Spanplatten getrennte Abstellräume, in dem jeweils mehrere Etagenbetten stehen. Eine Neonlampe beleuchtet die Räumlichkeiten und erhellt selbst die Stellen, an denen die Leute schlafen möchten. Es gibt weder Fenster noch irgendeine Lüftungsanlage. Schätzungen zufolge arbeiten rund 100.000 Tschechen, Polen und andere aus mittel- und osteuropäischen Ländern stammende Menschen unter diesen Bedingungen.

Kein bezahlter Urlaub

Werk & Ik – dessen Umsatz sich auf zwölf Millionen Euro beläuft – arbeitet gern mit Tschechen. Besonders [am Flughafen] Schiphol, wo sie die Flugzeuge reinigen und sich ums Gepäck kümmern. Ob die Zeitarbeitskräfte genügend Geld für ihre Arbeit bekommen? Nein, meint George, ein tschechischer Student und Service-Mitarbeiter. Der Verantwortliche der [niederländischen] Gewerkschaft CNV, Henry Stroek, weist darauf hin, dass George 2012 kein Urlaubsgeld bekommen hat. Es handelt sich um 16,3 Prozent des Gehaltes, die nie ausgezahlt wurden. „Das ist viel Geld, vor allem für jemanden, der das Mindestgehalt verdient”, betont Stroek. Der Leiter und Inhaber der Leiharbeitsfirma, Ivan Karels, gibt zu, dass mehrere Tschechen ihren Urlaubszuschlag nicht erhalten haben. „Das haben wir gar nicht bemerkt. In Zukunft werden wir besser darauf achten.”

Auf ihrer in tschechischer Sprache verfügbaren Bewerber-Internetseite Werkczeck.cz verspricht Werk & Ik einen altersunabhängigen Nettostundenlohn von fünf Euro. Den Aussagen von Herrn Stroek zufolge zeigen Georges Lohnzettel, dass das angekündigte Bruttogehalt im ersten Jahr eingehalten und Zuschläge für Abend- und Nachtarbeit gezahlt wurden. Im zweiten Jahr aber schon nicht mehr.

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Keine Lohnzettel

Rewiesh Jibodh arbeitet auch für die Werk & Ik. Seine Aufgabe ist es, die Tschechen davon zu überzeugen, zum Arbeiten in die Niederlande zu kommen, wo er für ihre Arbeitspläne verantwortlich ist. Er bringt folgende Erklärung vor: [[„Natürlich stimmen die Stunden nicht immer überein]]. Wenn jemand krank wird und seine Vertretung nicht auf der Liste steht, kommt es schon mal vor, dass die gearbeiteten Stunden auf dem Stundenkonto des kranken Arbeitnehmers gutgeschrieben werden. Im Nachhinein korrigieren wir unsere Fehler aber immer.”

Ein anderes Problem ist, dass die Zeitarbeiter keine Lohnzettel erhalten, obwohl [die Arbeitgeber] eigentlich gesetzlich zu ihrer Ausstellung verpflichtet sind. George hat sie erst vor Kurzem bekommen: Zu dem Zeitpunkt, als er die Niederlande verließ und drohte, sich einen Anwalt zu nehmen. „Sie verlieren sie oder werfen sie weg”, meint Herr Jibodh. „Uns kostet das nur Papier. Und ich verstehe nicht, wozu sie nützlich sein könnten.” Eigentlich sollten die Lohnzettel online verfügbar sein, aber die interviewten Zeitarbeitet haben weder einen Benutzernamen noch ein Passwort erhalten. Auch das sei ihnen entgangen, gibt Herr Karels zu.

Automatisch abgezogene Unterkunftskosten

Hinzukommt, dass Werk & Ik bestimmte Kosten direkt vom Lohn abzieht. So behält das Unternehmen beispielsweise Beträge für verursachte Schäden ein – auch wenn die jeweiligen Personen gar keine Schuld trifft. Der größte einbehaltene Betrag aber betrifft die Kosten für die Unterkunft: Laut Arbeitsvertrag 2,50 Euro für jede gearbeitete Stunde. [[Während der Hochsaison im Sommer zahlen die Tschechen wöchentlich bis zu 150 Euro für eines der Etagenbetten in der Garage]], die laut der Stadtverwaltung nicht einmal als Wohnstätte genutzt werden darf. Vergangenen Montag haben die Inspektoren Kontrollen durchgeführt und [die Garagen] evakuieren lassen. „Sehr gefährlich”, steht in ihrem Bericht, in dem auch der Begriff „Ausbeutung” verwendet wurde.

„Wir halten uns an die geltenden Mindeststandards für Unterkunft und sanitäre Bedingungen. In der Garage ist das nicht der Fall. Das werde ich nicht abstreiten. Aber es waren die jungen Menschen selbst, die dort wohnen wollten. Ich verfüge über genügend freie Wohnungen, die aber schlicht und einfach leer stehen”, erklärt Ivan Karels. „Für eine Person, die den Mindestlohn bekommt, darf ein Arbeitgeber für die Unterkunft allerhöchstens 68 Euro pro Woche einbehalten. Was Werk & Ik macht, sieht eher nach Diebstahl aus”, tobt Herr Stroek von der CNV. „Es war in der Tat falsch, diese Abzüge einzubehalten”, reagiert Herr Karels [und fügt hinzu:] „Das war aber keine böse Absicht. Ich bin schlicht und einfach ein Unternehmer, der hart arbeitet und gern zügig expandieren würde. Wachstumsbedingte Abweichungen sind dabei unvermeidlich. Diese Probleme werden wir aber im Sinne aller beheben.” Darüber hinaus erläutert er, dass mit diesen Summen auch andere Kosten gedeckt werden: Energie, Wasser, Internet und der Fahrer, der [die Leute] auf Arbeit fährt und sie wieder zurückbringt.

Ein Jahr Nachtschicht

Regelwidrigkeiten gibt es aber auch im Bereich der gesetzlich festgelegten maximalen Stundenzahl. Nehmen wir nur einmal das Beispiel des Stundenplans des Fahrers Pavel, der über ein Jahr lang andere Tschechen auf Arbeit gefahren und sie von dort wieder abgeholt hat. Sein Arbeitstag war regelmäßig über zwanzig Stunden lang. Und für George, die Reinigungskraft, hat sich anhand der Stundenaufstellung herausgestellt, dass er während des ganzen Monats August nur einen einzigen freien Tag hatte. Dabei hat ein Service-Mitarbeiter nach einem Arbeitstag das im Gesetz verankerte Recht auf eine Ruhezeit von zehn zusammenhängenden Stunden, und nach einer Woche auf 36 freie Stunden.

Auch das gibt Herr Karels zu: „In einigen Fällen haben wir nicht gut genug aufgepasst.” Herr Jibodh erklärt, dass sein Unternehmen nur auf die Forderungen der Arbeiter reagieren wollte. „Die Tschechen flehen mich um noch mehr Arbeit an”, meint er bestimmt. „Ich frage sie immer, ob sie eine zusätzliche Schicht arbeiten wollen.” Als ein Kollege von George allerdings nach einem ganzen Jahr Nachtschicht fragte, ob er nicht andere Arbeitszeiten haben könnte, erhielt er folgende Antwort: [[„Willst Du in Dein Land zurückkehren? Wie Du willst.”]]

Überraschenderweise gehören große Unternehmen wie KLM zu den Stammkunden des Unternehmen Werk & Ik, dem ein Zertifikat der Stiftung für die Normierung der Arbeit (Stichting Normering Arbeid) verliehen wurde. Sie überprüft [beispielsweise], ob die gesetzlichen Mindestlöhne respektiert wurden. Im Mai 2013 wurde das Zertifikat der Zeitarbeitsfirma sogar erneuert.

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