investigation Untersuchung zur Green Finance | Vierter Teil

Michelin verschließt die Augen vor einer Umweltkatastrophe in Indonesien

In diesem vierten Teil unserer Untersuchung zur Finanzierung von Kautschukplantagen in Indonesien, die von Michelin, seinen indonesischen Partnerunternehmen und BNP Paribas orchestriert wurde, zeigen wir die verheerenden Folgen der vorherigen Abholzung, der Wildtiere und Biodiversität zum Opfer fielen und die den Beteiligten in vollem Maße bekannt war.

Veröffentlicht am 24 November 2022 um 10:06

Kapitel 4

In den vorausgehenden Kapiteln enthüllten wir, wie Michelin und die Akteure der Tropical Landscapes Finance Facility (TLFF), der Plattform, die die grünen Anleihen ausgab, mit denen Michelin und sein indonesischer Partner Barito Pacific den Ausbau ihrer Kautschukplantagen finanzierten (siehe Kapitel 1, 2 und 3), die vor Ort von Royal Lestari Utama (RLU) angerichtete ökologische Verwüstung erst verschwiegen und dann verharmlost haben. Dieses Unternehmen hatte nämlich den Wald gerodet, kurz bevor der französische Reifenhersteller Ende 2014 Minderheitsaktionär wurde (Barito hielt damals 51 % des Joint Ventures, das schließlich im Sommer 2022 zu 100 % von Michelin übernommen wurde).


👉 Teil 1: Wenn die europäische Green Finance die Entwaldung in Indonesien belohnt: Der Fall Michelin
👉 Teil 2: Wie ein wegen seiner Umweltauswirkungen verpöntes Projekt zum Aushängeschild der europäischen grünen Finanzwirtschaft wurde
👉 Teil 3: Wie Michelin und sein indonesischer Partner die Regeln für grüne Anleihen umgangen haben
👉 Teil 4: Michelin verschließt die Augen vor einer Umweltkatastrophe in Indonesien

Sowohl die Stellungnahmen von Umweltexperten als auch die von Voxeurop eingesehenen Dokumente lassen den Schluss zu, dass es das Gebiet, das vor dem Einstieg von Michelin bei RLU industriell in Kautschukplantagen umgewandelt wurde, verdient hätte, geschützt zu werden. Es war nämlich Teil des ausgedehnten Waldökosystems von Bukit Tigapuluh, das auch als „Thirty Hills“ – dreißig Hügel – bekannt ist.

Durch die Zerstörung dieses Lebensraums entspricht das Projekt von Michelin und Barito nicht den internationalen Standards, zu deren Einhaltung sich die beiden Partnerunternehmen verpflichtet hatten, als sie Green Bonds zur Finanzierung ihres Projekts einsetzten. Dieses hatte vor Ort bereits begonnen, lange bevor die beiden Akteure ihre Zusammenarbeit Ende 2014 formalisierten (siehe Kapitel 3).

Das grüne Gebiet Bukit Tigapuluh liegt in den Provinzen Jambi und Riau (den am stärksten von der Entwaldung betroffenen Provinzen Sumatras) und umfasst den 1995 gegründeten Nationalpark Bukit Tigapuluh sowie die umliegenden Wälder – oder zumindest das, was davon heute noch übrig ist. Letztere machten zu der Zeit, als Lestari Asri Jaya, eine lokale Tochtergesellschaft der RLU, ihre Rodungsgenehmigung in Jambi erhielt, fast die Hälfte des Ökosystems von Bukit aus. Im Jahr 2010 erstreckte sich die bewaldete Fläche über 320.000 Hektar (davon 20 % in der aktuellen Konzession von LAJ) und war damit bereits nur noch etwa halb so groß wie 1985, als sie laut einem Bericht, der im Jahr 2010 von mehreren NGOs, darunter auch dem indonesischen Zweig des WWF, verfasst wurde, 622.000 Hektar betrug.

Die Karte zeigt den Verlust an Waldfläche (rosa) im Waldökosystem Bukit Tigapuluh (in den Provinzen Jambi und Riau) und auf der gesamten Insel Sumatra zwischen 1985 und 2008/09. | Quelle: Eyes on the Forest 

Primärwald oder Sekundärwald: eine wichtige Frage

Barito Pacific ist es also gelungen, den Primärwäldern in dieser Region auf legalste Weise den Todesstoß zu versetzen, indem das Unternehmen die laxen gesetzlichen Rahmenbedingungen in Indonesien ausnutzte. Diese stimmen nicht ganz mit dem Ansatz der Wissenschaftler überein, die alle nicht vollständig gerodeten und wieder nachwachsenden Wälder als Primärwälder betrachten, unabhängig davon, ob sie durch menschliche Eingriffe in irgendeiner Weise verändert wurden.

Die indonesische Gesetzgebung und die Definition der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) legen den Begriff Primärwald jedoch enger aus (1). Für sie fallen selbst Wälder, die durch selektiven Holzeinschlag (Ernte einer geringen Menge Holz, im Unterschied zum Kahlschlag, bei dem der Großteil der Bäume gefällt wird) leicht verändert wurden, in die Kategorie der Sekundärwälder.

Diese sind (im Gegensatz zu Primärwäldern) nicht durch das Abholzungsmoratorium geschützt, das übrigens erst 2011 vom damaligen indonesischen Präsidenten Bambang Susilo Yudhoyono verabschiedet (und seitdem von ihm und seinen Nachfolgern verlängert) wurde (2).


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„In Indonesien kann ein Unternehmen eine Genehmigung für die selektive Bewirtschaftung von Primärwald beantragen, den die Regierung dann als Sekundärwald neu etikettieren kann, bevor sie eine Rodungslizenz erteilt, so dass Betreiberunternehmen wie LAJ formell behaupten können, keine Primärwälder abzuholzen“, erklärte Matthew Hansen Voxeurop. Er ist Forscher im Gebiet Fernerkundung am Fachbereich Geographische Wissenschaften der Universität Maryland und hat an der Entwicklung der weltweit größten Datenbank und der fundiertesten Methodik zum Verschwinden von Primärwäldern mitgewirkt. Der von Hansen beschriebene Prozess ist genau der, auf den Barito zurückgegriffen haben soll. (3)

Bevor das indonesische Umwelt- und Forstministerium grünes Licht für die Rodung durch Lestari Asri Jaya und ähnliche Unternehmen gab, erlaubte es im Waldökosystem Bukit Tigapuluh nur selektiven Holzeinschlag. Das war in den 1990er Jahren, als ein Großteil der lokalen Wälder noch als Primärwald eingestuft wurde. Das größte in dem Gebiet tätige Unternehmen für selektiven Holzeinschlag war Industries et Forest Asiatiques (IFA), das ebenfalls zur Barito Pacific Gruppe gehörte, wie Voxeurop herausfand. Barito Pacific war über seine Tochtergesellschaft mit dem Namen Barito Pacific Lumber Eigentümer von IFA, wie eine von Voxeurop gefundene notarielle Urkunde aus dem Jahr 2020 belegt.

Nachdem die Konzession von rund 300.000 Hektar um die Jahrhundertwende ausgelaufen war, wurde sie nach und nach in zahlreiche Intensivnutzungskonzessionen (die die Umwandlung von Wäldern in landwirtschaftliche Produktionsflächen ermöglichen) aufgeteilt. Darunter befindet sich auch die 2010 an LAJ vergebene, rund 62.000 Hektar große Konzession, deren Baumbestand „2008 als Sekundärwald eingestuft wurde“, wie Johan Kieft, Generalsekretär der TLFF und UNEP-Senior Technical Expert für Landnutzung und grüne Wirtschaft, gegenüber Voxeurop bestätigte. Kieft erkennt damit implizit an, dass LAJ 20 % der ehemaligen Fläche von IFA (in einem Teil, der kurz zuvor noch als Primärwald kategorisiert worden war) wieder in den Besitz von Barito Pacific gebracht hat, und zwar mit dem Recht auf Rodung. 

Plan der ehemaligen Konzession für selektiven Holzeinschlag des Unternehmens Industries et Forest Asiatiques (IFA), die sich weitgehend über Primärwald erstreckte und auch Barito Pacific gehörte. Diese legte sie später mit ihren aktuellen Konzessionen in Jambi, LAJ und WMS, zusammen, für die sie über eine Rodungsgenehmigung verfügte. | Quelle: Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) und Generaldirektion für natürliche Ressourcen und Erhaltung von Ökosystemen des indonesischen Ministeriums für Umwelt und Forsten 

Der oben erwähnte Bericht der NGOs aus dem Jahr 2010 geht auf diesen Hintergrund ein. Er zitiert eine Untersuchung vor Ort aus dem Jahr 2005, die von der lokalen NGO KKI Warsi und der Landwirtschaftlichen Universität Bogor (IPB) durchgeführt wurde und zu dem Schluss kam, dass die natürlichen Wälder in der ehemaligen Konzession von IFA, obwohl sie selektiv genutzt wurden, immer noch ein Holzvolumen mit einem sehr hohen CO2-Speicherpotenzial aufwiesen und es daher sinnvoller wäre, sie wiederherzustellen, als sie in Plantagen umzuwandeln (4).

„Selektiv genutzte und daher rechtmäßig als sekundär kategorisierte Primärwälder“ – wie jene, die durch LAJ endgültig gerodet wurden – „verfügen immer noch über die Fähigkeit, eine hohe Biodiversität und Kohlenstoffsenken bereitzustellen“, bekräftigt Hansen. „Degradierte Wälder können sich auf natürliche Weise oder durch unterstützte Wiederherstellung erholen und schließlich wieder in den Zustand eines Primärwaldes zurückversetzt werden“, pflichtet ihm die Forstabteilung der FAO bei.

„Unsere Analysen zeigen, dass das Gebiet vor der Zuweisung an LAJ über einen dichten Naturwald mit alten Bäumen verfügte, auch wenn er nicht völlig intakt war und nach indonesischen Regeln vielleicht nicht als Primärwald eingestuft wurde“, sagte Elizabeth Goldberg, Leiterin von Global Forest Watch (GFW), gegenüber Voxeurop. Ihre Aussage stützt sich auf eine interaktive Karte, die den Verlust von Primärwäldern weltweit seit 2001 nachzeichnet, unabhängig davon, ob sie durch nationale Gesetze herabgestuft wurden.

Karte 1
Karte 2
Karte 3. Reduzierung der Waldbedeckung im Bereich der aktuellen Konzessionen von LAJ und WMW: Im Jahr 2001 (Karte 1) wurde das Gebiet von der Regierung noch als Primärwald eingestuft; 2009 (Karte 2), vor der Erteilung der Lizenz für intensive Nutzung (Umwandlung von Wald in landwirtschaftliche Produktionsfläche), wurde das Gebiet auf Sekundärwald herabgestuft (seit 2008); 2015 (Karte 3), nach der industriellen Rodung ist der Wald weiter zurückgegangen und blieb nur am Rande des Nationalparks Bukit Tigapuluh erhalten. | Quelle: Global Forest Watch

Vor Ort bestätigen die Bewohner der abgeholzten Gebiete, was aus den Satellitenbeobachtungen und den interaktiven Karten hervorgeht. So erzählte Sumbasri, ein Bauer, der seit 1975 im Dorf Pemayungan lebt, das heute direkt vor den Kautschukplantagen von RLU liegt, den Reportern des Magazins Tempo, dass „vor der von LAJ durchgeführten Rodung noch ein Wald vorhanden war, wenn auch kein sehr dichter, da IFA die größten Bäume bereits zuvor gefällt hatte.“

Sumbasri im Dorf Pemayungan, im Februar 2022. | Foto: Raymond Epu/Tempo

Der von Michelin in Auftrag gegebene Bericht des Umweltberatungsunternehmens TFT/Earthworm (siehe Kapitel 2) kam zu dem Schluss, dass die industrielle Rodung der Wälder in der Konzession auch Gebiete mit hohem Biodiversitätswert entlang des Nationalparks Bukit Tigapuluh betroffen hatte, die hätten geschützt werden müssen.

Die Zuverlässigkeit der 2009 von der Regierung in Jakarta genehmigten Umweltverträglichkeitsprüfung, die es Lestari Asri Jaya erlaubt hätte, wertvolle, wenn auch geschädigte Ökosysteme zu zerstören, wird vom Direktor für öffentliche Angelegenheiten von Michelin sogar implizit in Frage gestellt.

„Wir haben dort, wo [nach dem Betriebsplan von LAJ] nur Büsche gerodet werden sollten, einen sehr wertvollen Wald entdeckt. Wir mussten die Pläne ändern, um diese Orte zu schützen“, sagte Hervé Deguine gegenüber Voxeurop und bezog sich dabei auf die Zeit nach der Unterzeichnung des Joint Ventures mit Barito Pacific, vor der Michelin der industriellen Abholzung nur passiv beiwohnen konnte.

Die türkisfarbenen Markierungen zeigen die Gebiete, deren industrielle Entwaldung das Umweltberatungsunternehmen TFT/Earthworm in dem von Michelin in Auftrag gegebenen Audit feststellte, in den von RLU gerodeten Gebieten (violett) innerhalb der Konzessionen von LAJ und WMW (rot umrandet), insbesondere in den Gebieten mit hohem Erhaltungswert - HCV (hellgrün), einschließlich der Zonen am Rand des Waldes (dunkelgrün) im Nationalpark Bukit Tigapuluh. | Quelle: MapHubs/MightyEarth und Daemeter/Remark

Darüber hinaus hatte die indonesische Regierung 2007 in ihren Naturschutzplänen (5) selbst erkannt, dass der Schutz von Lebensräumen wie Bukit Tigapuluh entscheidend für die Rettung von Tieren mit hohem Aussterberisiko wie Sumatra-Tigern, -Elefanten und -Orang-Utans ist. Alle drei stehen auf der Roten Liste der kritisch bedrohten Arten der International Union for Conservation of Nature (IUCN) und haben in Sumatra einen unaufhaltsamen Rückgang erlitten, so die Zahlen, die in einer aktuellen Studie der Landwirtschaftlichen Universität Bogor zitiert werden.

Diese Säugetiere bevorzugen die Regenwälder des Tieflandes als Lebensraum, die weniger geschützt sind, da sie sich außerhalb der Nationalparks befinden. Letztere sind oft bergig und für die Tiere schwerer zugänglich.

2008 akzeptierten das Nationalparkbüro und die indonesische Naturschutzbehörde (BKSDA) die von NGOs (einschließlich des indonesischen Zweigs des WWF) vorgeschlagene Abgrenzung, um das geschützte Waldgebiet zu erweitern: von den 143.223 Hektar des Parks auf insgesamt 348.084 Hektar, einschließlich der umliegenden Wälder, zu denen auch diejenigen innerhalb der künftigen-Konzessionsgebiete von LAJ zählten. Im Jahr 2009 einigten sich NGOs (wie der WWF) und die lokalen Behörden auf einen von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt  (ZGF) entwickelten Umsetzungsplan.

Er wurde auch offiziell von der Generaldirektion für natürliche Ressourcen und Erhaltung von Ökosystemen des Ministeriums für Umwelt und Forsten genehmigt. Die beteiligten NGOs bestehen ihrerseits darauf, dass das Ministerium die Lizenzen für die kommerzielle Nutzung in dem zu schützenden Gebiet widerruft (insbesondere die Lizenzen, die aus der Aufspaltung der Fläche von IFA stammen, einschließlich LAJ).

Die indonesische Regierung hat sich jedoch trotz ihrer Verpflichtungen, die sogar auf internationaler Ebene Beachtung fanden, den wirtschaftlichen Interessen gebeugt: Das Gebiet, das den Namen „Ökosystem Bukit Tigapuluh“ hätte tragen sollen, ist nie entstanden und wurde weitgehend gerodet.

Das Ökosystem Bukit Tigapuluh: Eine Erweiterung des gleichnamigen Nationalparks auf die umliegenden Wälder, wie im 2009 von den indonesischen Behörden genehmigten Umsetzungsplan festgelegt, einschließlich der Zonen, die im Jahr 2010 Teil der Konzessionen von WMW und  LAJ werden sollten. | Quelle: Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) und Generaldirektion für natürliche Ressourcen und Erhaltung von Ökosystemen des indonesischen Ministeriums für Umwelt und Forsten

Gebiete außerhalb des Nationalparks Bukit Tigapuluh, die im Umsetzungsplan des Ökosystems Bukit Tigapuluh, der 2009 von den indonesischen Behörden genehmigt wurde, als Wälder mit hoher Biodiversität (grün) ausgewiesen wurden. Diese Gebiete sollten in das Ökosystem einbezogen und vor Rodung geschützt werden, einschließlich der Gebiete, die 2010 in die Konzession von LAJ aufgenommen werden sollten. | Quelle: Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) und Generaldirektion für natürliche Ressourcen und Erhaltung von Ökosystemen des indonesischen Ministeriums für Umwelt und Forsten
Das Waldökosystem Bukit Tigapuluh im Jahr 2010 – Die Wälder außerhalb des Nationalparks (blau) befinden sich in den zahlreichen Konzessionen (rot), für die letztendlich eine Rodungsgenehmigung erteilt wurde, darunter auch die Konzession von LAJ | Quelle: Eyes on the Forest 2010

Entgegen der verharmlosenden Antwort auf den kritischen Bericht von Mighty Earth hat Royal Lestari in seinem Nachhaltigkeitsbericht 2020 schließlich selbst eingeräumt, dass die Konzession von LAJ „ein Gebiet mit einem essentiellen Ökosystem [...], in dem Wildtiere frei herumstreifen“ einschließt, und endlich ein nachhaltiges Management des Gebiets in Zusammenarbeit mit der BKSDA und der Nationalparkverwaltung angekündigt (10 Jahre, nachdem die NGOs dies gefordert hatten). Es ist bedauernswert, dass dieses Eingeständnis erst erfolgt, nachdem fast der gesamte Wald entlang des Nationalparks Bukit Tigapuluh zerstört und durch Kautschukplantagen ersetzt wurde. 

Plan für das Ökosystem Kawasan Ekosistem Esensial (KEE) in Bukit Tigapuluh, der im Jahr 2020 von RLU, WWF, dem Nationalpark und der indonesischen Naturschutzbehörde (BKSDA) vereinbart wurde und eine viel kleinere Fläche betrifft als das vor der Rodung durch LAJ vorhandene Waldgebiet, das fast vollständig mit Kautschukplantagen bedeckt ist (gelb). | Quelle: WWF Indonesien

Für Alex Wijeratna, Kampagnenleiter der Umwelt-NGO Mighty Earth, „schien RLU dasselbe angrenzende Waldgebiet entweder als degradiert oder essentiell zu definieren, je nachdem, ob das Unternehmen die Investoren davon überzeugen wollte, dass der industriell gerodete Teil nicht schützenswert war, oder dass der Schutz der verbliebenen Bäume ihr Geld wert ist.“

Das Ökosystem war jedoch schon immer ein Ganzes, sowohl vor als auch nach der Gründung des Joint Ventures und der Emission der Anleihen, wie der UNEP-Atlas der für die weltweite Biodiversität wichtigen Gebiete auf der Plattform Global Forest Watch bestätigt. Der Atlas zählt den schrumpfenden Wald in Jambi zu den letzten Zufluchtsorten für Tiere, die auf der Roten Liste der bedrohten Arten der IUCN stehen.

Chetan Kumar, Senior Programme Coordinator bei der IUCN, wies Voxeurop gegenüber darauf hin, dass sich die Politik der IUCN „auf den Schutz der Primärwälder konzentriert, aber auch auf die Notwendigkeit, den Verlust degradierter Wälder, die Lebensräume für bestimmte Arten wie Elefanten auf Sumatra bieten können, zu verhindern und ihre Wiederherstellung zu gewährleisten.“

Kautschukplantagen, die den Lebensraum der Elefanten reduziert haben

Die nordöstliche Grenze der Konzession von Lestari Asri Jaya (LAJ) bildet mit dem Nationalpark Bukit Tigapuluh eine Landschaft mit homogener Biodiversität, in der neben einer großen Elefantenpopulation auch Tiger leben – die in diesem Gebiet eine der weltweit vorrangigen Landschaften für ihre Erhaltung vorfinden – und Orang-Utans. Letztere wurden hier durch ein Programm eingeführt, das seit 2001 einen Großteil der Insel Sumatra und hauptsächlich das Ökosystem Bukit Tigapuluh umfasst.

„Der Sekundärwald, den LAJ abgeholzt hat, war aufgrund seiner sehr hohen Nahrungsdichte Teil des Hauptlebensraums von Elefanten und anderen großen Säugetieren“, erklärte ein Naturschutzexperte, der die Rodungsarbeiten miterlebt hat und anonym bleiben möchte.

RLU/LAJ zielte speziell auf den Wald in dem als Block 4 bezeichneten Teil der Konzession von LAJ ab, der sich am südöstlichen Ende der Konzession, am Rande des Nationalparks befindet.

„Insbesondere Block 4 der Konzession von LAJ [siehe nachstehende Karte] ist ein lebenswichtiger Korridor für Elefanten, in dem die Tiere auf dem Weg zwischen den Schutzgebieten außerhalb der Konzession des Unternehmens Nahrung finden“, erklärte unsere anonyme, auf Naturschutz spezialisierte Quelle und verwies auf die wichtige Rolle, die dieses Gebiet als Verbindung zwischen dem Nationalpark und den beiden Konzessionen bei der Wiederherstellung des Ökosystems spielt, dessen Management der WWF von 2015 bis 2020 übernommen hatte, bevor er seine Zusammenarbeit mit RLU einstellte (siehe Kapitel 1). „Die Elefanten nutzen diese Passage, weil sie sie weder im Norden, wo der Park sehr steil ist, noch im Süden, wo sie in dicht besiedelte Gebiete geraten würden, umgehen können.“

Die dunkelgrüne Fläche zeigt den von den Tieren genutzten Korridor zwischen dem Nationalpark Bukit Tigapuluh und den Konzessionen zur Wiederherstellung des Ökosystems (PT Alam Bukit Tigapuluh – ABT), der in den Teil von Block 4 der Konzession von LAJ am Rande des Parks hineinragt. Die orangefarbenen Punkte zeigen, wo im Jahr 2009 Orang-Utans gesichtet wurden, die schwarzen Sumatra-Elefanten und die roten Sumatra-Tiger. Die Konzessionen von ABT wurden von 2015 bis 2020 vom WWF verwaltet, bis er seine Zusammenarbeit mit Royal Lestari Utama beendete. | Quelle: Mighty Earth/MapHubs

Nach Berechnungen von Leo Bottrill, Geschäftsführer des Geospatial-Technologieunternehmens MapHubs, soll das Ökosystem der Elefanten am Rande des Nationalparks zwischen April 2012 und Januar 2015 aufgrund der industriellen Rodung 2590 Hektar Bäume (von insgesamt 3232 in Block 4) verloren haben. Hier befindet sich die Mehrheit (59 %) der Kautschukbäume, die bereits vor dem offiziellen Einstieg von Michelin ganz am Anfang des Jahres 2015 in der Konzession von LAJ angepflanzt worden waren (siehe Kapitel 1).

Bottrill zufolge soll RLU schätzungsweise auch 3.852 Hektar in Block 1 derselben Konzession am Rande des Schutzgebiets Limau (in der nordwestlichen Ecke dessen, was das Bukit Tigapuluh-Ökosystem hätte sein sollen) und 1.384 Hektar in der kleinen Konzession von WMW gerodet haben.

Vor Ort tätige Naturschutzaktivisten erklärten Voxeurop anonym, was vor Ort geschehen sein soll. Ihnen zufolge soll Royal Lestari Utama den Schutz des Lebensraums der Elefanten vernachlässigt und das routinemäßige Agrobusiness hinter den Kulissen fortgesetzt haben (auch nach dem Einstieg von Michelin in den Konzern). Mit ihrem Bericht brechen sie das Schweigegebot, das RLU mittels Geheimhaltungsklauseln den an den verschiedenen Naturschutzprogrammen in Jambi beteiligten NGOs wie dem WWF auferlegt hat, die erfolglos für die Einrichtung des großen Schutzgebiets Bukit Tigapuluh gekämpft hatten, das 2009 auf dem Papier mit den indonesischen Behörden vereinbart worden war.

Seit dem Treffen im Ministerium für Umwelt und Forsten zum Thema Raumplanung im November 2010 und in den anschließenden Interaktionen mit LAJ (die inzwischen ihre Rodungsgenehmigung erhalten hatte) legten diese NGOs mehrere Studien vor, die durch Daten der BKSDA gestützt wurden. Diese Informationen zeigten, dass der Wald und die verbleibenden Strauchgebiete innerhalb der Konzession nicht nur für Elefanten, sondern auch für Tiger und Orang-Utans relevant sind. 

Der Umsetzungsplan des Ökosystems Bukit Tigapuluh, der 2009 von den indonesischen Behörden genehmigt wurde, zeigt die Anwesenheit zahlreicher Elefanten. Sie konzentrieren sich auf den Teil des Ökosystems, der sich später mit Block 4 des Konzessionsgebiets von LAJ überschnitt. | Quelle: Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) und Generaldirektion für natürliche Ressourcen und Erhaltung von Ökosystemen des indonesischen Ministeriums für Umwelt und Forsten

LAJ hatte ursprünglich versprochen, dass der Großteil des Sekundärwaldes in Block 4 intakt bleiben oder nur selektiv abgeholzt werden sollte und dann wieder nachwachsen dürfe. Doch schon bald begann die Umwandlung des Lebensraums der Wildtiere in Kautschuk-Monokulturen. Im Jahr 2013 fing man an, Elefanten und andere Tiere aus den Plantagen in Block 4 zu vertreiben, wodurch Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren in den umliegenden Dörfern und auf den landwirtschaftlichen Flächen der Kleinbauern zunahmen.

Autopsie einer vergifteten Elefantenkuh in der Nähe von Block 4 der Konzession von LAJ, der an den Nationalpark Bukit Tigapuluh angrenzt. Nicht datiert. | Quelle: Zoologische Gesellschaft Frankfurt / Alexander Moßbrucker & Albert Tetanus
Foto von Sarmani (sitzend, mit Krawatte), einem Einwohner des Dorfes Muara Sekalo, der am 31. Dezember 2021 verstarb, nachdem er von einem Elefanten angegriffen worden war. | Photo : Abdul Manan/Tempo 

Royal Lestari trug auch indirekt zu einer weiteren Entwaldung und einem Verlust an Biodiversität in der Region bei, indem das Unternehmen die nicht-industrielle Rodung (im Rahmen illegaler Bewirtschaftung) erleichterte. Um die gefällten Bäume abzutransportieren, wurden nämlich Straßen durch ehemals entlegene Waldgebiete bis hin zum Nationalpark Bukit Tigapuluh angelegt. Dem Bericht von Mighty Earth zufolge wurden zwischen April 2012 und 2015 alte Pisten neu ausgebaut und über 100 km neue Straßen gebaut.

So wurde Landwirten und illegalen Holzfällern (meist aus anderen Teilen Indonesiens „eingewanderte“ Landspekulanten) ebenso wie Wilderern der Zugang geöffnet. Sie drangen nicht nur in die Konzession von LAJ selbst ein, sondern auch in die angrenzenden Waldgebiete, die von den Sicherheitsbeamten des Unternehmens kaum überwacht werden. Die nicht-industrielle Entwaldung, die eine Fläche von 30.000 Hektar betrifft (mehr als 70 % der Waldfläche der Konzession, die im Jahr 2009 42.000 Hektar betrug), hat somit parallel zur industriellen Entwaldung (20 % der Fläche) zugenommen, wie Leo Bottrills kartografische Zeitleiste zeigt.

Zwischen 2009 und 2015 industriell gerodete Gebiete (in Violettschattierungen) und im Rahmen illegaler Bewirtschaftung nicht industriell gerodete Gebiete (in Orangeschattierungen) in den Konzessionen von RLU. | Quelle: Mighty Earth/MapHubs

Die industrielle Entwaldung durch RLU und die nicht-industrielle Entwaldung im Rahmen illegaler Bewirtschaftung in der Konzession von LAJ erreichte in der Zeit zwischen der Erteilung der Rodungsgenehmigung im Jahr 2010 und dem Joint Venture zwischen Barito und Michelin (Ende 2014), nach dessen Gründung sie ihre jeweilige Politik der Nicht-Entwaldung veröffentlichten, ihren Höhepunkt. | Quelle: Nusantara Atlas, Greenpeace Indonesien, TLFF

In einer E-Mail an Mighty Earth, die von der NGO in ihrem Bericht von 2020 zitiert wird, spielte Michelin die Auswirkungen der von RLU durchgeführten Arbeiten herunter und erklärte, die Abholzung durch Einheimische sei allein der „Genehmigung zur Eröffnung eines Straßenkorridors [...] in der Zone [LAJ 4](6), zuzuschreiben, die die Regierung dem benachbarten Unternehmen Asia Pulp & Paper (APP) der Sinar Mas Group erteilt hatte.

Michelin vergaß jedoch zu erwähnen, dass Lestari Asri Jaya dieselbe Straße ebenfalls strategisch nutzte, um – wie in einem vom WWF und der lokalen NGO KKI WARSI gemeinsam verfassten Bericht dargelegt – das Holz, das sie seit 2010 in ihrer eigenen Konzession während der industriellen Rodung, die Platz für die Kautschukplantagen schuf, gewonnen hatte, an benachbarte Sägewerke zu liefern. LAJ/RLU verkaufte also das Holz, das bei der Rodung des Landes, auf dem später Kautschukbäume wachsen sollten, geschlagen worden war. Zu ihren Kunden gehörten auch die Zellstofffabriken von APP selbst, wie aus einem von mehreren lokalen NGOs unterzeichneten Schreiben hervorgeht.

In ihrem oben erwähnten Bericht aus dem Jahr 2010 hatten die NGOs angeprangert, dass APP im Juli 2007 illegal mit dem Bau der 82 km langen Straße durch den Wald am Rande des Nationalpark Bukit Tigapuluh begonnen hatte (ohne eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die erst wenige Monate später genehmigt werden sollte). Dies geschah, um die Konzessionen der Partnerunternehmen – einschließlich der Konzession von LAJ (die kurz darauf eine staatliche Einschlagsgenehmigung erhalten sollte) – mit den Zellstoffwerken zu verbinden und Holz dorthin zu transportieren.

Die wichtigste Straße des Korridors für die Waldbewirtschaftung von Asia Pulp & Paper (APP) durch den Naturwald, innerhalb der ehemaligen Konzession von IFA für selektiven Holzeinschlag, derzeit Block IV der Konzession von Lestari Asri Jaya, im April 2010 | Quelle: Heriyadi Asyari/Doc. KKI WARSI.
Transport von geschlagenem Holz in der Konzession von LAJ, im Februar 2022. | Foto: Abdul Manan/Tempo
Die hellblaue Linie zeigt den Verlauf der von Asia Pulp & Paper (APP) gebauten Straße durch die Konzessionen von LAJ und WMW am Rande des Nationalparks Bukit Tigapuluh, in denen sich Anfang 2010 – unmittelbar vor Beginn der industriellen Rodung – noch Wald befindet. | Quelle: Eyes on the Forest 2010

„Als LAJ/RLU die Konzession erhielt, verdiente das Unternehmen hauptsächlich mit dem Verkauf von hochwertigem Holz Geld, deshalb musste es den Wald roden“, sagt Alex Wijeratna von Mighty Earth. „Erst nachdem es sich mit Michelin getroffen und sich von dem französischen Unternehmen beraten lassen hat, begann es ernsthaft, Kautschuk anzubauen“, schließt er.

So konnte RLU/LAJ zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen verkaufte das Unternehmen die in seiner Konzession gefällten Bäume, und zum anderen pflanzte es auf dem so entwaldeten und gerodeten Land Kautschukbäume. Die Entwaldung endete erst, nachdem Barito Pacific und Michelin das Joint Venture gegründet und unmittelbar darauf ihre jeweilige Politik der Nicht-Entwaldung veröffentlicht haben – wahrscheinlich zu spät, um sie vor dem Verdacht des Greenwashings zu schützen, der ihr Projekt überschattet.

Ende von Kapitel 4

Im nächsten Teil dieser Untersuchung werden wir zeigen, dass der Einstieg von Michelin im Jahr 2015 nicht dazu beigetragen hat, die Umweltsituation wie versprochen zu verbessern und die von der massiven Entwaldung durch sein Partnerunternehmen an Flora und Fauna sowie an den menschlichen Gemeinschaften verursachten Schäden zu beheben. 


Fußnoten

1) Die FAO definiert Primärwald als „natürlich nachwachsenden Wald aus einheimischen Baumarten, in dem es keine deutlich sichtbaren Anzeichen für menschliche Aktivitäten gibt und dessen ökologische Prozesse nicht wesentlich gestört sind“.

2) Das Abholzungsmoratorium wurde bis 2015 verlängert und hat seit 2019 eine unbefristete Gültigkeit.

3) Eine Studie der Universität Maryland ergab, dass mehr als 90 % des Primärwaldes in Indonesien vollständig abgeholzt wurden, nachdem sie durch erste menschliche Eingriffe wie selektives Abholzen geschädigt worden waren. Da diese Wälder von den Behörden in Jakarta infolgedessen als sekundär betrachtet wurden, wurden sie nicht geschützt. Daher hatte das Land der FAO bis 2015 nur die Hälfte des eigentlichen Verlusts an Primärwald gemeldet.

4) Darusman, D., Bahruni, Siswoyo & Trison, S. (2006) Final Report: Valuation of Forest Resources in Area of ex PT. Industries et Forest Asiatique (IFA), West part of Bukit Tigapuluh National Park. Cooperation between KKI Warsi & Laboratory of Forest Policy, Economic and Social Faculty of Forestry, Bogor Agricultural University.

5) Departemen Kehutanan (2007) Strategi dan Rencana Aksi Konservasi Harimau Sumatera (Panthera tigris sumatrae) 2007-2017. Departemen Kehutanan (2007) Strategi dan Rencana Aksi Konservasi Orangutan Indonesia 2007-2017. Departemen Kehutanan (2007) Strategi dan Rencana Aksi Konservasi Gajah Sumatera dan Gajah Kalimantan 2007-2017.

6) E-Mail von Hervé Deguine, Direktor für öffentliche Angelegenheiten von Michelin, an Mighty Earth vom 7. Juli 2020.                        

👉 Glossar und Methodik
👉 Kapitel 1: Wenn die europäische Green Finance die Entwaldung in Indonesien belohnt: Der Fall Micheli
👉 Kapitel 2: Wie ein wegen seiner Umweltauswirkungen verpöntes Projekt zum Aushängeschild der europäischen grünen Finanzwirtschaft wurde
👉 Teil 3: Wie Michelin und sein indonesischer Partner die Regeln für grüne Anleihen umgangen haben

Die Arbeit vor Ort in Indonesien wurde von unserem Medienpartner Tempo geleistet und von der Global Initiative Against Transnational Organized Crime gefördert. Die Untersuchung wurde auch von der Environmental Reporting Collective, Journalismfund.eu und Mediabridge unterstützt.
Mit Unterstützung von Investigative Journalism for Europe

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