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Der tschechische Präsident Václav Klaus in der Hradcany Burg in Prag. 13. Juli 13 2010.

Wer für die Prager Burg?

In diesem Monat wählen die Tschechen zum ersten Mal ihren Präsidenten per Direktwahl. In einem Amt, das von historischen Persönlichkeiten geprägt wurde, übersteigt das Ansehen die eigentliche Macht — mit der Gefahr einer Schwächung des Staats.

Veröffentlicht am 11 Januar 2013 um 16:20
Der tschechische Präsident Václav Klaus in der Hradcany Burg in Prag. 13. Juli 13 2010.

Ein kleiner Test als Einleitung. An welchen Politiker der Ersten Republik erinnern Sie sich noch? Und an welchen der finsteren Zeit des Kommunismus oder zu Beginn der Neunzigerjahre? Als erste werden in der Regel immer Masaryk, Beneš, Gottwald, Husák und Havel genannt. Mit anderen Worten, Präsidenten. Und das, obwohl es sich beim politischen System der Tschechoslowakei und später der Tschechische Republik nicht um ein präsidentielles Regime handelt (auch wenn das unter den Kommunisten nicht immer ganz klar war).

In den vergangenen hundert Jahren war die Rolle des Staatsoberhaupts wesentlich wichtiger, als die Macht, welche die Verfassung dem Amt eigentlich einräumt. Daran sollten all jene denken, die der Wahl des Präsidenten nur eine geringe Bedeutung beimessen.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist dabei sehr aufschlussreich. Da verstand sich die Tschechoslowakei als die Republik von Masaryk [Präsident von 1918-35] oder Beneš [1935-48]. Im Grunde aber gehörte sie niemandem. Masaryk und Beneš waren in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Männer, doch ihre Statur vermittelte das Bild eines Staats, welches nicht der Wirklichkeit entsprach.

Vergötterung des Staatsoberhaupts

Das verhinderte auch die Schaffung dauerhafter Institutionen — die, weiß Gott, notwendig sind — , welche ihre Gründerväter überleben konnten. Mit dem Tod Masaryks stand die Republik auf einem Mal wie hilflos da, als hätte man den Steuermann verloren. Edvard Beneš übernahm das Amt zu einem Zeitpunkt, an dem er im Grunde keinen Einfluss mehr auf das Schicksal des Landes nehmen konnte.

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In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist es interessant, sich die Lage ab den Neunzigerjahren näher anzusehen, denn die kommunistischen Präsidenten zuvor waren lediglich Instrument der kommunistischen Machthaber, nicht aber Repräsentanten des Volks. Es sei nur angemerkt, dass Klement Gottwald das Präsidentenamt [1948-53] dem Amt des Ministerpräsidenten vorzog: Er wusste genau, dass die Öffentlichkeit das Staatsoberhaupt verehrt, wenn nicht gar vergöttert.

Nach 1989 kamen wir wieder einem halb-präsidentiellen Regime näher. Václav Havel [1989-2003] war so beliebt und seine Macht so groß, dass fast nichts sich seinem Einfluss entzog, zumindest am Anfang. Glücklicherweise hat diese Situation aber bald ein gewisses Gleichgewicht gefunden, denn als Havel in den Neunzigerjahren versuche, seine Befugnisse auf Kosten des Parlaments zu vergrößern, musste er rasch sehen, wie diese Versuche — glücklicherweise — auf kategorische Ablehnung stießen. Havels Glück hieß Václav Klaus [Präsident von 2003-13], damals Ministerpräsident, mit dem er sich überhaupt nicht verstand und mit dem er um die Macht kämpfen musste.

Bodenständig: Der Bürger Havel

Widerwillig zwar, doch Havel erkannte rasch, dass er der Schwächere war. Denn in der Tschechischen Republik hat die Regierung, nicht der Staatspräsident, die Hebel der Macht in der Hand. Havel zog sich zurück und begnügte sich mit dem Platz, welcher ihm zugedacht war. Aus Sicht der verfassungsrechtlichen Tradition eine gute Sache.

Doch gab es noch etwas Wichtigeres. Havel machte die Funktion des Präsidenten bodenständiger. Er war das erste Staatsoberhaupt, dass mit der monarchistischen Tradition brechen wollte. Der beste Beweis dafür ist der monumentale Dokumentarfilm Občan Havel [Bürger Havel], in dem er zuließ, in Augenblicken der Schwäche oder der Eitelkeit gezeigt zu werden, welche man sich selbst nicht gerne eingesteht, geschweige denn in der Öffentlichkeit zeigen möchte.

Im Gegensatz zu Havel hatte Klaus den Nachteil, nicht so einen mächtigen Gegenspieler zu haben. Niemand hat es gewagt, ihn in die Grenzen zu weisen, welche von der Verfassung vorgesehen sind. Er war es, der über Ernennungen und Rücktritte innerhalb des Kabinetts entschied. Er weigerte sich unzählige Male, ein Gesetz zu unterschreiben. Er hat nach Kräften die Unabhängigkeit der Justiz untergraben. Er hat die tschechische Außenpolitik beeinflusst und versucht, diese oder jene Regierung zu Fall zu bringen.

So viel zur Geschichte. Die Wahl des nächsten Staatsoberhaupts wird uns zeigen, ob wir einen Präsidenten wollen, der sich über das System wegsetzt, oder der sich als ein Bestandteil des Systems versteht. Die Geschichte lehrt uns, dass wir jemanden wählen sollten, der die Gewaltenteilung respektiert, der weiß, welches sein Platz innerhalb des Verfassungssystems ist und der nicht den Mitbürgern den Eindruck vermittelt, er sei ein Retter oder ein zu vergötternder Alleinherrscher auf der politischen Bühne.

Demokratische Kontrolle

Man würde sich innig wünschen, es wäre anders, doch [der Umfragefavorit und ehemalige Ministerpräsident] Miloš Zeman erfüllt keines dieser Kriterien. Zu Zeiten seiner Regierung [1998-2002] war die systemische Korruption noch verbreiteter als heute. Er hat versucht, die demokratische Kontrolle zu beschränken und wurde nur vom Verfassungsgericht gestoppt. Wegen seiner hemmungslosen Arroganz, die Deutsche, Österreicher und Slowaken beleidigte, waren unsere nachbarschaftlichen Beziehungen so schlecht wie nie.

Zu Zeiten seiner Regierung galt Tschechien als das problematischste und unzuverlässigste NATO-Mitglied. Und die EU stellte in ihren Fortschrittsberichten [vor dem EU-Beitritt 2004] fest, dass es in der Tschechischen Republik Praktiken gebe, die mit einer Demokratie unvereinbar seien.

Der erste Direktwahl des Präsidenten hat viele interessante Kandidaten ins Spiel gebracht. Vielleicht auch zu viele. Doch nur zwei Kandidaten erfüllen die oben genannten Kriterien: Zuzana Roithová und Karel Schwarzenberg.

Jeder Wähler hat den Kandidaten seines Herzens. Doch wäre es schade, wenn wir diese Gelegenheit nicht nutzen würden, um die tschechische Politik auf eine glücklichere Bahn zu bringen. (js)

Wahlkampf

Das Phänomen Schwarzenberg

Was wäre, wenn Karel Schwarzenberg das „schwarze Pferd“ wäre? Derjenige, den niemand als Favoriten einschätzt, der aber letztendlich das volle Potential zum Wahlsieger hat? Lidové noviny wirft diese Frage auf und stellt fest, dass der Außenminister in den letzten Tagen der Kampagne massive Unterstützung genießt. Wie die Tageszeitung uns in Erinnerung ruft, ist Schwarzenberg —

... der einzige der neun Kandidaten, der bereits mit der Prager Burg vertraut ist, da er nach der Revolution von 1989 für Präsident Václav Havel als Kanzler tätig war. Er ist der einzige, der die Wahlkampagne beseelt und einen ganzen Platz voller Menschen in Prag zum Applaudieren gebracht hat.

Schwarzenberg wird von den meisten Zeitungen und von einflussreichen Prominenten in den Medien unterstützt. „Er ist dazu fähig, die Interessen der Tschechischen Republik klar und würdig zu vertreten. Er hat den Tschechen eine wunderbare persönliche Vergangenheit zu bieten, mit einer Bindung zur Tschechoslowakei und zur Tschechischen Republik“, erklärt etwa der Wirtschaftswissenschaftler Jan Švejnar, der sich von dem Rennen um das Präsidentenamt zurückgezogen hat.

Karel Schwarzenbergs Position ist in Prag am stärksten, während die Stimmen auf dem Land eher zum Favoriten Miloš Zeman tendieren, erklärt Lidové noviny. Was den ehemaligen Ministerpräsident Jan Fischer betrifft, der gegen Ende des Wahlkampfs für seine Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei bis 1989 kritisiert wurde, so ist er anscheinend auf dem absteigenden Ast und kann nicht mehr sicher damit rechnen, bei der zweiten Wahlrunde dabei zu sein.

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