
"Um eine Einigung zu erzielen, haben die Europäischen Staatschefs nach der tödlichen Lösung des kleinsten gemeinsamen Nenners gegriffen", bedauert La Repubblica, für die "Europa jetzt, um mit den Worten Henry Kissingers zu sprechen, eine Telefonnummer hat. Aber wenn dies die Titelträger sein sollen, darf man daran zweifeln, dass jemand eines Tages das Bedürfnis danach haben wird, sie zu wählen. Wenn sich Europa ein Gesicht und eine Telefonnummer gegeben hat, dann ist es das von Angela Merkel, aber sicherlich nicht das von Herman Van Rompuy und noch weniger das der Baronin Ashton." "Liebe Amerikaner, dies ist M. Europa 2009: Herman Van Rompuy", mokiertsich die polnische Rzeczpospolita. "Rufen sie ihn nur an, wenn sie über den Kampf gegen den Terrorismus, Reduzierung von CO2-Emissionen oder die Wirtschaftskrise sprechen möchten". "Musste man denn über den Vertrag von Lissabon streiten, wenn man die beiden neuen Posten an zwei Schwächlinge abgibt", fragt sich ihrerseits die Gazeta Wyborcza.
El País stimmt den gleichen Ton an und kritisiert die fehlende Wahrnehmbarkeit und Ausstrahlung der Kandidaten: "Eine zu graue EU", titelt sie daher und ist der Meinung, dass sich die "27 für einen Präsidenten ohne Führungskraft entschlossen haben und London die Außenpolitik schenken. Für die Europhilen ist das Ergebnis traurig und wird wahrscheinlich dazu beitragen, dass sich die Bürger weiter von den Institutionen entfernen". "Europa hat seine erste große Chance vertan zu beweisen, dass der Vertrag von Lissabon ihm endlich die politischen Instrumente an die Hand gibt, um auf der internationalen Bühne seine Wichtigkeit geltend zu machen", bedauert Público. Und, fügt The Guardian hinzu "das Abrutschen in eine von den USA und China dominierte bipolaren Welt aufzuhalten".
Eine nicht-demokratische Ernennung auf einen nicht-demokratischen Posten


"Van Rompuy wird nachgesagt, dass er selbstironisch sei", bemerkt The Guardian, für den "seine äußerliche Bescheidenheit eine stahlharte Willenskraft kaschiert, gepaart mit einer scharfen Intelligenz und ausgeprägten Vorstellungen, die er nur selten mitteilt. Er verträgt keine Dümmlinge und kann privat durchaus sarkastisch über seine politischen Gegner sprechen". Der Daily Telegraph meldetnebenbei, dass Van Rompuy "einer der hitzigsten Verfechter gegen den Beitritt der Türkei in die Europäische Union ist, weil er die christliche Tradition Europas aufweichen könnte". Cotidianul bemerkt, dass Van Rompuy ein "einflussreicher Mann" ist, denn er wurde gerade in den exklusiven pro-amerikanischen Club Bildenberg aufgenommen.
Belgien zwischen Stolz und Furcht

Mit dem Ausscheiden Van Rompuys aus der belgischen Regierung stellt sich nun die Frage nach seinem Nachfolger: Van Rompuy fort, die Krise wieder da", fragt sich sorgenvoll Le Soir unisono mit der gesamten belgischen Presse. Denn dies hieße mit großer Wahrscheinlichkeit auch, dass Ex-Regierungschef Yves Leterme ins Amt zurückkehren werde, das er nach den fehlgeschlagenen Koalitionsverhandlungen 2008 verlassen hatte. Eine Perspektive, die De Morgen nur ungern sieht: "Wir haben gestern Abend mit den Zähnen geknirscht, denn es ist sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht unbedingt wünschenswert, das Yves Leterme das Ruder wieder übernimmt. Für unser Land ist das ein großer Jammer."
KULISSEN
Die zweite Reihe spielt auch eine Rolle
Es geht aber auch noch undurchsichtiger. Hinter dem Feilschen um die zwei Schlüsselpositionen des Präsidenten des Rates und des Hohen Vertreters und den verschwiegenen Verhandlungen um die Portefeuilles der Kommissare spielt sich noch ein anderer Wettlauf zwischen etwa zwanzig Kandidaten ab. "Die zweite Reihe zählt auch", titelt derTagesspiegel und berichtet über ein – im künftigen EU-Spitzenduo fehlendes – Deutschland, welches seine Fäden in den Kulissen zieht, um seine Vertrauensmänner auf die Posten zu heben, die gerade unter dem Kommissions-Niveau liegen. Erster Posten: Der Generalsekretär des Rates der Europäischen Union. Weiterhin bekleidet der "sehr einflussreiche" Franzose Pierre de Boissieu dieses Amt.
Ein anderes sehr begehrtes Amt: Der Generalsekretär des Auswärtigen Dienstes der EU. "Er wird in der neuen EU-Behörde als graue Eminenz im Hintergrund die Fäden ziehen."
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