Nachrichten Freihandelsabkommen EU-USA

Über den Deal des Jahrhunderts verhandeln

In Washington beginnen am heutigen 8. Juli die Verhandlungen zu einem bilateralen Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den USA, mit dessen Hilfe mehrere Millionen Euro eingespart und Bürokratie abgebaut werden soll. Aber das mangelnde Vertrauen nach dem jüngsten US-Abhörskandal ist nur eine der vielen Hürden, die es zu überwinden gilt.

Veröffentlicht am 8 Juli 2013 um 15:57

Washington DC ist keine Stadt, in der es an Bürokraten fehlt. Diese Woche werden dort noch mehr sein als gewöhnlich. Die amerikanische Hauptstadt übernimmt die Rolle des Gastgebers für die erste Runde der Handelsgespräche zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union. Die Verhandlungspartner haben sich zum ultimativen Ziel gesetzt, die Bedingungen ihrer wechselseitigen Geschäftsbeziehungen zu verbessern.

Beide Seiten wollen zunächst die Einfuhrzölle auf Waren, die zwischen den beiden Wirtschaftsriesen gehandelt werden, abschaffen. Sie werden sich auch für den Bürokratieabbau einsetzen, damit internationale Unternehmen expandieren können.

Der Handelsmarkt zwischen USA und EU ist weltweit der größte

Angesichts der Größenordnung des amerikanisch-europäischen Handels beeinflussen allerdings selbst kleinste Veränderungen der kommerziellen Beziehungen die Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks. Auch wenn Europa vor einem weiteren Rezessionsjahr steht und Wirtschaftsexperten mit Sorge auf die wachsende Schlagfertigkeit der Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien blicken, bleibt der Handelsmarkt zwischen den USA und der EU der weltweit größte.

In den ersten neun Monaten des Jahres 2012 wurden zwischen den beiden Wirtschaftsriesen Waren im Wert von mehr als 485 Milliarden $ (300 Mrd. £ und 338 Mrd. €) ausgetauscht. Aus den in Washington begonnenen Verhandlungen über eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) könnte ein Handelsblock resultieren, der fast die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung umfasst. Dies würde einen zusätzlichen Gewinn von jährlich 100 Milliarden Pfund (116 Mrd. €) für die EU-Wirtschaft, 80 Milliarden Pfund für die USA und 85 Milliarden Pfund für den Rest der Welt bedeuten.

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Die Gespräche werden von den jüngsten politischen Ereignissen überschattet

Die Gespräche könnten ebenso die Frage des Verbleibs Großbritanniens in der Europäischen Union beeinflussen.

Großbritannien hat die EU natürlich noch nicht verlassen, müsste aber noch für einige Zeit im Spiel bleiben, wenn es das Handelsabkommen mit gestalten will, ob es nun ein Referendum geben wird oder nicht. Amerika hofft, die aktuelle G8-Dynamik nutzen zu können, um „in einem Zug” ein bilaterales Handelsabkommen abzuschließen. Optimisten glauben, dass die Verhandlungen nur rund 18 Monaten dauern werden. Andere halten dagegen mindestens drei Jahre für realistisch.

Die Gespräche werden allerdings von den jüngsten politischen Ereignissen überschattet. Nachdem Großbritannien und die USA unter dem Verdacht stehen, ihre Verbündeten bei früheren Verhandlungen bespitzelt zu haben, ist das Misstrauen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und Amerika gewachsen.

Die Gespräche verlaufen bisher, wie geplant, aber die Lage ist angespannt. Rund 120 Vertreter aus der amerikanischen und europäischen Handelsbranche werden sich in etwa 10 Gruppen aufteilen. Die Delegierten, alles Experten in verschiedenen Bereichen, werden über jedes Detail verhandeln, von den Inhaltsstoffen, die auf den Packungen von Anti-Aging-Cremes stehen müssen bis zu der Frage, ob ein in London ausgebildeter Rechtsanwalt mit den gleichen Qualifikationen in New York arbeiten kann.

Welche bürokratischen Hürden können schnell abgebaut werden?

Sollten zunächst alle Steuern abgeschafft werden, um dann zu entscheiden, welche „wieder eingeführt werden"? Oder sollte man die Abgaben für jeden Industriezweig einzeln verhandeln? Es wird auch zu prüfen sein, welche bürokratischen Hürden schnell abgebaut werden können und bei welchen es zu langwierigen und möglicherweise schmerzhaften Verhandlungen kommen wird.

Einer der einfacheren Tagesordnungspunkte ist die Frage der Einfuhrzölle, die im weltweiten Vergleich zwischen den USA und der EU relativ niedrig sind. Sie liegen für die EU bei durchschnittlich 5,2 Prozent und für die USA bei 3,5 Prozent. In Anbetracht des riesigen Handelsvolumens zwischen den beiden Wirtschaftsräumen würde aber schon eine sehr geringe Senkung der Zölle zu erheblichen Einsparungen führen.

„Viele britische Unternehmen unterhalten bereits Geschäftsbeziehungen zu den USA, unserem größten Exportmarkt. Aber mit der Liberalisierung der Einfuhrzölle könnten britische Unternehmer bis zu 1 Milliarde Pfund (1,16 Mrd. Euro) jährlich einsparen,” erklärt Danny Lopez. Der britische Generalkonsul in New York berät englische Firmen, die sich auf dem amerikanischen Markt niederlassen wollen.

Die EU erhebt eine Tabaksteuer von 350 Prozent

Aus der EU importierte Textilien, Bekleidung und Schuhe werden in den USA mit respektive 40, 32 und 56 Prozent sehr hoch bezollt. Das gilt auch für bestimmte Waren sehr spezieller Märkte, wie beispielsweise Keramik-Geschirr für Hotels und Restaurants. Importeure müssen rund 28 Prozent des Wertes zahlen, nur um solche Waren in Amerika einzuführen.

Die EU erhebt dagegen eine Tabaksteuer von 350 Prozent. Damit sollen die durch das Rauchen verursachten Kosten für das Gesundheitssystems gedeckt werden und der hohe Preis für Abschreckung sorgen. Die USA wollen eine Senkung dieser Steuer erreichen. In Europa wird das aber sicher keinen Zuspruch finden.

Der schwierigste Verhandlungspunkt betrifft ohne Zweifel den bürokratischen Dschungel. Die Diskrepanzen zwischen dem bürokratischen System in Amerika und Europa kosten die Unternehmen jedes Jahr mehrere Milliarden Euro und bedeuten für Großbritannien einen Handelsverlust von rund 8 Milliarden Pfund.

Die amerikanischen Regulierungsbehörden akzeptieren den Begriff „aqua” nicht

So müssen Hersteller in der Automobilindustrie zweimal einen nahezu identischen Sicherheitstest durchlaufen. Die Kosmetikbranche muss zwei unterschiedliche Etikette für die Waren vorweisen, die in Europa und in den USA verkauft werden, denn die amerikanischen Regulierungsbehörden akzeptieren den Begriff „aqua” nicht.

Mit dem Abkommen soll es auch für Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und einige andere Berufsgruppen einfacher werden, in beiden Wirtschaftsräumen zu arbeiten. Damit wird nicht nur wirtschaftlicher Gewinn garantiert, sondern neue Karrierewege für Millionen von Menschen ermöglicht.

Die Beispiele veranschaulichen die Schwierigkeiten, auf denen man bei den Verhandlungen stoßen wird. Im Grunde veraltete Gesetze wurden immer wieder unter dem Druck mächtiger Industrielobbies aufrechterhalten, denn jegliche Veränderung könnte möglicherweise einen härteren internationalen Wettbewerb nach sich ziehen.

Aus der Sicht Polens

Geburt eines Riesen

Die Schaffung einer Freihandelszone zwischen der EU und den USA könnte die weltweite politische und wirtschaftliche Geografie für die kommenden Jahre verändern, meint Marek Magierowski in Do Rzeczy. Ein solches Abkommen würde nicht nur bedeuten, dass „Zollschranken beseitigt“ werden, „sondern auch, dass in allen möglichen Bereichen gemeinsame Vorschriften und Normen geschaffen werden“, erklärt Magierowski und fügt hinzu:

Seit der Gründung der Welthandelsorganisation im Jahr 1995 ist die Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft [engl. Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP] zweifellos das ehrgeizigste Unterfangen. Den Prognosen der in London ansässigen Denkfabrik Centre for Economic Policy Research zufolge werden beide Seiten großen Nutzen aus der TTIP ziehen: Für die EU eröffnet sich eine zusätzliche Einnahmemöglichkeit von ca. 119 Milliarden Dollar (etwa 92,7 Milliarden Euro), für die USA liegt das mögliche Zusatzeinkommen bei 95 Milliarden Dollar. [Den Berechnungen der Experten zufolge] würden die Ausfuhren der EU in Richtung USA um 28 Prozent steigen.

Darüber hinaus ist das Projekt „von außergewöhnlich großer politischer Bedeutung“ und könnte Europa und Amerika [auch weltpolitisch] unter die Arme greifen, zumal der globale Einfluss [beider Regionen] immer schwächer wird.

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