Athen, 6. Mai 2010: Vor einer Filiale der Marfin Bank, in der drei Menschen den Protesten am Vortag zum Opfer fielen.

Ein Land im Schockzustand

Schockiert ist die griechische Presse über den Tod von drei Personen. Sie fielen den in Athen von Gewerkschaften organisierten Demonstrationen gegen die Sparpolitik der Regierung zum Opfer. Drei Angestellte einer Bank sind in den Flammen eines Brandes in ihrer Filiale ums Leben gekommen. Ausgelöst wurde dieser durch Molotow-Cocktails, den vermummte Demonstranten geworfen hatten, obwohl bei den Auseinandersetzungen zwischen ihnen und der Polizei bereits mehrere Menschen verletzt wurden.

Veröffentlicht am 6 Mai 2010 um 15:31
Athen, 6. Mai 2010: Vor einer Filiale der Marfin Bank, in der drei Menschen den Protesten am Vortag zum Opfer fielen.

Die verstorbenen Personen sind die Opfer eines "Verbrechens, das auf dem Rücken des griechischen Volkes" ausgetragen wird, titelt To Ethnos. Die Tageszeitung betont aber auch, dass "dieses neue Ereignis die Wahrnehmung des Landes im Ausland beeinträchtigen wird" und "sich erheblich auf den Tourismus und die Wirtschaft des Landes auswirken könnte". Dagegen bezeichnet Eleftherotypia die "Sparmaßnahmen" als "Ungerechtigkeit", welche "die Wut" der Demonstranten "geschürt hat". Vor allem junge Menschen demonstrieren. Sie gehören zur "595 Euro-Generation", schreibt die Tageszeitung. "595 Euro", weil "die Sparmaßnahmen aus der ehemaligen 700 Euro-Generation nun die G595 machen". Auf diese Generation, die schon Ende 2008 auf die Straße ging, um gegen die Ungewissheit zu demonstrieren, der sie ausgesetzt sind, wartet "eine ziemlich schmerzhafte Zukunft". Nun "glaubt sie keiner einzigen der Versprechungen, und vertraut keiner der Parteien und keinem Politiker mehr". Nur noch "Verbitterung und Frustrationen stauen sich an", schreibt Eleftherotypia.

"Die Toten stoßen Griechenland an den Rand des Abgrundes", titelt Kathimerini, indem sie die Worte des Staatspräsidenten Karolos Papoulias zitiert, der damit auf die Nachricht des Todes der drei Angestellten der Bank Marfin Egnatia reagiert hat. Die Tageszeitung erinnert daran, dass sie "seit dem Brand eines Wohngebäudes im Athener Zentrum 1991 (damals starben vier Menschen) die ersten Personen sind, die unter vergleichbaren Umständen ums Leben kommen".

To Vima ist der Meinung, dass "Papoulias damit nicht übertreibt". Für das Tageblatt erinnert dieses Feuer "alle daran – im Inneren und außerhalb des Parlamentes – dass die Geschichte über uns richten wird". "Die griechische Tragödie stand auch gestern wieder im Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit", für die "der Tod von drei Bankangestellten die Angst vor einer unkontrollierbaren Gewalt im ganzen Land wiederbelebt hat", berichtet die Zeitung weiterhin. "Niemand kann vorhersehen, wie sich die Dinge von nun an entwickeln werden", warnt die Zeitung. "Sicher ist aber, dass wir unsere Unschuld verloren haben", führt To Vima fort. "Und letztendlich kann niemand ignorieren, in welche Richtung ein solches Verhalten führt."

"Kann sich eine Gesellschaft selbst zerstören?", fragt sich Kathimerinidiesbezüglich. "Ja. Ganz sicher. Und die Richtung, die Griechenland momentan eingeschlagen hat, deutet an, dass man genau diesen Weg auch weiterhin nehmen wird. Wir haben hier eine Gesellschaft, die dem Wahnsinn ausgesetzt ist und einen schlechtberatenen Weg wählt". An ihrer Spitze befindet sich "eine Regierung, die panisch reagiert, das populistische Fieber nährt und Öl ins Feuer gießt." Was die Zukunft angeht, "durchlebt Griechenland gerade den wohl entscheidendsten Moment seiner demokratischen Geschichte", meint Kathimerini. Für die Zeitung "sind allerdings nicht nur die politischen Führungskräfte dafür verantwortlich, ob wir uns selbst zerstören oder nicht, bankrottgehen oder nicht, sondern ein jeder von uns".

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Für To Ethnos haben die Griechen der Regierung "ein klares Signal gesendet". Diese steht wiederum "am Rande einer politischen Krise". Die tragischen Ereignisse des Vortages haben jedoch noch immer nicht ausgereicht, um "die Bedingungen eines minimalen Konsens der politischen Kräfte herzustellen, damit der Wirtschaftskrise die Stirn geboten werden kann", bedauert Ta Nea, für die der Mangel an Einigkeit Griechenland dem "Abgrund" näherbringt.

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