Der Autokrat, mit dem die EU Tee trank: Alexander Lukaschenko, vor der Uniform eines Weltkriegsveteranen, Minsk.

Warten auf das Wunder aus Minsk

Da die Demokratie in Weißrussland keine Fortschritte macht, hat Brüssel seine Strategie dem autokratischen Staatschef gegenüber geändert. Zusätzlich zu den direkten Verhandlungen mit Alexander Lukaschenko pflegt die EU nun auch Kontakte zur weißrussichen Zivilgesellschaft.

Veröffentlicht am 17 August 2010 um 15:43
Der Autokrat, mit dem die EU Tee trank: Alexander Lukaschenko, vor der Uniform eines Weltkriegsveteranen, Minsk.

Seit knapp zehn Jahren versucht Brüssel, das autoritäre Regime in Minsk durch Sanktionen zur Ordnung zu rufen. So wurden etwa Visen für bedeutende weißrussische Funktionäre abgelehnt, das Land wurde von internationalen Partnerschaften ausgeschlossen, seine Handelsbeziehungen beeinträchtigt und die demokratische Opposition unterstützt. Ohne Erfolg. Also beschloss die Europäische Union vor zwei Jahren eine neue Strategie: Im Rahmen der Östlichen Partnerschaft, einem Assoziierungsabkommen der EU mit sechs ehemaligen Sowjetrepubliken, nahm Brüssel direkten Kontakt mit dem Regime in Minsk auf.

Gleichzeitig wurde beschlossen, nicht mehr so stark auf die politische Opposition zu setzen. Nun steht die EU auch hinter Nichtregierungsorganisationen, Vereinen und Initiativen. Ob diese Politik Früchte trägt, wird sich zeigen. Denn man darf sich durchaus fragen, ob die Tatsache, dass direkte Kontakte mit der autoritären Regierung geknüpft werden, nicht eher zur Stabilisierung dieses Regimes beiträgt. Und ob der Westen nicht besser beraten wäre, in seinen Beziehungen zu Weißrussland eine eiserne Hand zu bewahren – am Vorbild der Strategie, die der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan früher gegenüber der Sowjetunion einsetzte.

"Lukaschenko führt die EU an der Nase herum"

"Meines Erachtens handelt es sich um eine reine Beschwichtigungspolitik", kommentiert Andrej Sannikow die neuesten Änderungen. Unter den zahlreichen Dissidenten, die in der kommenden Präsidentenwahl im Winter gegen den aktuellen Präsidenten Alexander Lukaschenko antreten wollen, ist Sannikow einer der größten EU-Anhänger. Mit der Bürgerbewegung "Europäisches Belarus" rät er sogar zum EU-Beitritt für sein Land. Im Prinzip ist er zwar der Östlichen Partnerschaft gegenüber positiv eingestellt, doch die Tatsache, dass die EU keinen Druck mehr auf die Regierung Lukaschenkos ausübt, beunruhigt ihn sehr: "Brüssel hätte eine harte Position halten und von der Regierung in Minsk verlangen müssen, dass sie erst ihre Auflagen im Inland erfüllt." Sannikows Meinung nach führt Lukaschenko "die Europäische Union an der Nase herum".

2008 machte die EU ihre wohlwollende Haltung gegenüber Weißrussland von fünf Anforderungen abhängig: Abschaffung der Todesstrafe, Abhaltung demokratischer Wahlen, Garantie der Pressefreiheit, Ende der Schikanierung der Nichtregierungsorganisationen und Befreiung aller politischer Häftlinge. Es schien eine Zeitlang, als würden sich die Dinge ändern. Minsk ließ die politischen Dissidenten frei, seit Jahren verbotene Zeitungen erschienen wieder in den Kiosken und die Reform des Wahlgesetzes erleichterte das Aufkommen von Kandidaturen aus der Opposition ein bisschen. Doch dieser politische Frühling war nur von kurzer Dauer. Die folgenden Kommunalwahlen waren ganz und gar nicht demokratisch. Die Nichtregierungsorganisationen in Weißrussland können von Freiheit heute nur träumen.

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Demokratisierung im Nebel

Für Sannikow, den erklärten Kandidaten zur Präsidentenwahl, "zeigte der mit dem Diktator begonnene Dialog nicht nur keinerlei Auswirkungen auf die Lage der Grundrechte in Weißrussland, sondern die neue politische Linie der EU hat vielmehr der weißrussischen Opposition sehr geschadet".

Innerhalb Europas selbst sind die Meinungen über die Haltung, die Lukaschenko gegenüber angenommen werden soll, geteilt. Während Deutschland, Schweden, Finnland sowie die vier Länder der Visegrád-Gruppe [Ungarn, Polen, Tschechische Republik und Slowakei] Minsk gegenüber traditionell versöhnlicher eingestellt sind, erteilte das Europäische Parlament der weißrussischen Regierung im März eine Abmahnung und drohte damit, die oben genannten Sanktionen im Fall neuer Menschenrechtsverletzungen wieder einzuführen. Doch aus zahlreichen Indikatoren ist zu schließen, dass es sich in Wirklichkeit wohl nicht vermeiden lassen wird, mit dem aktuellen Regime zu verhandeln, will man eines Tages die Entstehung eines demokratischen Weißrusslands erleben.

Russland wird mit allen Mitteln versuchen, den Beitritt Weißrusslands zur NATO und zur EU zu verhindern. Es wird also, soweit möglich, Lukaschenko unterstützen. In jedem Fall ist – selbst wenn sich die wirtschaftliche Situation des Landes verschlechtert – keineswegs sicher, dass automatisch der Sturz des Regimes und die Demokratisierung des Landes eintreten werden. Nichts weist darauf hin, welche politische Strategie des Westens am besten zu einer schnellen Demokratisierung Weißrusslands führen kann. Denn, wie der Soziologe Oleg Manajew über das Ende des Kommunismus in Osteuropa sagt: "Das war tatsächlich weitgehend ein Wunder." (pl-m)

Weißrussland-Russland

Zwischen zwei Stühlen

Für Minsk wird die Annäherung an die beiden Nachbarn – Russland und die EU – zum wahren Kopfzerbrechen: Während sich Brüssel immer stärker um die Emanzipation Weißrusslands vom russischen Einfluss bemüht, strebt Moskau danach, die ehemalige Sowjetrepublik in seinem Schoß zu bewahren, wie der EUObserver erklärt. So gab der weißrussische Präsident vor kurzem an, er sei bereit, die Unabhängigkeit der selbst ausgerufenen Republiken Abchasien und Südossetien anzuerkennen. Doch während Lukaschenko nach Angaben des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew "gelobt" hat, die beiden russischsprachigen Enklaven in Georgien, die 2008 Schauplatz eines Blitzkriegs waren, anzuerkennen, beteuert der Betroffene selbst, er habe klare Bedingungen gestellt und von Russland eine Entschädigung dafür gefordert, dass diese Erklärung unvermeidlich negative Konsequenzen für Weißrusslands Beziehungen mit der EU zeigen wird.

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