Für das gewünscht Europa, bitte drücken Sie... Bild: Sharyn Morrow

Hallo Herr Kissinger

Die Vergabe der Posten des Präsidenten des Europäischen Rates und des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wird Europa zwei neue Gesichter verleihen. Jedoch werden genau sie das Handeln der EU noch ein wenig mehr verkomplizieren. Wie viele Telefonnummern hat Brüssel? - fragt sich Le Soir.

Veröffentlicht am 19 November 2009 um 14:55
Für das gewünscht Europa, bitte drücken Sie... Bild: Sharyn Morrow

Wer wird der Auserwählte sein? Angespannt wartet man auf den Ausgang des am Abend des 19. Novembers stattfindenden Gipfels der Siebenundzwanzig. Dort wird man den ersten ständigen Präsidenten des Europäischen Rates und den ersten Hohen Vertreter und Vize-Präsidenten der Kommission bestimmen. Als Favorit für die Präsidentschaft des Europäischen Rates galt Herman Van Rompuy die ganze Zeit. Das brachte ihm auch einen Angriff des Daily Telegraph am vergangenen 16. November ein. Die konservative und euroskeptische britische Tageszeitung bezeichnete den belgischen Regierungschef als "einen überzeugten Gläubigen in dieser Art europäischen Föderalismus, den das englische Volk verachtet". Und wieder die alten Argumente… Wird der zukünftige Präsident des Europäischen Rates – wer auch immer es sein wird – auch wirklich der bevorzugte Gesprächspartner derjenigen sein, die mit Europa sprechen wollen? Henry Kissinger soll eines Tages in den 1970er Jahren gefragt haben: "Wenn ich mit Europa telefonieren möchte, wen soll ich dann anrufen?" ("If I want to call Europe, who do I call?")

Die Macher der Internetseite Who do I call? (Wen rufe ich an?) konnten sich also kein Gehör verschaffen. Sie treten für die Schaffung eines einzigen Postens ein: Der Präsident der Europäischen Union soll gleichzeitig die Kommission und den Rat leiten… Um mit Europa zu sprechen, haben wir künftig vier verschiedene Telefonnummern zur Auswahl: Diejenige des Präsidenten des Europäischen Rates, die des Präsidenten der Kommission, die des Hohen Vertreters und Vizepräsidenten der Kommission oder die des jedes Halbjahr wechselnden Ratspräsidenten. Zu dieser Liste müssen wir aber eigentlich auch noch die Telefonnummer des Präsidenten des Europäischen Parlaments hinzufügen. (Momentan ist das der Pole Jerzy Buzek.) Mit dem neuen Vertrag wird das Parlament der EU in der Tat einen spektakulären Auftrieb erfahren. Derjenige, der mit Europa sprechen möchte, sollte also den "Schalter" gut auswählen, an den er sich wendet. Um sich zurechtzufinden muss man kein Experte für europäisches Recht sein. Aber fast.

Der Präsident des Europäischen Rates. Die Funktion des Präsidenten der europäischen "Gipfel" (die zu einer eigenständigen Institution werden), muss erst noch erfunden werden. Im Vertrag von Lissabon ist "der Präsident des Europäischen Rates derjenige, der die Vorbereitung und die Weiterführung der Arbeit des Europäischen Rates sichert, die zusammen mit dem Präsidenten der Kommission erarbeitet wird. Grundlage sind die Arbeiten des Rates für Allgemeine Angelegenheiten. […] Auf seinem Niveau vertritt er die Union in Sachen Außenpolitik und gemeinsame Sicherheitspolitik im Ausland. Dabei greift er nicht in den Aufgabenbereich des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union ein". Wird der dauernde Präsident des Europäischen Rates (mit einem zweieinhalbjährigen Mandat, welches ein Mal erneuert werden kann) also "auf seinem Niveau" – der Staats- und Regierungschefs – ganz einfach als Wortführer mit begrenzter Reichweite agieren? Telefonnummer: 0032 2 285 61 11

Der Präsident der Kommission. José Manuel Barroso tut so, als mache er sich keinerlei Sorgen und ruft zu einer fairen Zusammenarbeit zwischen den Institutionen auf. Jedoch weiß er, dass die Ernennung des dauernden Präsidenten des Europäischen Rates ihn in den Schatten stellen wird. Er selbst und seine Mitarbeiter wiederholen übrigens nach Wunsch, dass er der Gesprächspartner für die ausländischen Staats- und Regierungschefs bleiben wird. Und dies für alle Angelegenheiten, die nicht direkt zum Aufgabenbereich der "GASP" (Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik) gehören. Sie möchten über Handel reden? Über Energie? Über das Klima? Dann müssen sie José Manuel Barroso anrufen. Er wird sich nämlich nicht auf die Füße treten lassen. In Sachen Machtbefugnisse – und demnach Gewicht – darf man nicht vergessen, dass die Kommission das Monopol der Gesetzesinitiative behält. Sie allein kann europäische Gesetze vorschlagen. Telefonnummer: 0032 2 299 11 11

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Der Hohe Vertreter. Er wird laut des Vertrages von Lissabon auch der Vizepräsident der Kommission sein. Daraus ergibt sich seine doppelte Legitimität. "Der Hohe Vertreter wird die Außenpolitik und die gemeinsame Sicherheitspolitik der Union lenken. […] Wachen wird er darüber, dass die Handlungen der Union im Ausland auch kohärent sind. Im Kreise der Kommission ist er für die Beziehungen zum Ausland und die Koordinierung anderer Aspekte der Aktionen der Union im Ausland verantwortlich (eben die Verantwortlichkeiten, die der Kommission obliegen)." Er vertritt die Union in allen Angelegenheiten der Außenpolitik und der gemeinsamen Sicherheitspolitik. Auch wird er den neuen Europäischen Auswärtigen Dienst leiten, ein Koloss von mehreren Tausend Mitgliedern. Telefonnummer: 0032 2 281 56 60 (Solana, der aus dem Amt scheidende Hohe Vertreter)

Die wechselnde EU-Ratspräsidentschaft. Die Schweden werden nicht die letzten sein: Die alle sechs Monate wechselnde Präsidentschaft wird auch in Zukunft weiterhin bestehen. Etwa 10 % ihrer Verantwortung, so sagt man, wird sie verlieren. Sie wird nicht mehr den Vorsitz der Gipfel der Staats- und Regierungschefs haben (dies wird der dauernde Präsident des Europäischen Rates übernehmen). Auch die Räte der Außenpolitik wird sie nicht mehr leiten (in diese Rolle schlüpft der Hohe Vertreter). Über den sehr wichtigen Rat für Allgemeine Angelegenheiten wird sie jedoch weiterhin den Vorsitz haben. Dies ist der eigentliche Posten, der die Hauptstädte und alle anderen Ministerräte steuert: ECOFIN, Landwirtschaft, Justiz, Innere Angelegenheiten, etc. Zudem wird die wechselnde Präsidentschaft auch weiterhin ihr eigenes Programm und ihre Prioritäten haben, auch wenn sie nun im Präsidenten-Trio arbeiten muss, um die Sachen weiterzuführen. Spanien wird das alles ab 1. Januar ausbaden. Wie das Ego von José Luis Zapatero diese Änderung verkraften wird? Dies ist eine der Herausforderungen… Telefonnummer: 0046 8 405 10 00 (Reinfeldt), 0034 91 321 40 00 (Zapatero)

Kulissen

Die hohen Beamten spielen auch eine Rolle

Es geht aber auch noch undurchsichtiger. Hinter dem Feilschen um die zwei Schlüsselpositionen des Präsidenten des Rates und des Hohen Vertreters und den verschwiegenen Verhandlungen um die Portefeuilles der Kommissare spielt sich noch ein anderer Wettlauf zwischen etwa zwanzig Kandidaten ab. "Die zweite Reihe zählt auch", titelt der Tagesspiegel und berichtet über ein – im künftigen EU-Spitzenduo fehlendes – Deutschland, welches seine Fäden in den Kulissen zieht, um seine Vertrauensmänner auf die Posten zu heben, die gerade unter dem Kommissions-Niveau liegen.

Der erste auf dem Spiel stehende Posten: Der Generalsekretär des Rates der Europäischen Union. Momentan bekleidet der "sehr einflussreiche" Franzose Pierre de Boissieu dieses Amt. Frankreich scheint "sehr daran interessiert" zu sein, "auch in den kommenden Jahren die Arbeit im EU-Ministerrat zu organisieren", aber auch Deutschland könnte seinen "Mann ins Rennen schicken", berichtet die Berliner Tageszeitung. Ein anderes sehr begehrtes Amt: Der Generalsekretär des Auswärtigen Dienstes der EU. "Er wird in der neuen EU-Behörde als graue Eminenz im Hintergrund die Fäden ziehen." Aus diesem Grund wird derjenige, der dieses Amt bekleiden wird, zusammen mit dem Präsidenten und dem Hohen Vertreter zusammen ernannt werden.

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema